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Biel

«Auf der Strasse erreicht man alle»

Sie kommt aus Vevey, er aus St. Gallen – zusammen sind Sophie Benvenuti und Felix Stöckle nach Biel gezogen und haben sich hier einen Traum erfüllt. Ende Monat startet ihre Plakataktion «Paper View».

Mit der Siebdruckwerkstatt haben sich Sophie Benvenuti und Felix Stöckle auch einen Traum erfüllt. Bild: Peter Samuel Jaggi

Simone K. Rohner

Bald wird es soweit sein. Bald werden in Biel die ersten Plakate des Projekts zu sehen sein, gestaltet von jungen Künstlerinnen und Künstlern aus Vevey und St. Gallen. Alle von Hand im Siebdruckverfahren gedruckt. Eigenhändig von den Kunstschaffenden. Plakate von Bieler Kunstschaffenden wiederum werden bald in den anderen beiden Städten im Osten und Westen zu sehen sein. Die ersten Plakate werden Ende Januar aufgehängt. Das Projekt zieht sich durch das ganze Jahr hindurch.

Mit ihrer Plakataktion «Paper View» waren Sophie Benvenuti und Felix Stöckle bereits im Schweizer Fernsehen zu sehen. Das Paar wurde dafür mit dem dritten Platz des Wettbewerbs der Sendung «Kulturplatz» ausgezeichnet.

Ein Projekt als Lichtblick 
im Coronadunkel
Seit dem letzten Herbst befindet sich ihr Büro Studio 90 zusammen mit ihrem offenen Druckatelier Turbopress am Unteren Quai 90 in Biel. Eigentlich war es grad kein guter Zeitpunkt, um so eine Unternehmung zu starten. Die zweite Coronawelle rollte gerade an. Doch die beiden wagten es trotzdem.
Zum einen, weil sie günstig an die Siebdruckmaschinen kommen konnten, zum anderen als Lichtblick im düsteren Corona-tunnel, in dem sich Künstler und Veranstalterinnen seit dem letzten Jahr befinden. Es ist auch ein schlechter Zeitpunkt, um sich als Neuankömmlinge mit der hiesigen Szene der jungen Kunstschaffenden bekannt zu machen. Denn, ohne Veranstaltungen trifft man sich ja nicht. Kommt nicht ins Gespräch. Dem sind sich auch die beiden bewusst. Einige Kontakte konnten sie aber trotzdem knüpfen. Mit Vera Trachsel zum Beispiel, die ebenfalls im Sommer Plakate zeigen wird. Und natürlich Chri Frautschi.

Sophie Benvenuti ist Biel aber keineswegs ganz fremd. Sie besuchte hier nämlich den Vorkurs und wollte nach dem Studium wieder zurückkommen. Die Bieler Offenheit hat es ihr angetan – auch was die Kunstszene betrifft. Die Zweisprachigkeit passt für beide. Ursprünglich kommt Benvenuti aus Vevey, Muttersprache Französisch. Felix Stöckle hingegen kommt aus St. Gallen, er ist Schweizerdeutsch aufgewachsen. Die beiden lernten sich während des Studiums in Luzern kennen. Sie ist Illustratorin und hat letztes Jahr den Bachelor abgeschlossen – im Fernunterricht. Er ist Künstler und schliesst dieses Jahr ab. Beide besuchten einen Siebdruckkurs während des Studiums. Dieses Handwerk hat es ihnen angetan.

Trotz Corona,
aber auch dank Corona
Ost und West trafen sich in der Mitte und machten sich also auf nach Biel. Auch weil sie hier das gefunden haben, was sie brauchen für ihr Projekt: Zentral gelegene Räumlichkeiten für ihre offene Druckwerkstatt und das Büro, das sie sich mit der Grafikerin und Tattoo-Künstlerin Diotima Grossert teilen. «Biel bietet viele Möglichkeiten und Platz, auch für Junge wie uns», sagt Stöckle.

Die Lokalität am Kanal in der Nähe des Kino Rex bietet viel Platz und grosse Schaufensterfronten. Die sind Gold wert in Coronazeiten. Denn die Druckwerkstatt soll auch Ausstellungsort werden – der Raum soll in Zukunft auch als Offspace dienen. Videokunst und eine Performance haben sie so bereits gezeigt – bei geschlossenen Türen.  Ein nächstes Projekt beginnt am Mittwoch. Es ist ihre Reaktion auf den seit heute geltenden Lockdown. «Die Verschärfungen der Massnahmen finden wir zwar gut, bis anhin wurde halbherzig entschieden. Doch die Kultur leidet darunter. Wir Kunstschaffenden leiden und uns wird nicht wirklich geholfen. Blumenläden dürfen offen haben, wir aber nicht. Kultur ist wichtig für eine Gesellschaft, nur erkennen das leider viele Menschen nicht», so Stöckle. «Wir haben viel Tatendrang, können aber fast nichts mehr machen.» Das macht ihn auch wütend. Sie fühlten sich als Kulturschaffende nicht wertgeschätzt von der Politik. «Andererseits wäre ‹Paper View› ohne Corona gar nie entstanden», so Benvenuti. Und ohne den coronabedingten  Wettbewerb des Schweizer Fernsehens gäbe es auch weniger Aufmerksamkeit für das Projekt und die Druckwerkstatt des Paars.

Mit Kunst den Röstigraben überwinden
Die Idee zur Aktion kam den beiden natürlich wegen Corona. Wenn die Menschen nicht zur Kunst können, muss die Kunst eben zu den Menschen – also auf die Strasse. «Im Museum erreicht man nur einen Teil der Bevölkerung, der sich für Kunst interessiert. Auf der Strasse erreicht man alle», so Stöckle.

Es soll aber auch ein Kulturaustausch über Sprachgrenzen und den Röstigraben hinweg sein. Das hat auch mit ihren eigenen Wurzeln zu tun. Für die Auswahl mussten die Kunstschaffenden etwas mit einem der drei Orte Biel, St. Gallen oder Vevey zu tun haben. Dazu haben die beiden selbst Kunstschaffende angefragt, einige haben sich auch bei ihnen beworben.

Jedes Plakat wird eine Woche lang zu sehen sein. Drucken werden die drei Kunstschaffenden jeweils gemeinsam in der Werkstatt. Benvenuti und Stöckle geben das Farbkonzept vor, sonst erhalten die Kunstschaffenden eine Carte Blanche – soweit das die Technik des Siebdrucks erlaubt. Zu sehen sein werden die Plakate an speziellen Kultursäulen. In Biel gibt es derer 16. Eine Publikation und eine Wanderausstellung mit allen Plakaten an allen drei Standorten, «damit liebäugeln wir dieses Jahr noch», so das Paar.

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