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Jolimont

Wenn alte Mauern zu Musik werden

Sie steht da, leicht versteckt in den Bäumen. Auf einem Hügel oberhalb von Erlach. Viele wissen nicht mal, dass sie existiert. Das ist gut so. So geniesst die Villa auf dem Jolimont ihre Ruhe und kann sich voll auf ihre musizierenden Gäste konzentrieren.

Rückzugsort: In der Villa Jolimont dreht sich alles um Musik. Bild: Vera Urweider

Vera Urweider

Die Ohren spitzen. Sich auf Geräusche konzentrieren. Einlassen. Vielleicht gar für einen kurzen Moment den Atem anhalten. Die Augen kurz schliessen. Und dann, langsam, Schritt für Schritt, einen Fuss vor den anderen setzen. Sich durch die Räume tasten. Knarrt der Boden? Quietscht die Tür? Tropft der Wasserhahn? Wie klingt dieses alte, vielzimmrige Haus, wenn man genau hinhört? Was erzählt es einem? Und noch viel mehr: Wie und was antwortet man? Vielleicht kann man es musikalisch einfangen?

So oder ähnlich spielt es sich immer wieder ab in der Villa Jolimont ob Erlach. Mehrmals im Jahr versammeln sich Kinder und Jugendliche aus der Schweiz und dem umliegenden Ausland im 131-jährigen Haus. Sie kommen mit kleinen Geigen- und Celloköfferchen, mit Blasinstrumenten, und geniessen dann jeweils während einer musikalischen Woche Haus, Wiese, Wald und Abgeschiedenheit. Denn ausser dem Jolimont-Gut ist nichts auf diesem grünen Hügel.

Handy wird Nebensache

Die Villa, das Gästehaus, ist in Privatbesitz, der Wanderweg von Erlach her kommend geht nicht an ihr vorbei. Sie ist ein Rückzugsort. «Darum schauen wir während unserer Musikwochen nur selten auf die Handys», so Barbara Tillmann. Man will sich dann jeweils ganz auf die Ruhe und die Musik konzentrieren und eben, auch auf die Geräusche drinnen von Keller bis Estrich, und draussen, rund ums herrschaftliche Haus. Der Estrich übrigens seien voll mit allerlei Kostümen aus verschiedenen Theaterfundi. Und im Haus stehen ganze elf Klaviere. «Manchmal machen wir Ballabende mit Walzer und so. Dann können sich die, die wollen, sogar passend verkleiden», sagt sie weiter. Es sind viele Welten möglich, in der kunterbunt-ähnlichen Villa.

Fünf bis sechs Kinder- und Jugendmusikwochen finden jährlich statt auf dem Jolimont. Zurzeit werden die meisten von Oboistin Barbara Tillmann geleitet, das zweiwöchige Sommerlager von ihrer Schwester Bettina und deren Mann. Im Ganzen zählen die Tillmanns vier Geschwister, zwei haben Musik studiert, zwei sind Primarlehrer. Genau die Mischung, die ihre Eltern Regine (Kindergärtnerin und Musikerin) und David Tillmann (Primarlehrer und Musiker) – das Gründerpaar der Jolimont-Musikwochen – als Berufe hatten. Der verstorbene Zürcher Primarlehrer David Tillmann organisierte während vielen Jahren Sommermusiklager an den verschiedensten Orten der Schweiz. Bis er auf die geheimnisvolle und quasi verlassene Villa Jolimont traf. Da blieb er schliesslich. Ab Frühling 1964 dann sogar halbjährlich, denn er gründete kurzerhand seine eigene Privatschule.

Für die fünfte und sechste Klasse seiner Jolimont-Schule bedeutete dies: Durch den Winter ein halbes Jahr Tagesschule in Zürich, im Sommer dann ein halbes Jahr Internat auf dem Jolimont. Während den Sommerschulferien im Juli lösten die Musiklagerkinder dann jeweils die Zürcher Internatskinder für zwei Wochen ab.

Immer mit dabei die vier Tillmannkinder. «Ich hatte nicht eine Klasse, mit der ich die ganze Primarschulzeit verbrachte. Ich hatte jedes Jahr eine neue Klasse», erinnert sich Barbara Tillmann. Eine Zeit, an die alle vier Geschwister gerne zurückdenken.

Musikalisches Erbe

Über 30 Jahre war Internat und Musiksommerlager Alltag auf dem Jolimont. Heute ist da kein Internat mehr, dafür gibt es eben das ganze Jahr durch Musikwochen. Viele Kinder von früher sind heute Berufsmusiker geworden. Von manchen früheren Teilnehmern kommen heute bereits deren Kinder in die Lager.

Diese Wochen sind so beliebt unter den jungen Musizierenden, dass manche immer wieder kommen. Und Tillmanns müssen gar eine Warteliste führen. Doch reguliere sich dies eigentlich gut von selber. «Wir haben die Musikwochen altersmässig unterteilt», so Tillmann.

Und irgendwann wachsen die Kinder aus den Kinderlagern raus und machen Platz für Neue. Selber dürfen sie dann an den Wochen für die Älteren, bis 25, teilnehmen. Wer einmal einen Ohrenschein von einer solchen Musikwoche nehmen möchte, kann dies am «Herbstmusizieren» am 17. Oktober um 11 Uhr machen. Dann werden die Sieben- bis Zwölfjährigen ihr Können zu selbstgedrehten Stummfilmen präsentieren.

Stichwörter: Jolimont, Musik

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