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Wortsalat

Warte nur, zeitnah
 ruhest Du auch

Zeitnahe Termine für die Booster-Impfung seien im Kanton Bern vergeben. So stands im BT, so stands woanders. Doch was heisst zeitnah? Ist es das Gleiche wie bald? Wie schnell? Schneller als bald oder gar
bälder als schnell?

Bild: Matthias 
Knecht, 
Sprachgourmand

Das Woxikon kennt 178 Synonyme für zeitnah, darunter alsbald, beizeiten, rasch und geschwind. Das Online-Wörterbuch beantwortet allerdings nicht die Frage, warum eine halbwegs klare Zeitangabe wie «schnell» oder «beizeiten» durch ein bürokratisches «zeitnah» ersetzt wird. Wird hier etwas verschleiert?

Das Wörterbuch der Gebrüder Grimm, der Vorläufer des Duden und des Heuer, kennt «zeitnah» nicht. Stattdessen verzeichnen die Sprachexperten des 18. Jahrhunderts Begriffe wie raschhineilend, baldgläubig oder auch das herrliche Wort hurtig, das es im gesamten deutschen Sprachraum gab. Odysseus etwa war im hurtigen Schiffe unterwegs, und Tell-Erfinder Friedrich Schiller versicherte im Wallenstein, der hurtige Dienst gefalle den Königen. Heute ist dieses Adjektiv nur im Berndeutschen gebräuchlich, wo man auch sonst einige besondere Wörter zur Geschwindigkeitsmessung kennt, so etwa «gsprängt» oder «jufle».

Auch der Wahlberner Albert Einstein befasste sich mit den speziellen Zeitdimensionen im Kanton Bern, was im Jahre 1905 in der Relativitätstheorie mündete. Möglicherweise liess er sich von der unfassbaren Geschwindigkeit inspirieren, mit welcher der bernischen Verwaltung ein Licht aufgeht, daher Einsteins Konstante der Lichtgeschwindigkeit, welche keinesfalls überboten werden darf, egal wie eilig es so ein Atom oder so eine Epidemie hat.

Eine ähnliche Zeitwahrnehmung wie im Bernischen pflegt man in Mexiko. Nötigt man einen Bewohner dieses herrlichen Landes zu einer Zeitangabe, was meist nur mit tiefgezogenem Sombrero und vorgehaltenem Revolver gelingt, so erhält man ein «ahorita» zur Antwort, die Verkleinerungsform von ahora, jetzt. Eine einfache Übersetzung gibt es nicht. Ahorita heisst in etwa: «Ich würde jetzt wirklich gerne die versprochene Dienstleistung liefern, glaubs mir, aber eben, die kranke Schwiegermutter, das knappe Budget, und Siesta habe ich heute auch noch nicht gehalten. Erspar es mir bitte, einen Termin zu nennen, den ich ohnehin nicht einhalten werde!»

Ist das bernische zeitnah also die lange gesuchte Übersetzung des mexikanischen ahorita? Keinesfalls! Der Blick in die Archive Schweizer Medien zeigt, dass es das Wort schon sehr lange gibt, jedoch in ganz anderer Bedeutung. Die NZZ verwendet den Begriff seit dem 19. Jahrhundert, und zwar im Sinne von gegenwärtig – unserer Zeit nah. Da sprechen Gelehrte zeitnahe Fragen an oder ein Buch erweist sich als zeitnah. In diesem Sinne ist in Schweizer Medien bis Anfang des aktuellen Jahrhunderts die Rede von zeitnahen Menschen, Berufen oder Empfindungen.

Dann verschwand das Wort aus dem Sprachgebrauch und kehrte um das Jahr 2015 zurück, im Sinne von ... ja von was? Könnte mir das jemand hurtig beantworten?

Info: Matthias Knecht unterstützt das BT bei der Sprachpflege.


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