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Ein Lätsch hinten und vorne

In den tollen 80er-Jahren war es gang und gäbe, dass das Servicepersonal im schwarzen Jupe arbeitete, in weisser Bluse, schön gebügelt ohne Falten.

Bild: Yvonne Susanne Schenk

Das schneeweise Schürzlein hinten schön gebunden. Der hintere Lätsch musste mit dem vorderen umgekehrten Lätsch übereinstimmen. Mit dem vorderen umgekehrten Lätsch ist das Lächeln vom Fräulein de Service gemeint.

Meine ersten Schürzlein bekam ich zu meiner Konfirmation. Wenn ich mich daran zurückerinnere, erfüllt es mich mit Stolz. Während meiner Ausbildung trug ich das Schürzlein täglich mit Freude. Viele schöne, lustige und lehrreiche Stunden verbinden mich damit.

Mit den Arbeitskollegen jassen gehen oder Schürzlein bügeln? Ich zog das Vergnügen vor und sputete kurz vor Arbeitsbeginn in die Lingerie, um ganz schnell das Kleine Weisse zu bügeln. Und manchmal haben wir uns gegenseitig die Montur ausgeliehen, da es mit Bügeln zu knapp wurde.

Unter dem Kleinen Weissen kam noch der Kängurusack für Schreibzeug, Portemonnaie, Zapfenzieher und Zündhölzer, unser ganzes Mise 
en Place, damit wir für all unsere Aufgaben gerüstet waren. Man sah aus wie eine trächtige Bergente. War das Portemonnaie voll mit Münz beladen, legte man es irgendwo in die Schublade, damit man den Rücken schonen konnte. Hatte eine Mitarbeiterin zu wenig Münz, waren beide froh, sich aushelfen zu können.

Falls man den Tisch zu früh verlassen wollte, konnte man darauf wetten, dass die Gäste am Lätsch zogen. Das Schürzlein fiel zu Boden, und war ich zu langsam, hinterliess ich darauf meinen Schuhabdruck.

Schnell wieder einen Lätsch gemacht, hinten den gebundenen und vorne den umgekehrten, konnten die Gäste ihre Bestellung mit einem Grinsen im Gesicht aufgeben. Auch Beat, mein heutiger Ehemann, hat mir einst am Lätschli gezogen. Als Wette in der Runde, wer den Lätsch als erster erwischt, war er der schnellste.

Es gab aber auch weniger schöne Schürzen. Als ich noch in Bern arbeitete, führte das Restaurant grosse, mit Rüschchen verzierte Schürzen. Die waren sehr mühsam zum Bügeln und unbequem zum Arbeiten. Wenn die Chefin nicht da war, zogen wie diese aus oder schütteten sogar absichtlich Kaffee darüber – blöderweise waren dann meine anderen zwei auch gerade in der Wäsche. So konnten wir das Tragen dieser grässlichen Schürze umgehen und hatten grosse Beinfreiheit.

Als wir vor 25 Jahren in der Linde in Kappelen starteten, verschonten wir unser Personal mit dem Kleinen Weissen, nur der schwarze Jupe und die weisse Bluse blieben erhalten. An den Festtagen wie Muttertag oder Ostern tragen wir alle unsere Dirndl. Die Schürzen zum Dirndl sind bunt und werden mit einem Schmunzeln sowie mit einem breiten Lätsch gebunden.

Heute trägt kaum mehr ein Fräulein diese «Ausrüstung». Eigentlich schade. Damals wusste man genau, wer die Bedienung war, wer das Kafi bringt und wer einkassiert. Heute dagegen trägt man das Portemonnaie beim Kaffee-Bringen schon unter dem Arm. Kaum hingestellt, heisst es: «Chani zahle?» Noch keinen Schluck vom frisch gemahlenen und duftenden Kafi genommen, schon muss es bezahlt werden. Damit man den eiligen Gästen gerecht wird, passt man sich dem System an.

Schade, dass das Kleine Weisse in den letzten Jahren verloren gegangen ist. Ich habe zwei Stück von diesen Exemplaren schön verpackt aufbewahrt. Diese Erinnerungsstücke erinnern mich an die gute, schöne und nicht hektische Gaststubenzeit. Viele Geschichten passierten, die ich nicht
missen möchte. Viele Gäste habe ich ins Herz geschlossen, ich freue mich über jeden Besuch und über die vielen Erinnerungen, die wir zusammen erleben durften und noch werden. Diese Geschichten erwärmen mein Herz und zaubern einen umgekehrten Lätsch in mein Gesicht.

Steht in einigen Jahren mein letzter Arbeitstag vor der Pensionierung an, dann montiere ich den hinteren Lätsch wieder. Ich will meinen letzten Arbeitstag so beenden, wie mein erster begonnen hat: mit einem Lätsch hinten und einem umgekehrten Lätsch vorne.

Info: Einmal im Monat berichtet Mutter Yvonne Schenk oder Tochter Susanne Schenk, Gastgeberinnen im Restaurant zur Linde in Kappelen, aus dem Wirte-
alltag. Yvonne Schenk ist 52 Jahre alt und führt das Restaurant mit ihrem Mann Beat Schenk seit 1997. Sie ist Mutter von drei Kindern, Präsidentin von Gastro Seeland und im kantonalen Vorstand von Gastro Bern.


Yvonne Schenk

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