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BT-Schreibwettbewerb

Die Reise ins Mausloch

von Manuel Naef

Bild: Matthias Käser
  • Dossier
Erster Reisetag:
Sommerhitze: Zwar platzten monsunartige Güsse dazwischen, der Temperatur verlangte es keinen Einbruch ab und der Sonnenball liess sich höchstens als Silhouette erahnen. Der Himmel, also, war wie ein alter Mann, kahl und stellenweise grau.
 
Der Name, fand Anan, passte: «Hundematte. Schau dir all die Leute an! Und wir, wir setzen uns mitten rein; eine Kloake aus Leinen, gelüpften Beinen, Hygienebeuteln, rauen und geschmeidigen Fellen!»
 
«Oui-oui», war die Antwort von Geist. Anan konnte in so einem Ausspruch allerdings ganze Welten lesen. Die Schwüle trieb den beiden den Schweiss aus den Poren hinein ins knapp geschnittene Gras, auf welchem sie ruhten.
 
Die Hundematte war in der Tat übersät von Vierbeinern: Hier ein Spaziergänger mit Schnauzbart und Bulldogge, da ein Läufer in greller Sportmontur, an dessen Taille ein Band befestigt war, und am Band ein Hündchen angeleint, das freudig trabte. Ganz allgemein tummelte sich auf den kalkmatten Kieswegen bestimmt ein Dutzend Leute, welche verschiedenste Ausprägungen der Hundefreundschaft vorlebten. Geist seufzte. Anan seufzte.
 
Geist pflückte einen Grashalm, steckte ihn in seinen rechten Mundwinkel, schwieg dann eine Weile und fügte dem Thema erst nach einer ausgedehnten Gedankenwelle ein weiteres Wort hinzu: «Oui.»
 
Es war nun einmal so, dass Anan der welschen Sprache nicht mächtig war. So genügte es, wenn Geist ein Ja oder Nein auf Französisch äusserte. Was folgerichtig eine klare Bekräftigung oder Ablehnung bedeutete. Nutzte er jedoch die Dopplung des Wortes, sagte oui-oui oder non-non, wusste Anan, dass Geist zweifelte und es den Sachverhalt erst einmal zu überdenken galt. 
 
Nun verstand Geist zwar leidlich Deutsch und fast noch besser die dialektalen Ausprägungen der Gegend, hätte sich aber nie beflissen, je ein Wort Fremdsprache in seinen dafür viel zu wohlgeformten Mund zu nehmen.
 
Aber es machte nichts: Geist war durchwegs kein gesprächiger Mensch. Anan hingegen plätscherten stets die Gedanken frei heraus, sodass sich in der Mitte der beiden Charaktere ein Gleichgewicht bildete. 
 
In zentralen Belangen verstanden sie sich ohnehin wortlos. Zum Beispiel, wenn es darum ging, einen Nachmittag zu Grabe zu tragen.
 
Deshalb fütterten sie Stechmücken mit ihrem Blut an und warteten, in dieser Tätigkeit gefangen, die blaue Stunde ab. Denn erst wenn das lustige Volk die Matte verlassen hätte, würden Anan und Geist sich dem Wasser nähern. Sie schwammen gern bei Dunkelheit und pflegten bis dahin den Rummel zu erleben. Wenn aber nur noch ein paar Trunkenbolde und Nachtschwärmer zugegen wären, würden die zwei den See für einladend genug befinden.
 
Bis Mitternacht liessen sie sich dafür längstens Zeit und schlummerten dazwischen müssig weg. 
 
Alles, was zur Planung ihrer Reise hätte erörtert werden können, war hinreichend besprochen — denn es war Sonntag. Daran liess sich nichts ändern und vor allem liess sich an einem Sonntag kein Keilriemen beschaffen. Folglich war die Reise auf den nächsten Tag verlegt, denn ohne Keilriemen würden sie nicht reisen können und ohne Reise hatten sie nichts zu tun an einem Sonntag wie diesem.
 
