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«Um Gefühle zu beschreiben, braucht es keine Worte»

James Gruntz hat heute eine neue EP veröffentlicht. Darauf singt er, aber ohne Text. Der 34-jährige Nidauer setzt zum ersten Mal ganz auf den Scat-Gesang. Weshalb das wohl nicht all seinen Fans gefallen werde, erzählt er in der neusten Folge «Sags Frei».

Beim Scatten dürfe man sich nicht zu ernst nehmen, sagt James Gruntz.  zvg/Maximilian Lederer
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Interview: Hannah Frei
 
James Gruntz, Klavier oder Keyboard?
James Gruntz: Klavier. Ein Keyboard ist für mich ein digitales Ding, das alles kann, aber nichts richtig. Das Klavier hingegen ist etwas Wunderschönes. Es ist eines der grössten und mächtigsten Instrumente, denen wir im Alltag begegnen. Es kann so laut, so leise, so viel. Und es steckt so viel Mechanik dahinter. Ich benutze ja für meine Arbeit nicht nur das Keyboard, sondern eben auch mein Klavier. Ich besitze seit zwei Jahren ein restauriertes «Burger & Jakobi»-Klavier. Auf allen Songs, die ich zurzeit spiele und die ich vor Kurzem aufgenommen habe, ist es zu hören.
 
Wie haben Sie gelernt, Klavier zu spielen?
Klavierstunden hatte ich erst während des Studiums an der Hochschule für Künste in Zürich. Vorher drückte ich einfach selbst immer wieder darauf herum. Meine Eltern hatten ein Spinett. Das Instrument eignet sich eigentlich gar nicht, um modernere Musik darauf zu spielen. Man kann nicht lauter oder leiser spielen, keine fliessenden Übergänge machen. Entweder gibt es einen Ton, oder eben nicht. Aber ich habe es trotzdem getan, und versucht, irgendwelche blusigen oder jazzigen Songs darauf zu spielen.
 
Können Sie heute jemanden ab Blatt begleiten?
Nein, auf keinen Fall. Also, vielleicht, wenn mir jemand die Akkorde notiert. Eine einfache Begleitung würde ich da schon hinkriegen. Aber nicht ab Blatt. Ich habe bestimmt auch keine gute Fingertechnik, aber ich habe inzwischen eine für mich passende Art und Weise entdeckt, um meine Musik zu spielen – vielleicht hat sie auch gerade dadurch Wiedererkennungswert.
 
In Ihrer neusten EP «Movement N° 01~03» erkennt man auch vieles aus den vorherigen wieder. Doch etwas fehlt: der Text. Weshalb?
Diese Form des Gesangs nennt sich Scat. Dafür braucht es keinen Text, sondern einfach eine freie Abfolge von Silben, die nichts bedeuten müssen, sondern ein Gefühl ausdrücken. Sie sollen auch kein Instrument imitieren, anders als etwa das Beatboxen. Ich scatte, seit dem ich mit dem Mund Töne machen kann. Scat-Solos gehören auch seit Längerem zu meinen Live-Auftritten dazu. Zudem sind sie auch ab und zu in meinen bisherigen Liedern als Einschübe zu hören.
 
Oder als Einstieg, wie etwa beim Song «Heart Keeps Dancing».
Genau. Ich kann nur jedem und jeder empfehlen, es einmal auszuprobieren. Es braucht vielleicht ein wenig Mut. Am Anfang klang das bei mir noch sehr unbeholfen und wirr. Aber das gehört dazu. Man darf dabei sich selbst wohl nicht allzu ernst nehmen. Mit etwas Übung wird es rasch besser. Jeder kann singen, jeder kann scatten. Und es macht einfach absolut Spass. Deshalb habe ich mich entschlossen, eine EP ganz dem Scat zu widmen.
 
Wie verpackt man denn Gefühle in Kauderwelsch?
Wenn ich Songs schreibe, gerate ich in eine Art Trance. Die Melodien und Silben kommen einfach zu mir. Plötzlich bin ich mittendrin und weiss gar nicht, wie ich dorthin gekommen bin. Es ist wohl ein Ausdruck von etwas, das tief in mir schlummert. Die Musik entsteht also eigentlich aus Gefühl. Für Gefühle braucht es keine Wörter. Wörter sind da, um etwas konkret zu beschreiben. Will man Gefühle in Worte fassen, scheitert man ja oft. Das bekannteste Beispiel ist da wohl die Liebe. Die lässt sich kaum mit Worten beschreiben. Und wenn man es doch versucht, kann man leicht missverstanden werden. Das passiert beim Scat nicht.
 
Scat versteht jede – oder niemand.
Ja, ich hoffe natürlich: jeder.
 
Eine EP mit Gesang, aber ohne Text, das ist mutig.
In der Kunst, und besonders in der Musik muss man Dinge ausprobieren. Scat trage ich seit langer Zeit mit mir herum. Nun ist der Zeitpunkt dafür gekommen, für etwas Neues. Aber ja, es wird bestimmt auch Leute geben, welche die neuen Songs eher irritierend finden und keinen Zugang dazu haben werden. Diese Art der Musik ist spezieller als das, was ich bisher gemacht habe. Aber auch persönlicher. Und ich denke: Musikerinnen und Musiker suchen immer nach dem Speziellen, nach dem, was einen ausmacht.
 
Wenn man sich Schweizer Pop-Musik am Radio anhört, würde man wohl eher sagen, dass die Lieder alle ähnlich klingen, oder nicht?
Klar, es gibt viele Elemente, die gleich bleiben. Aber Pop ist sehr vielfältig. Er hat sich entwickelt – und hat viel Potenzial, sich auch weiterhin zu entwickeln. Ich finde es immer sehr spannend, wenn man in der Popmusik Grenzen überschreitet, etwas Neues wagt. Letztens habe ich ein Lied gehört, in dem der Schlagzeuger als Einstieg seine Trommeln gestimmt hat. Er schraubte an den Fellen herum. Man könnte nun sagen: So etwas macht man nicht. Aber ich finde: Doch, genau so etwas soll man machen.
 
Denken Sie, dass Ihre neuen Songs am Radio gespielt werden?
Ich weiss es nicht, ich würde mich natürlich sehr freuen. Die Lieder sind aber klar nicht auf das Radio-Raster zugeschnitten. Ich könnte nicht einmal sagen, wo die Refrains beginnen und wo sie enden. Die neuen Songs sind für mich eher Stimmungen. Ich denke, diejenigen, die es interessiert, werden sich die Songs auf den Streaming-Plattformen anhören müssen.
 
Info: Wollen Sie James Gruntz scatten hören? Und möchten Sie erfahren, weshalb sich sein Leben im letzten Jahr von einem Tag auf den anderen radikal verändert hat? Dann hören Sie die neuste Folge des Podcasts «Sags Frei» auf Spotify, Apple-Podcast oder hier:
 

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