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Historische Kriminalfälle

Zu Brei geschlagen – 
auf Teufel komm raus

Sadistische Sektierer hatten ein 16-jähriges Mädchen brutal zu Tode gefoltert. 
Der «Exorzistenprozess von Ringwil» sorgte in den 60er-Jahren für grosse Aufruhr in der Bevölkerung.

Bild: Keystone
  • Dossier

Von Irene Widmer, sda

An einem schönen Sonntag im Mai 1966 meldete ein Herr Barmettler aus Wangen bei Olten den Tod seines 16-jährigen Ferienkinds Bernadette Hasler. Ihre Blutergüsse erklärte er damit, dass er sie wegen übermässiger Masturbation öfter habe bestrafen müssen. Die Wahrheit war allerdings weitaus drastischer.

Die Untersuchung ergab, dass das Mädchen buchstäblich zu Brei geschlagen worden war. Die Tracht Prügel war so heftig und langandauernd gewesen, dass sich Bernadettes Unterhautgewebe verflüssigte und eine Lungenembolie verursachte. Sie erstickte qualvoll.

Das dürfte aber nichts gewesen sein im Vergleich zu den Qualen, die das Mädchen zuvor erlitten hatte. Sechs Personen hatten ihr während einer Stunde mit Stockschlägen auf Gesäss und Extremitäten «den Teufel ausgetrieben».

Sie hätten wohl noch lange nicht aufgehört, wäre der «Besessenen» vor Schmerzen nicht der Stuhl abgegangen. Der «christliche» Schlägertrupp ekelte sich. «Friss dä Dräck», herrschte sie einer an. Das Mädchen tat’s und musste erbrechen, was den «Exorzisten» noch mehr zuwider war. Bernadette wurde kalt abgespritzt und dann zum Bach geschickt, um ihre Kleider auszuwaschen.

Ausländische Medien schrieben, Bernadette sei bei der Prügelorgie nackt gewesen. Paradoxerweise hätte ihr das vielleicht das Leben gerettet: Ein Gerichtsgutachter gab später an, Prügel auf die nackte Haut seien weniger gefährlich, weil dann die Haut aufspringe und das Blut abfliessen könne.

 

Perverse Suggestionen

Dass Prügel ohnehin nicht Teil eines ordnungsgemässen Exorzismus’ sind, hätte zumindest einer der Beteiligten wissen müssen: Josef Stocker – er nannte sich unbescheiden «heiliger Vater» – war ausgebildeter Theologe und hatte als Pater praktiziert. Im Studium sollte er gelernt haben, dass Exorzismen vom Bischof abgesegnet werden müssen und ausschliesslich mittels Gebeten erfolgen.

Doch Stocker war nur scheinbar der Chef des «heiligen» Schlägerkommandos, treibende Kraft war seine Lebensgefährtin Magdalena Kohler. Sie hatte beim gemütlichen Beisammensein vier Jünger – die Gebrüder Hans, Heinrich und Paul Barmettler plus den Ladenbesitzer Emilio Bettio – gegen Bernadette aufgehetzt: das Mädchen habe in gotteslästerlichem Ausmass unkeusche Gedanken.

Was die anderen nicht wussten: Kohler selber hatte Bernadette sexuelle Perversionen suggeriert. Die Schwester des Opfers schilderte vor Gericht, wie die «heilige Mutter» sie und Bernadette genötigt habe, sich schriftlich sexueller Verfehlungen zu bezichtigen, beispielsweise des Geschlechtsverkehrs mit dem Teufel. Waren die Tagebucheinträge nicht aufreizend genug, sei Magdalena wütend geworden. Aus Angst hätten die Schwestern immer «schweinischeres» Zeug erfunden.

 

Gott duldet keine Widerworte

Doch Kohlers Wut erst so richtig entfacht hatte Bernadettes Widerspenstigkeit. Die 16-Jährige war in der Pubertät, Rebellion war gleichsam ihr Job. Und anders als die anderen Kinder, die in einem sekteneigenen Heim erzogen wurden, kannte Bernadette die «heiligen Eltern» gut: Denn diese hatten sich, bevor sie nach Ringwil ins Ferienhaus des Jüngers Bettio zogen, jahrelang im Haus der Haslers versteckt, weil ihnen im Herkunftsland Deutschland ein Prozess drohte.

Gut möglich, dass Bernadette die Perfidie von Kohler und Stocker besser als andere durchschaute. Vater Hasler hatte jeweils alle Familieneinkünfte bei Kohler abliefern müssen und nur ein Taschengeld bekommen. Als er sich einmal erkundigte, wo das Geld hingehe, schnauzte die «heilige Mutter», das gehe nur den Lieben Gott etwas an.

 

Sekt als Grundnahrungsmittel

Die Unterwürfigkeit der Mitglieder von Stockers und Kohlers «Internationaler Familiengemeinschaft zur Förderung des Friedens» war unbeschreiblich. So beschloss die Schlägercrew, Bernadettes Leiche vom Tatort zu entfernen, um die «heiligen Eltern» vor der Polizei zu schützen. Auch Bettio sollte herausgehalten werden, denn als Lebensmittelhändler sorgte er für die Verpflegung des gebenedeiten Chefpaars – inklusive Sekt, den Stocker angeblich zum Überleben brauchte.

Auch als die Haupttäter zu ihrer grossen Überraschung in Bettios Chalet in Ringwil verhaftet wurden, nuckelte Stocker gerade an einer Sektflasche. Die Überführung von Bernadettes Leiche nach Wangen hatte nicht die gewünschte Ablenkung gebracht. Denn Vater Hasler hatte zwar bei dem Manöver mitgemacht, aber ihm wurde es dann doch zu viel: Er verpfiff die «heiligen Eltern».

Die Empörung in der Bevölkerung war grenzenlos. Jemand legte Feuer ans Chalet. Zwei Mal. Und nachdem der Prozess begonnen hatte, gingen zwei Bombendrohungen ein für den Fall, dass die «heiligen Eltern» nicht die Höchststrafe bekämen.

Das Gericht liess sich nicht einschüchtern und gab beiden je zehn Jahre Zuchthaus statt der beantragten 15 Jahre für Stocker und 14 Jahre für Kohler. Strafmildernd dürfte sich ein psychologisches Gutachten ausgewirkt haben, das den Beiden bescheinigte, dass sie wirklich an das glaubten, was sie taten.

 

Draht zu Gottes «Schmarrn»

Das «heilige Paar» war nämlich ursprünglich eine Dreifaltigkeit gewesen. Drittes Mitglied war die deutsche Ordensschwester Stella, die einen direkten Draht zum Heiland hatte und dessen Botschaften auf 18 000 Seiten niedergeschrieben hatte. Der Papst persönlich soll die Genehmigung zur Veröffentlichung erteilt haben.

In dem Betrugsprozess 1958 in Waldshut, vor dem Stocker und Kohler geflohen waren, bezeichnete die fromme Bayerin ihr Geschreibsel allerdings als «Schmarrn».

Zu dem Prozess gekommen war es, weil das Trio Tickets für die Arche Noah verkaufte. Wer nicht zahlte, wurde mit dem Tod durch Ertrinken bedroht. Das Gericht wartete seltsamerweise mit der Verfahrenseröffnung, bis der prophezeite Termin für die Sintflut verstrichen war. Man kann ja nie wissen ...

Magdalena Kohler im brigen war kein leuchtendes Beispiel für die läuternde Wirkung des Strafvollzugs: 1988 tat sie «Gottes Werk» erneut. Ihre 66-jährige Hausangestellte überlebte das nicht.

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