Zweiter Reisetag:
Das Automobil war folgendermassen beschaffen: klein, rund, zerdeppert. Aber ansonsten war alles dran, was ein Vehikel brauchbar macht. Ein Motor mit vier Zylindern, ein kleiner Hubraum, Räder, Steuer, Schaltknüppel und auch die Bodenverkleidung war gänzlich rostfrei. Zudem war es ausgesprochen wendig. Der Geruch im Inneren der Klapperkiste war etwa im gleichen Verhältnis gewachsen, wie die Fahrtüchtigkeit derselben abgenommen hatte. Bald war hier eine Reparatur nötig geworden, bald liessen sich die Fenster nicht rauf- oder runterkurbeln, der Motor verlor übermässig an Öl, die Kupplung klackste oder der Scheibenwischer blockierte. Kurz: Die beste Zeit hatte der Strassenkreuzer hinter sich. «ZU VERK vendre» hatte durchgestrichen auf einem von Hand gekritzelten Zettel gestanden, der in die Heckscheibe geklebt war, darunter in einem neuen Versuch: «SCHNÄPPCHEN». So blieb der Wagen für lange Zeit bei Wind und Wetter auf einem Aussenparkplatz stehen. Bis Anan und Geist, die oft an der drolligen Kiste vorbeigeschlendert waren, sich dazu überwanden, die Nummer zu wählen, welche dem Verkaufshinweis hinzugefügt war.
 
Geist verband mit dem Kraftfahrzeug die kühnsten Träume, die natürlich alle mit Wegkommen zu tun hatten. 
 
Anan formulierte Geists Träume jedes Mal, wenn sie am Kleinwagen vorbeigingen: «Na, was meinst du? Damit brächen wir hier endlich mal aus.»
 
Anfangs dachten sie an einen Urlaub, eine Rundfahrt, die sich über mehrere Tage erstrecken würde. Bald wurden aus den Tagen Wochen und den Wochen Monate, bis Anan und Geist sich darin einig waren, kämen sie einmal in den Besitz dieses sicherlich sehr erschwinglichen Fahrzeuges, würden sie damit in ein ganz neues Kapitel rollen. In Anbetracht dieses Luftschlosses, das sie sich bauten und in welchem die Gurke von Fahrzeug plötzlich zur prächtigen Karosse aufstieg, ist verständlich, wie aufgeregt Anan beim Wählen der entsprechenden Telefonnummer war.
 
Der sonst so gesprächige Mensch stotterte fast ein wenig und musste sich mehrere Male räuspern, als am anderen Ende der Leitung eine Frau Kracht abhob. «Ja, jo, – schon! Das Automobil steht noch zur Verfügung», krächzte sie, ganz als würde sich’s im Gespräch um den Handel mit der herkömmlichsten Massenware drehen. In dieser Manier wurde das Fortbewegungsmittel auch angepriesen. (Denn wie bei der Werbung für Massenware wurde auch hier geflunkert.) 
 
«Wissen’s, das Fahrzeug ist überdies in allerbestem Zustand. Es war ja die heimliche Geliebte meines Jeger. Maus hat er den Wagen zärtlich genannt. Jahrelang hat er seine Maus gehegt und gepflegt und manchmal dünkt mich, er ist lieber in der Werkstatt gehockt als am Tisch. Und das, wo ich ihm doch die Bratkartoffeln genauso zubereitet hab, wie er sie am liebsten mochte. Wissen’s, oben ein bisschen gelb, unten aber schon ganz braun gebraten und dazu eine Zwiebel fahrig fein gehackt und eine ganz einfache Sauce, die ich immer mit etwas Mehl und dann ...»
 
Anan und Frau Kracht verbrachten vergnügliche Stunden an der Strippe, indenen freilich Anan höflich auf Nadeln sass, Frau Kracht aber die Gunst der Stunde nutzte, in welcher endlich wieder einmal jemand etwas von ihr wollte. Daraus spann sie einen so langen Faden, dass sie hernach bestimmt zufrieden hätte sterben können: Denn alles war gesagt. Nur eines nicht, da hakte Anan nach: «Jetzt noch wegen des Preises ...» Auch hierin war Frau Kracht sehr freigiebig und erwähnte nochmals penibel jede Reparatur, die gemacht, jede Pflege, die getan und alle Wertschätzung, die dem lieben Automobil beigemessen wurde. Die Summe, die sie zum Schluss nannte, schien jedenfalls im zarten Rahmen Platz zu finden, den Geist und Anan sich ausgedacht hatten. 
 
Als sie zur Probefahrt bereitstanden, waren sie Frau Kracht auf Anhieb sympathisch. «Ja, zwei so nette junge Herren! Wenn das der Jeger wüsste!» Und zu Geist gewandt sprach sie in vertraulichem Ton: «Wissen’s, der Jeger war immer ein Offener, ein Menschenfreund war das. Da wird es ihm bestimmt recht sein, wenn bald ein Schwarzer in seiner Maus sitzt.» Und dann wieder an Anan gewandt: «Hat er es überhaupt verstanden?»
 
