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Verbrechen

Eins über die Rübe und dann ab nach Übersee

Max Märki stand das Wasser bis zum Kinngrübchen: Schulden nach Konkurs, Alimente für drei Kinder, ein uneheliches viertes unterwegs. Da half nur ein Raub, geplant wie im Western. Aber es kam anders.

Urteilsverkündung: Ragnhild Flater bricht in Tränen aus. Max Märki und sein Vater wirken gefasst. Bild: Keystone
  • Dossier

Irene Widmer/Lukas Kobel, sda


Der Mönthaler Gipser Max Märki war erst 26 und hatte schon drei Kinder. Er «hatte müssen», wie man damals sagte, wenn wegen einer Schwangerschaft geheiratet wurde. Doch nach sechs Jahren Ehe war Max seiner Frau Trudi gründlich verleidet. Seine turbulente Libido ekelte sie. Manchmal habe er sogar mit ihr schlafen wollen, während seine Hände noch nach einer anderen Frau rochen.


Nachdem er mit einem Start-up bankrott gegangen war, lernte Max Märki auf Montage in Luzern 1957 die norwegische Bauerntochter Ragnhild Flater kennen. Sie war an den Vierwaldstättersee gekommen, um sich an der Hotelfachschule ausbilden zu lassen. Sie wurde aber mangels Sprachkenntnissen nicht angenommen und jobbte in einem Tea Room.
Max fiel sie auf, als er auf der Pirsch war nach einem Ausgleich seines Testosteronhaushalts. Man plauderte über Norwegen. Die Männer seien in der Schweiz schöner, meinte Ragn-hild. Ob sie mit einem schönen Schweizer Kaffee trinken wolle, fragte Max.


Ein bisschen wie Romy Schneider
In der Presse wurde sie später als graue Maus beschrieben. Dabei sah sie der jungen Romy Schneider nicht unähnlich. Max verliebte sich wie noch nie im Leben und sie sich auch.
Im «Chefig» sollten sie sich noch jahrelang Liebesbriefe zukommen lassen. Sie fanden immer Mitgefangene oder Wärter, die beim Schmuggeln halfen. Er schickte ihr ein Foto, sie ihm eine gepresste Blume, wie Peter Hossli in seinem makellos recherchierten True-Crime-Roman «Revolverchuchi» berichtet.


Monstren, wie es in der Presse hiess, waren sie nicht. Und ihre Tat war auch nicht «eines der grausamsten Verbrechen der schweizerischen Kriminalgeschichte», wie die «Schweizer Illustrierte» schrieb. Max und Ragnhild waren nicht Bonnie und Clyde, sie hatten es so nicht gewollt ...


Herr und Frau Keller in 
der Sackgasse
Autos waren damals das Objekt der Begierde, sie näherten sich langsam der Grenze des Erschwinglichen. Der Handelsvertreter Peter Stadelmann, ein Zocker, der beim Pferderennen viel Geld liegenliess, betrieb einen privaten Autohandel – kaufte günstig, verkaufte teurer.


Beim Lesen von Max’ Chiffre-Inserat – «infolge Auswanderung zu verkaufen» – lief ihm das Wasser im Mund zusammen: 4000 Franken für einen 1957er Opel Rekord. Die Hälfte vom Listenpreis! Da Stadelmann als einziger bereit war, bar zu zahlen, wählte Max ihn aus vielen Bewerbern aus. Doch «Bargeld lacht» stimmte für einmal nicht. Für keinen der Beteiligten.


Max hatte zwar einen schicken, in die Jahre gekommenen Citroën, aber den angebotenen Opel hatte er nicht. Am Abend vor dem «Chrampf» weihte er Ragnhild ein. Sie half bei der Planung. Er war Herr Keller, sie seine Gattin. Sie sollte Stadelmann mit dem Citroën am Bahnhof abholen und dabei «zufällig» einem befreundeten Herrn Meier (Max) begegnen und diesem eine Mitfahrgelegenheit anbieten.


Den Weg vom Bahnhof Baden auf die Baldegg, wo der Opel angeblich bereitstand und wo man Stadelmann eins überziehen wollte, hatte Max mit Ragnhild zur Übung abgefahren. Aber dann bog sie vor Nervosität falsch ab und landete in einer Sackgasse. Max auf dem Hintersitz geriet in Panik: Stadelmann würde Lunte riechen! Also improvisierte er und haute dem Beifahrer von hinten mit dem Wagenheber auf den Schädel.


