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Energie

30 000 Haushalte mit russischem Gas

Die Versorger im Kanton Bern importieren fast die Hälfte des Erdgases aus Russland. Der Angriff auf die Ukraine gibt der Energiewende neuen Schub.

Symbolbild: Keystone

Julian Witschi

«Finanziert der Berner Versorger EWB – und damit auch ich als Kunde – den russischen Einmarsch in die Ukraine?», fragt ein Leser der «Berner Zeitung» in einem E-Mail an die Redaktion. «Stecken da zum Teil meine eigenen Franken in den Panzern auf den Bildern?», möchte er wissen.

Die Antwort ist: ja, ausser man bezieht 100 Prozent Biogas. Das günstigere Standardprodukt von Energie Wasser Bern (EWB) enthält aber 75 Prozent Erdgas. Das Unternehmen beschafft sein Gas zusammen mit anderen ­Versorgern grossmehrheitlich über den Gasverbund Mittelland. Und vom Erdgas stammt rund die Hälfte aus Russland. Gemäss neuesten aufgeführten Zahlen von 2019 sind es 53 Prozent.

 

Geldmaschine Gazprom

Kontrolliert wird die russische Gaswirtschaft von Gazprom. Der Konzern steuert auch die Pipelines und hat so ein Monopol für den Erdgasexport. Der russische Staat hält einen Mehrheitsanteil von 50 Prozent plus eine Aktie an dem Unternehmen. Dies spült Milliardengewinne in die Staatskasse. In vergangenen Jahren stammte etwa die Hälfte der Staatseinnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas.

Die Abhängigkeiten sind gegenseitig gross, jene der europäischen Länder vom russischen Gas und jene Russlands von den europäischen Geldüberweisungen. Die Europäische Union hat nun zwar die Sanktionen gegen Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine drastisch verschärft.

Einen Stopp für den Import von russischem Öl und Gas lehnten die EU-Mitgliedsländer aber vorläufig ab. Umgekehrt erklärte Gazprom, trotz des Angriffs werde der Gastransit durch die Ukraine nach Europa fortgesetzt. Doch die Märkte nehmen das nicht für bare Münze. Kurzfristige Lieferunterbrüche werden befürchtet. Die Preise im Gashandel sind in den letzten Tagen steil gestiegen. Am internationalen Handelsplatz in den Niederlanden betrug der Aufschlag 50 Prozent.

 

EWB senkt Gaspreise

In Bern senkt EWB derweil die Gaspreise für ihre Kundschaft. Ab morgen verlangt sie 0,56 Rappen weniger pro Kilowattstunde. Für einen Beispielhaushalt mit einem jährlichen Verbrauch von 10 000 Kilowattstunden (das entspricht etwa 1000 Kubikmetern) für das Heizen einer 4,5-Zimmer-Wohnung sinken die Ausgaben um rund 60 Franken im Jahr.

Es ist die dritte Senkung, seit die Tarife letzten November stark erhöht worden waren. Die Marktpreise seien in den letzten Wochen leicht gesunken, erklärt EWB. Dies dank milderen Temperaturen und einem höheren Angebot an Flüssiggas, welches nach Europa geliefert werde. Allerdings heisst es bei EWB auch, per 1. April sei wieder eine Erhöhung möglich.

Die Lage ist unberechenbar. Die Gasversorgung sei aber vorläufig gesichert, sagt Benoît Revaz, Direktor des Bundesamts für Energie. Analysten der Bank Vontobel gehen zwar davon aus, dass Russland seine langfristigen Energielieferverträge wie in der Vergangenheit einhalten werden. Aber es sei unwahrscheinlich, dass Russland zusätzliches Gas liefern werde, um die europäischen Vorräte im Sommer aufzufüllen. Diese lägen derzeit 20 Prozent unter dem 5-Jahres-Durchschnitt, warnt Vontobel. Dies könnte sich im nächsten Winter als grosses Problem erweisen.

Russland verfügt über die grössten Gasreserven weltweit. Beim Öl ist Putins Riesenreich weniger dominant. Aber selbst im rot-grünen Bern bleibt die Abhängigkeit von russischem Gas gross. Jeder dritte Haushalt in der Stadt wird mit Gas geheizt. Millionen sind in die Infrastruktur investiert, da scheint ein schneller Ausstieg zu teuer. Auch Biel, Thun, Burgdorf, Langenthal und Lyss betreiben weiterhin Gasnetze.

Die Grünen fordern seit Jahren ein Verbot von neuen Öl- und Gasheizungen. An der Urne wurde ein Verbot aber abgelehnt. Jetzt schlägt der Regierungsrat statt eines solchen Verbotes Anreize vor für den Ersatz durch klimafreundlichere Heizungen wie Wärmepumpen.

Im Wahlkampf machen sich die Grünen aber wieder für ein Ölheizungsverbot stark. «Die ­aktuelle Krise zeigt virulent, dass wir von den fossilen Systemen so rasch als möglich wegkommen sollen», sagt die Präsidentin der Grünen im Kanton Bern, Natalie Imboden.

Im Kanton Bern gebe es heute 90 000 Ölheizungen und
30 000 Gasheizungen; hinzukommen Gasverbraucher in Industrie, Gewerbe und Infrastrukturen. «Es rächt sich jetzt, dass wir den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht rascher vorantreiben», sagt Imboden.

Jürg Grossen, Nationalrat der Grünliberalen, findet auch, die Schweiz müsse beim Zubau der Erneuerbaren vorwärtsmachen. Gas kommt für Grossen in Zukunft nur noch in erneuerbarer Form infrage, um die Versorgungsprobleme zu lösen, also als Biogas oder synthetisches Gas. Im Vordergrund steht für Grossen aber ebenfalls der Ausbau der Solarenergie.

 

Rückkehr zum AKW?

Auch für FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen zeigt der Krieg in der Ukraine, dass Abhängigkeiten von Russland vermieden werden müssten. Ein Ausbau der erneuerbaren Energien ist für ihn prioritär. Wasserfallen möchte aber auch das Technologieverbot für neue AKW aufheben. Denn im Gegensatz zu Gas könnten die Brennelemente von Atomkraftwerken aus mehr Ländern und für mehrere Jahre Vollbetrieb beschafft werden. Der russische Angriffskrieg befeuert somit bereits jetzt die Debatte um die energiepolitische Zukunft neu.

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