Die zwei kamen also zu ihrem Auto, das, wie die Probe ergab, tatsächlich fahrtüchtig schien. 
 
Der Kauf war in der vergangenen Woche geschehen. Vorführung und Einlösung beim Strassenverkehrsamt hatten ebenfalls in derselben Platz gefunden. Genauso wie der aufreibende Rest an Reisevorbereitungen, und als es Samstagabend wurde, sass Geist am Steuer, Anan lag mit angewinkelten Beinen auf der Rückbank und man war auf der Suche nach einem Parkplatz, als der Keilriemen riss. 
 
«Non», sagte Geist und Anan übersetzte in einen Schwall von Flüchen, in welchem viele Masttiere, aber auch Ratten, Hunde und primäre Geschlechtsmerkmale eine Rolle spielten. 
 
Anan seufzte. Geist seufzte. Im Leerlauf rollten sie das Gefährt einige hundert Meter weit, bis sie endlich einen freien Parkplatz fanden.
 
Der darauffolgende Sonntag wäre bekanntlich als Abreisetag gedacht gewesen, den sie mangelnder Alternativen wegen auf der Hundematte zubrachten. 
 
Nun aber war Mitternacht vorüber, die Sonntagsmeute in den Federn und ein angenehmes Lüftchen säuselte Geist um die Ohren, als er sich die Kleider gänzlich abstreifte. Auch Anan zog sich aus und bald waren beide in die kleine, künstliche Bucht gewatet, die an der Hundematte liegt, unter der Eisenkette durchgeschwommen und still und froh ins offene Seewasser gelangt.
 
Geist war arm. Anan war arm. Nun war ihre Armut nicht so beschaffen, dass sie an Hunger litten. Offensichtlich konnten sie zu zweit ja auch gut genug zusammenlegen, um eine Blechdose auf vier Rädern zu erwerben. Aber sie waren doch so arm, dass ihnen jegliche Mittel zum alltäglichen Vergnügen fehlten, sofern dieses irgendetwas kostete. «Luft, Höhepunkte, Gefühle und der See – das sind die Dinge, die es hier für alle gesunden Menschen frei Haus gibt. Jeden Rest gilt es irgendwie zu bezahlen», so pflegte Anan zu sagen und Geist kommentierte dies nimmer, denn es schien ihm eine ungenaue Analyse, aber er wollte auch nicht darüber nachdenken. Jedenfalls war der See einer Kleinstadt für die beiden der Vergnügungspark ihrer Möglichkeiten. Anders als Leute, die für Zuckerwatte und Achterbahnfahrt einen unnützen Betrag auszugeben bereit waren, bloss um ein wenig zu kreischen, pflegten Anan und Geist ihr Vergnügen ganz still zu geniessen. Sie legten sich zu diesem Zweck im Wasser auf den Rücken. Indem sie mit gekonnten minimen Bewegungen ihre Körper an der Oberfläche hielten, schlossen sie die Augen, öffneten sie wieder, sahen die Gestirne über sich und bemerkten die Strömung.
 
Bald schlüpften sie aus dem Wasser, legten sich wieder hin und genossen das erfrischende Frösteln nach einem Seebad. Wieder schlossen sie die Augen. So lagen sie im Gras, das kratzte, während Käfer, Insekten und Seemücken kitzelten. Die zwei mussten ziemlich schön ausgesehen haben, wie sie da lagen. Denn wer ein nächtliches Bad so sehr zu schätzen weiss, hat eine Ausstrahlung inne, die keine Maniküre, keine Maquillage und kein Gang ins Fitnesscenter zutage fördern mag.
 
Dies entging auch nicht Bredo. 
 
Bredo war kein guter Mensch. Was nicht heisst, dass er schlecht war. Wahrscheinlich würde es ausreichen, zu erwähnen, Bredo sei grob. 
 
Dieser Bredo setzte sich zwischen die beiden Geniesser und schaute sie an. Von der Fusssohle zur Scheitelkuppe sog er den Anblick auf, nahm drei Bierdosen aus einem Beutel und liess es, eine davon öffnend, zischen. 
Hierauf erwachten Anan und Geist, die wohl und schon wieder ein wenig weggeschlummert sein mussten. 
 