Der Kerl will nicht Ruhe geben ...
Das niedrige Autodach verhinderte, dass er ausholen konnte, und so war der Schlag zu sanft. Stadelmann blieb bei Bewusstsein, auch nach weiteren Hieben. Man bugsierte ihn nach hinten, Ragnhild daneben, Max übernahm das Steuer. Jedes Mal, wenn sich Stadelmann rührte, gab ihm Ragnhild eins über die Rübe. Als sie einmal im Dunkeln den Schlegel nicht fand, zog sie Stadelmann einen Schuh aus und schlug ihn damit. Im Kintopp-Film wäre das lustig gewesen. Aber das Leben ist keine Dick-und-Doof-Komödie.
Irgendwann gelang es dem benommenen Stadelmann, auszusteigen. Als die Innenbeleuchtung anging, wurde das ganze Ausmass der Untat augenfällig: überall Blut, auf jeder Scheibe, in jeder Ritze. Max schlug den Fliehenden und bugsierte ihn wieder auf den Rücksitz. Ins Wasser mit ihm, war sein einziger Gedanke – das Blut abzuwaschen, schien naheliegend ...


Aber dass Stadelmann lebendigen Leibes in die Reuss geworfen wurde, schien schon sehr grausam. Auch wenn der Gerichtsmediziner später über den Ertrunkenen feststellen sollte, er wäre an den über 15 Schlägen ohnehin gestorben.


Mit Ragnhilds Hilfe säuberte Max das Auto, verbrannte einen Teil der Innenausstattung. Und dann fuhr er die Karre, die sie beide nach Dänemark zum Auswandererschiff bringen sollte, zu Schrott. Er sabotierte sich wohl unbewusst selbst. Zu dem Zeitpunkt war – trotz fehlender Leiche – der Tatbestand des Raubmords bereits manifest: Zeugen hatten von Stadelmanns Plan, den inserierten Opel zu kaufen, berichtet und die blutbefleckte Geldtasche war gefunden worden. Max war sogar schon entlarvt, nur wusste das noch fast keiner.


Sein Notizzettel mit dem Text der Auto-Annonce, den er in der Inserateabteilung des «Aargauer Tagblatt» abgegeben hatte, war veröffentlicht worden. Der Betreibungsbeamte Schälkli, der öfter mit dem klammen Max zu tun hatte, hatte dessen Handschrift wiedererkannt. Er teilte seinen Verdacht, Märki sei der gesuchte Raubmörder, der Polizei mit. Doch der zuständige «Schmier» liess den Vorgang unter den Tisch fallen. Wieder so ein Wichtigtuer, mochte er gedacht haben.


Max’ gefrässiges Gewissen plagte ihn, er vertraute sich einem Arbeitskollegen an, der zum Chef ging. Dieser nahm Max ins Gebet: Er solle sich stellen. Das hatte Max schon selber erkannt, anders konnte er nicht mit sich ins Reine kommen. Aber dass der Patron ihn auf den Posten begleitete, war schon eine grosse Hilfe.


Nach der Haftentlassung gingen sie getrennte Wege  
Dort sang Max treuherzig wie ein Vögelchen. Nicht nur Ragnhild – die es ihm nicht übel nahm – ritt er mit hinein, sondern auch seinen Vater, der ihm die grossen Scheine gewechselt und sich so der Hehlerei schuldig gemacht hatte. Max erhielt lebenslänglich und wurde nach 17 Jahren wegen guter Führung entlassen, Ragnhild bekam 15 Jahre Zuchthaus und kam nach neun Jahren frei.


Nach der Entlassung ging der «Musterhäftling» eine Vernunftehe ein, kaufte ein Haus, gründete einen Betrieb, lebte 24 Jahre rechtschaffen und starb dann an Bronchialkrebs, vermutlich eine Spätfolge von eingeatmeten Baugiften. Ragnhild ging ein Jahr nach der Haftentlassung und Ausweisung in Norwegen eine Ehe ein. Gesehen haben sie sich nie mehr.

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