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Neuerscheinung

Am Rand der Revolution regiert die Nabelschau

Laura Vogts Romandebüt «So einfach war es also zu gehen» liest sich rasant: Ein Vater geht flöten. Während die eine Tochter den Frust in sich reinfrisst und dann ausspuckt, taucht die andere in Kairo ab. Am Ende steht eine Art Befreiung unpolitischer Art.

UDie Kairoer Brücke Kasr-Al-Nile führt zum Tahrir-Platz, der am 25. Januar 2011 zum Symbol der ägyptischen Revolution wurde. Die Protagonistin im Roman «So einfach war es also zu gehen» sucht eher persönliche denn politische Befreiung. Keystone

Clara Gauthey

Es ist eines dieser Bücher, die man immer wieder weglegt. Nicht, weil es so langatmig geschrieben ist, sondern weil man noch ein bisschen mehr davon übrig behalten möchte für die nächste Lektüre. Wie bei einem köstlich duftenden Essensbestandteil, den man bis zum Schluss auf dem Teller liegen lässt, um die Vorfreude zu steigern. Die Feder der Autorin Laura Vogt ist flott und produziert Süffiges, so dass er auch gut hätte länger sein dürfen, dieser Roman.

Abschied von den Eltern

Schon am Ende des ersten Abschnitts fällt das Signalwort «Tahrir Square». Wer nun eine Abhandlung zum Arabischen Frühling und politischen Hintergründen erwartet, wird enttäuscht. Denn obwohl wir uns über weite Strecken auf Kairoer beziehungsweise ägyptischem Boden tummeln, und die Protagonistin nur einige Meter vom Ort des Geschehens entfernt ist, geht es ihr um völlig andere Belange als politische Befreiung. Einen Abschied von den Eltern zum Beispiel. Vor allem vom Vater. Der tatsächliche Abschied liegt zwar viele Jahre zurück, verdaut ist er deshalb aber noch lange nicht.

Während die Hauptfigur Helen versucht, den Kummer über die kalte Schulter des Vaters in Kinderjahren im (neuen) Abhängigkeitsverhältnis mit einem rätselhaften, politisch engagierten Ägypter zu verdauen, kommt das «Unverdaute» ihrer Schwester Naomi buchstäblich wieder hoch. Die kämpft mit der Bulimie. Und beide auf ihre Art mit den verletzten Kinderseelen.

Der Vater ist mit einer neuen Frau in einer Sekte abgetaucht, hat sich nach und nach zum kaltschnäuzigen Ego-Finder auf Kosten seiner früheren Anbindungen entwickelt. Wohin mit der Wut, wenn keiner mehr da ist zum Anschreien? Die Schwestern haben eigentlich nicht einmal mehr einander, das Verhältnis ist angespannt, beim Treffen in der mütterlichen Wohnung geht Helen ihrer Schwester aus dem Weg und bald schon zieht es sie nach Kairo, da dort sowohl ihr ägyptischer Liebhaber als auch eine Freundin leben.

Weggehen, um anzukommen

Kairo: Die 18-Millionen-Stadt wird zur Kulisse unerfüllter Sehnsüchte verschiedener Menschen, die dort suchen: den Vater, die politische Gerechtigkeit, die Liebe. Es stellt sich heraus, dass die Stimme des Vaters weder jener eines Gandhi noch jener von Jesus ähnelt, sondern einfach der eines alten Mannes.

Kairo und die Pyramiden im Umland bleiben Dekoration, Hauptschauplatz ist die Wohnung, welche Helen bezieht und in der sie mit ihrem ägyptischen Geliebten Khaled die Bettlaken zerwühlt, heimlichtuerisch, und sich in stummer Frustration an seiner Kälte abarbeitet. Diese Liebesgeschichte und die Suche nach einem gewissen Frieden mit ihren Anverwandten sind aber für sich genommen schon genügend spannens, so dass die politischen Spannungen im Land zur puren Hintergrundmusik verkommen.

Das Innere steht im Fokus, das Draussen bleibt schemenhaft und klischiert. Denn obwohl Helen des Arabischen durchaus mächtig ist, bleibt sie eine Schweizer Touristin auf Exoten-Tour. Im Land der Pyramiden, Galabijas und Shishas interessiert sie sich eigentlich bis zum Schluss nicht dafür, den politischen Blog ihres Lovers Khaled zu übersetzen.

Dass dieser ausgerechnet den gleichen Vornamen trägt wie jener junge Mann, der 2010 von zwei Polizisten in Alexandria erschlagen wurde und später zum Märtyrer der Demonstranten wird, ist kaum Zufall. Nur, dass das eben Helen so gar nicht auffallen will, obwohl ihr die Freundin Bilder des gleichnamigen Misshandelten per Laptop unter die Nase reibt. Aber das ist genau der Reiz an diesem Buch, dass es am Ende eben um Nabelschau geht. Wenn auch nicht um jene langfädige Kreisbewegung, sondern einen dynamischen Psychokrimi, der den eigenen Bauchnabel durchaus mit Ironie betrachtet. So wird der politische «Tag des Zorns» zur persönlichen Abrechnung mit Unausgesprochenem. Und führt unter anderem zu der vielleicht banalen Erkenntnis, zwar oft umgefallen zu sein, aber sich die Knie doch nie blutig geschlagen zu haben.

Info: Laura Vogt, «So einfach war es also zu gehen», Edition Literatur Ostschweiz, VGS & GdSL, 23 Franken.

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Zur Person

Laura Vogt, geboren 1989 in der Ostschweiz, wo sie (wieder) mit Tochter und Partner lebt, schrieb Kolumnen im «Bieler Tagblatt»; arbeitet u.a. als Schriftdolmetscherin und hielt sich längere Zeit in Uganda, Ägypten, Griechenland auf.
2009 bis 2012 Studium der Kulturwissenschaft an der Universität Luzern.
2012 gewann sie denSchreibwettbewerb «Literaare», 2012 bis 2015 Studium am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel; Mentorin dort: Ruth Schweikert.
Freitag, 6. Mai, 15 Uhr, Lesung an den Solothurner Literaturtagen, Landhaus Säulenhalle. gau

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