Gleichwohl, dass sie sich des kleinen Übergriffes, der hier stattfand, bewusst waren, lenkten sie ein und zogen sich nur wie beiläufig das Nötigste über. Nachdem in dieser Runde je zwei Bier gezischt waren, fragte Bredo ohne Umschweife: «Baiser?»
 
Geist sagte sofort: «Non.» Aber Anan, der nicht verstand und überdies angeheitert war, hoffte auf mehr offeriertes Bier. Er sagte also für einmal nichts, aber liess trotzdem verstehen, dass er mitkommen würde, wo immer es Bredo hintrieb. Geist zottelte hinterher. Was zur Folge hatte, dass sie den zweiten geplanten Reisetag völlig verschliefen. 
 
Dritter Reisetag:
Wie Anan war Geist auf die Körpergrösse bezogen ein stattlicher Mann. Hingegen waren beide im Inneren klein und voller Probleme. Anan und Geist bewohnten zu zweit einen dunklen Schlauch mit Küche, der eher einer Person zugemessen war. Am Ende des Schlauches, wo sie sich ein Zimmer für Schlafen und Wohnen gleichermassen teilten, lagen zwei lottrige Fenster, in die winters der Wind hinein zog und die es sommers mit abgetakelten Läden zu verschliessen galt, damit die Sonne das Zimmer nicht unerträglich aufheizte. 
 
Es war ein altes und an sich bewundernswert hübsches Haus, in welchem ihre bröckelnde Mietwohnung lag. Mitten in der Altstadt zierte es eine wackelige Häuserzeile, war da aber auch jedem Lärm ausgesetzt – jenem der Autoreifen, die über die Bollensteine zu donnern pflegten, jenem der Nachtschwärmer und jenem der Baumeister. Denn in einer Altstadt wird ständig saniert. War also nachts oft bis vier Uhr nicht leicht schlafen, weil die Trinker dem Zwist sehr zugeneigt sind, dem Singen oder Prahlen und überhaupt allen lautstarken Emotionsäusserungen, so war es morgens schwer, weil ab fünf Uhr der Berufsverkehr anrollte. Nahm der endlich ab, sang sicherlich eine Handfräse ihr Lied, um Latten und Balken zur Ausbesserung eines Nachbardaches zu kappen. 
 
Kurzum, Anan und Geist waren oft übermüdet. Die beste Zeit, einige Stunden am Stück zu dösen, war gewöhnlich spätnachmittags, wenn die Handwerker aufräumten und die Zecher noch einigermassen nüchtern in ihren Stühlen fläzten. Was einen einschläfernden Singsang aus Gesprächsfetzen, Klappern und Scheppern schaffte. 
 
Geist und Anan lebten von Tages- und Wochenarbeiten von Monat zu Monat, und wenn einer eine Rechnung begleichen konnte, musste er schon wieder dem anderen aushelfen. Damit kamen sie gerade so über die Runden, ohne eine staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, lebten aber auch, wie viele in dieser Stadt, von weniger, als eine solche Minimalhilfe ausmachen würde. 
 
Rundheraus: Sie machten keine grossen Sprünge, die kleinen, die sie aber zu vollbringen imstande waren, erledigten sie mit Müh und Not. Und das machte sie innerlich klein wie die Maus, die sie sich als eine Art Hoffnungsschimmer angeschafft hatten. Sie hatten, das versteht sich, über ein Dreivierteljahr lang Geld zur Seite gelegt, wo es eigentlich nichts beizulegen gegeben hätte. Sie hatten verzichtet und gerackert, um ihre bescheidenen Wünsche in Form eines ausgeleierten Automobils wahr werden zu lassen. 
 
«Unser Gefängnis ist der Radius des städtischen Verkehrsverbundes», pflegte Anan in matten Stunden zu äussern, «neun Zonen». Und Geist quittierte stets mit: «Oui.» Denn bereits ein Billett nach Bern und zurück sprengte meist den Rahmen. Mit dem lustigen Gefährt, das sie sich angeschafft hatten, wollten sie diesen Radius für einmal zigfach ausweiten. (Immerhin hatten sie auch für Benzinkosten einiges zurückstellen können. Der Rest würde sich ergeben.)
 
Geweckt durch einen Presslufthammer fanden sie am Dienstag neuen Mut. 
 
