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en famille

Der verdammt grosse Hut

Von Aussen mag es manchmal wirken, als wäre ich ein Hansdampf in allen Gassen.

Bild: Theresia Mühlemann, 
Vierfachmama

Auf meiner Visitenkarte finden sich ganze zehn Tätigkeiten (was eigentlich nur daran liegt, dass mir schnell langweilig wird), und vier Kinder habe ich ja auch noch. Man könnte tatsächlich meinen, mein Tag hätte mehr als 24 Stunden, oder ich hätte irgendwo ein Duracell-Batteriefach in der Nierengegend. Manchmal nicken die Leute anerkennend, wenn sie vernehmen, was ich in meinem Alltag alles tue. Sie fragen dann, wie ich denn dies alles unter einen Hut bekomme. Und die einzige Antwort, die ich darauf geben kann, ist «gar nicht». Ich schaffe es nicht. Da könnte der Hut so gross sein wie ein Zelt, irgendetwas rutscht immer raus, bleibt
im Regen liegen.

Die frisch gewaschene Wäsche türmt sich manchmal im Wohnzimmer auf, wir ziehen uns am Fusse dieses Berges ungebügelte Kleidung heraus, die selten den Kleiderschrank von innen sieht. Für meinen Geschmack kommt es zu oft vor, dass ich kurz vor Mittag von der Arbeit nach Hause komme, und es nur Findusplätzli und Gurkensalat gibt, weil die Zeit für mehr nicht reicht. Es gibt Tage, da kommt der Staubsauger nicht zum Einsatz, und die Hundehaare ballen sich an den hohen Türschwellen zu Klumpen. Eine Dusche darf nicht länger als wenige Minuten dauern, und ich schaffe es nie, wirklich nie, mir die Füsse einzucremen. Doch ich habe immer Zeit für eine Umarmung, 
das Erzählen eines Bilderbuches oder ein Gespräch mit meinem Teenager.

Und ehrlich, ich habe keine Lust mehr auf diesen blöden, viel zu grossen Hut, unter dessen Gewicht wir Eltern taumeln und straucheln, der uns immer wieder ins Gesicht rutscht und uns die Sicht nimmt. Ich möchte mich nicht entscheiden müssen, ob ich vieles unperfekt oder weniger, dafür in 1A-Qualität, zustande bringen will.

Wir modernen Eltern dürfen alles, wir dürfen Kinder haben, arbeiten und unseren Interessen nachgehen – solange wir alles tipptopp in diesen Zauberhut, der wie Mary Poppins Handtasche unwahrscheinlich Grosses beherbergen soll, stopfen können. Mütter dürfen «nebenbei» arbeiten, vor allem, wenn es für das Durchbringen der Familie von Nöten ist, wenn sie sonst depressiv verstimmt würden und wenn alles in den Hut passt, und sie unfehlbar sind. So gehen wir arbeiten, abends, am Wochenende oder wenn die Kinder in der Schule sind. Kaufen in der Pause nebst einem Sandwich, das wir im Gehen verdrücken müssen, noch ein Geschenk für einen Kindergeburtstag, das Abendessen und Socken für das Kind, das heute früh keine gefunden hat. Und den Vätern geht es oft genau so.

Lasst ihn uns ablegen, den lächerlich riesigen Hut, den uns die Leistungsgesellschaft überstülpen will. Lasst uns alles, was wir lieben, mit Freude tun und täglich unser Bestes geben, wenn es auch nicht immer reicht. Und dann setzen wir uns zur Abwechslung mal eine Krone auf.

Info: Theresia Mühlemann (39) ist freie 
Autorin und Yogalehrerin. Sie schreibt 
regelmässig für den Regionalteil des BT. 
Im Wechsel mit Parzival Meister berichtet sie an dieser Stelle über ihren Familien-
alltag mit vier Kindern im Alter von 5 bis 
13 Jahren.


Theresia Mühlemann, 
Vierfachmama

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