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Spitäler

Alle gegen den Notstand in der Pflege

Pro Jahr werden 5000 Pflegefachleute zu wenig ausgebildet. Darum stammt jede dritte Fachperson aus dem Ausland. Während der «Krieg um Talente» tobt, sucht die Branche Lösungen. Bern etwa büsst Betriebe mit zu wenig Ausbildungsplätzen.

Pflege ist ein Frauenberuf. Das ist mit ein Grund, wieso dem Personalmangel so schwer beizukommen ist. Bild: Keystone

CHRISTOPH AEBISCHER

Bei Ärzten beträgt der Ausländeranteil 40 Prozent, beim Pflegepersonal sind es über 30 Prozent. Dank vergleichsweise guten Arbeitsbedingungen holten sich Schweizer Spitäler in den letzten Jahren ausländisches Fachpersonal. Nur so war der Pflegenotstand zu handhaben. Für Bernhard Wegmüller, Präsident des Schweizer Spitalverbands H+, ist dieses Potenzial jedoch praktisch ausgeschöpft: «Nachbarländer wie zum Beispiel Deutschland haben aufgeholt und holen wieder Personal zurück. Das Ausweichen auf ferner liegende Länder ist problematisch wegen der Sprachbarrieren.»

Der «Krieg um Talente»

Darum tobt nun der «Krieg um Talente». Am 7. November lädt H+ unter dem provokativen Titel «War for Talents» in Bern zu einem Kongress zum Thema Personalmangel ein. Darin geht's um weit mehr als die gegenwärtig Furore machenden Ablöseprämien.

Oda Santé, die Dachorganisation der Gesundheitsberufe, geht davon aus, dass pro Jahr rund 5000 Fachkräfte zu wenig ausgebildet werden. Während beim Einstiegsberuf Fachpersonen Gesundheit mittlerweile die Talsohle durchschritten sei, klaffe die Lücke bei Spezialisten nach wie vor, führt Petra Wittwer-Bernhard aus. Henriette Schmid, Bereichsleiterin Weiter- und Ausbildung am Inselspital, ortet eine Ursache auch darin, dass nach relativ langer Ausbildung eine nicht besonders gut bezahlte, anforderungsreiche Arbeit wartet.

Neuer Anreiz für Spitäler

Der Turnaround ist zwar nicht geschafft, aber zumindest eingeleitet. Dies erstens mit der neuen Bildungssystematik, die zu jedem Abschluss eine direkt anschliessende Weiterbildung anbietet. Die Reform brachte endlich auch eidgenössisch anerkannte Pflegeberufsabschlüsse.

Seit 2012 besteht für Spitäler zweitens auch der Anreiz, Ausbildungsplätze anzubieten: Sie können die daraus entstehenden Kosten geltend machen. Noch einen Schritt weiter geht der Kanton Bern. Im sogenannten «Berner Modell» werden Betriebe, die Kantonsgeld erhalten, sogar zur Ausbildung verpflichtet. Wer die Vorgaben nicht erfüllt, muss einen Malus bezahlen. Das stösst nicht überall auf Gegenliebe. Die Meinungen in der Branche sind geteilt, ob es neben dem Zuckerbrot auch die Peitsche braucht.

Drittens werden ständig neue Ausbildungsgänge entwickelt, um Wieder- und Quereinsteigerinnen abzuholen.

So weit, so gut, findet Schmid. Doch statt das Geld immer wieder in Anpassungen der Ausbildungsprogramme zu stecken, wäre laut Schmid entscheidender, dass der Lohn während der Ausbildung zum Leben reicht. Zudem sollte bei einer Spezialisierung der neue Abschluss für die Absolventin auch zu einem höheren Gehalt führen: «Für eine Pflegefachfrau ist es wenig attraktiv, eine Zweitausbildung zur Fachfrau Operationstechniker HF zu beginnen, wenn sie danach ‹nur› einen Abschluss der Höheren Fachschule in der Tasche hat.» Während Witt-wer-Bernhard von Oda Santé diese Forderung unterstützt, stiess Schmid bei der kantonalen Gesundheitsdirektion bis anhin auf taube Ohren.

Das Aufwerten eines Berufes birgt aber auch Konfliktpotenzial, weil Verteilkämpfe zwischen Berufsgruppen aufflammen können: Die Hebammen etwa wollen mehr Kompetenzen im Gegenzug dafür, dass neuerdings die Berufsmatur nötig ist für die Zulassung zur Ausbildung. Sie wollen einige Leistungen, die noch Gynäkologen vorbehalten sind, künftig selber ausführen.

Verhaltene Zuversicht

Die Anstrengungen auf verschiedenen Ebenen tragen nur langsam Früchte. Immerhin: Fachperson Gesundheit ist mittlerweile die am dritthäufigsten gewählte Ausbildung von Schulabgängerinnen. «Bei Spezialisierungen stehen wir jedoch erst am Anfang», sagt Wittwer-Bernhard.

Die Krux am Gesundungsprozess: Hohe und ermüdende Anforderungen in einigen Berufen treiben die Fluktuationsrate hoch. Dasselbe bewirkt der ausserordentlich hohe Frauenanteil: Weil im Pflegebereich 90 Prozent Frauen arbeiten, steigen viele aus, sobald sie eine Familie gründen. Mit der geplanten Einführung des neuen, etwas umständlich benannten Berufs Medizinalprodukteaufbereiter sollen darum speziell Männer angesprochen werden.

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