Sie hatten den Kater, welchen ihnen Bredo mit Absichten geschenkt hatte, wieder ausgesetzt. (Der grobe Bredo indes war nicht auf seine Kosten gekommen. Denn gerade als er sich an seinem Hosenbund zu schaffen gemacht hatte, flogen den trunkenen Jünglingen die Fäuste weg und schienen nicht verfehlt zu haben.) 
 
Geist gab sich einen Ruck und rüttelte auch Anan aus dem Bett. Bald fanden sie einen windigen Mechaniker, der überdies bereit dazu war, die Karre an Ort und Stelle mit einem neuen Keilriemen zu bestücken. 
 
Auch hier bestätigte ein Handschlag die Sache, die Reparatur wurde ohne Erhalt einer Quittung bezahlt und noch war Mittag nicht vorüber. Da endlich sagte Anan: «Geist, glaubst du, wir haben Bredo gar übel zugerichtet?» Geist zögerte: «Non-non.» Sie liessen es dabei bewenden. Zumal einer wie Bredo eine gebrochenen Nase durchaus verdient hätte. 
 
Einige letzte Besorgungen mussten gemacht werden, die hauptsächlich mit Reiseproviant zu tun hatten. Der Rest war längst gepackt und verstaut im Kofferraum, der überdies auch nur gerade die Grösse eines Koffers aufwies. 
Endlich und mit zwei Tagen Verzögerung fuhren sie los. 
 
Noch bewegten sie sich erst auf dem Autobahnzubringer, da bemerkte Geist, der wie zuvor das Steuer übernommen hatte, im Rückspiegel eine Leuchtschrift: «+++Polizei+++Anhalten!+++.»
 
Wie mechanisch fuhr Geist bei der nächsten Möglichkeit rechts ran. Nichts zu sagen von den Blitzen, die Anan und Geist durchzuckten. «Ob wohl doch Bredo ...», fragte Anan, als Geist schon die Scheibe runterkurbelte, was ein Kreischen und Quietschen verursachte. 
Aber nichts war da, nur eine Routinekontrolle, in welcher die Beamten sich gar ungewohnt freundlich verhielten, wie sie den Wagen scheint’s eher aus Gewohnheit durchsuchten. 
 
«Gute Reise!», wünschte der stillere von zwei hageren Kerlen in Uniform. 
 
Geist liess es sich nicht zweimal sagen und fuhr recht unbedarft an. Nichts wie weg wollte er wohl und drückte das Gaspedal. Dies aber führte die Maus direkt in ihr Loch. Keine hundert Meter nach der Kontrolle, gerade unterhalb des kleinen Bergmassives im Quartier, rollte Geist, der nur auf Fortkommen bedacht war, in ein noch nicht markiertes Schlagloch mitten auf der Hauptstrasse. Dies brach dem Automobil wenn nicht das Genick, so doch die vordere Achse. Immerhin: Freund und Helfer waren gleich zur Stelle. Wieder war es der an sich stillere Beamte, der bemerkte: «Die ist hin.» (Wohl meinte er die Achse. Geist und Anan kam es aber vor, als wollte er über die Maus und damit ihre Reise sprechen.)
 
Noch am selben Abend lagen Geist und Anan wieder auf der Hundematte. 
Diesmal hatten sie selbst etwas zu trinken mitgebracht; Schnaps in Pappbechern, den sie nur so über die Gasse mitnehmen konnten. 
 
Auch der grobe Bredo kreuzte ihre Wege, dem sie sogar einen Schluck ihrer Beute angeboten hätten. Aber der erkannte sie gar nicht erst wieder – ob bewusst oder weil er sich tatsächlich nicht erinnern konnte, war einerlei. Jedenfalls sass seine knollige Nase gerade im Gesicht, sofern sich so etwas bei dieser Visage überhaupt sagen lässt. 
 
Für einige Stunden war Stille. Dann aber kamen die Feierabend-Flaneure aus sich heraus und mit ihnen die Hunde, die Mücken, der Tumult.
 
«Ist es sehr schlimm?», fragte Anan, «non-non», sagte Geist. 
 
Da platzte wenigstens dem Himmel der Kragen und von null auf hundert waren sie pitschnass. Geist war es gerade recht so, denn es gefiel ihm nicht, beim Weinen ertappt zu werden.
 
Info: Manuel Naef, 1988 in Uster geboren, ist Autor und bildender Künstler. Der gelernte Steinbildhauer hat in Biel Literarisches Schreiben studiert. Er lebt in Biel.
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