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Riehen

Als Psyche den Amor erblickte

Die Ausstellung «Rodin/Arp» in der Fondation Beyeler ist eine Schule des Sehens, die eindrückliche Gegenüberstellungen präsentiert. Zum Beispiel Rodins «Psyche mit Lampe», die auf Arps «Menschlich, mondhaft, geisterhaft» trifft.

Hans Arp: Menschlich mondhaft geisterhaft, 1950 Gips, aus dem Musée national d'art moderne, Centre Georges Pompidou in Paris. Bild: zvg

Helen Lagger

Im Garten der Fondation Beyeler in Riehen steht eine grosse Fassung von «Der Kuss», einer geradezu ikonischen Bronzeskulptur des französischen Bildhauers und Zeichners Auguste Rodin (1840-1917). Romantischer geht es kaum: Zwei sich innig umarmende Liebende, ein Pavillon und blühende Magnolienbäume. Kein Wunder, dass diese Szenerie von Besuchenden eifrig für Selfies genutzt wird. Wie innovativ die bewegten Oberflächen, das nicht ganz Fertige von Rodin einst waren, ist heute ähnlich schwierig nachzuvollziehen wie die Tatsache, dass die heute zahlreiche Kalender und Regenschirme zierenden Impressionisten einst auf Unverständnis stiessen. Tatsächlich wurde Rodin stilistisch vom Symbolismus wie vom Impressionismus geprägt, liebte das Skizzenhafte und Unvollendete und warf wortwörtlich den Sockel über den Haufen. Mit der Ausstellung «Rodin/Arp» präsentiert die Fondation Beyeler nun eine Gegenüberstellung mit einem anderen Avantgardisten, mit dem Dadaisten Hans Arp (1886-1966), der in Strasburg zur Welt kam, aber in Basel starb. Die Oberflächenbehandlung ist ein erster grosser Unterschied, der zwischen Rodin und Arp ins Auge fällt: Bei Rodin scheint alles in Aufruhr zu sein, während Arps organische Skulpturen meist glatt poliert daherkommen. Beide bezogen sich auf die Antike, beide interessierten sich für Entstehungsprozesse, für Verwandlung, Veränderung und Bewegung. Sinnigerweise gehört Tanz zum Rahmenprogramm der Schau, und zwar in Form einer Performance der belgischen Starchoreografin Anne Teresa De Keersmaeker, die auf die Werke von Rodin und Arp Bezug nimmt.

 

Fliehende Liebe

Rodin wie Arp haben sich aus der antiken Mythologie bedient, beide interessierten sich für den Vitalismus, die Philosophie des Lebendigen. Für Rodin war «fugit amor» – die fliehende Liebe – ein wichtiges Thema, das ihm erlaubte starke Gefühle und Bewegung in seinen Skulpturen auszudrücken und umzusetzen. Der Mythos um Psyche lieferte ihm zahlreiche Inspirationen. Die Erzählung, die Züge eines Märchens aufweist, berichtet über eine aussergewöhnlich schöne Frau namens Psyche, die Venus die Schau zu stehlen droht. Die Liebesgöttin beauftragt daraufhin ihren Sohn Amor, einen Zauber über Psyche zu werfen, der verhindern sollte, dass je einer sie wird heiraten können. Als Amor den Plan ausführen will, sticht er sich an seinen eigenen Pfeilen und verliebt sich unsterblich in die junge Frau. Der göttliche Amor darf sich der sterblichen Psyche jedoch nicht zeigen. Er nähert sich ihr deshalb nur nachts, so dass sie ihn nicht sehen kann. Von ihren Schwestern lässt sich Psyche dazu verleiten, herauszufinden, wer der geheimnisvolle Liebhaber ist. So lauert sie Amor mit einer Lampe auf und leuchtet ihm ins Gesicht, worauf dieser die Flucht ergreift. Den dramatischen Moment, als Psyche ihren Liebhaber erblickt, wählte Rodin für «Psyche mit Lampe» aus dem Jahre 1899. Rodin hat eine sich duckende Figur gestaltet, deren Mantel mit ihrem Haar zu verschmelzen scheint. Es ist ein beeindruckendes Zusammenspiel von Höhlungen und Wölbungen, dass die Skulptur bestimmt. Rodin ging es weniger darum, den Mythos nachzuerzählen, sondern die Reaktion eines von heftigen Emotionen erfassten Körpers und die damit einhergehenden Transformationen sichtbar zu machen. Beim um die Figur herumgehen, entdeckt man unterschiedliche Silhouetten, die zunehmend ins abstrakte abdriften. Von der Rückseite betrachtet erkennt man die Frauengestalt kaum noch: Das Dargestellte wirkt wie fliessendes Wasser.

 

Zwiegespräch zweier Giganten

Auch die Gipsplastik «Menschlich mondhaft geisterhaft» (1950) von Hans Arp gilt es aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Die drei Adjektive sind mehr als ein Versprechen der mehrdeutigen Gipsskulptur. Oder anders gesagt: Das sich Verflüchtigende ist hier noch flüchtiger als bei Rodin. Es ist, als würde Leben in der undefinierbaren Figur pulsieren, ein Mensch sich unter einem Tuch winden. Ebenso gut kann man statt des Gestalthaften eine Landschaft – das Mondhafte – in der Figur erkennen. Ob sich Rodin und Arp im realen Leben begegnet sind, ist wahrscheinlich, aber durch keine gesicherte Quelle belegt. Dass der Jüngere vom Älteren fasziniert war, ist hingegen gesichert, da er sich teils explizit auf dessen Werk bezog. Etwa mit dem Werk «Automatische Skulptur» (1938), das er Rodin widmete. Dem Kurator Raphaël Bouvier geht es, wie er in seinem Katalogtext betont, allerdings nicht hauptsächlich darum, die künstlerische Beeinflussung Rodins auf Arp herauszuarbeiten. Vielmehr sollen Berührungspunkte, gemeinsame Interessenfelder und Unterschiede offengelegt werden. Und natürlich darf das von Kuratorinnen und Kuratoren so häufig bemühte Wort «Dialog» nicht fehlen. Dass hier für einmal tatsächlich eine Art Zwiegespräch stattzufinden scheint, ist den präzisen Gegenüberstellungen zu verdanken. «Rodin/Arp» ist eine Schule des Sehens, die einem nebenbei auch Zeuge werden lässt von der Entwicklung der modernen Plastik, die mit Rodin ihren Anfang nahm.

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