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Kultur

Augen auf 
und durch!

«Bastomaia» ist knall-neon-orange, saumässig dick und ultraschwer – 
und das neue Buch des Bieler Künstlerpaars M.S. Bastian & Isabelle L. 
In gefühlten fünf Kilo zeigen sie mit dem Megabilderbuch einen Überblick über ihr Gesamtwerk, das rund 35 Jahre umspannt.

Tragetasche für LPs, 1985: M.S. Bastians typische Elemente tauchten früh auf - Henri Rousseau trifft auf Popkultur. Bild: zvg

Simone K. Rohner

Wenn Bücher sprechen könnten, dieses hier würde lauthals schreien. «Bastomania» versucht, eine Auswahl zu zeigen und das Schaffen des Duos M.S. Bastian und Isabelle L. zu repräsentieren – wer sich auf das wilde Gemetzel einlässt, erhält Einblick in eine kaum fassbare Welt zweier Menschen, die am Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom zu leiden scheinen.

Man gibt sehr schnell auf, sich einen kurzen Überblick über diese Reizüberflutung in Buchform machen zu wollen. Es bleibt nur eins – Augen auf und durch! «Genau das war unser Ziel», geben die beiden schmunzelnd zu. Deshalb sucht man auch einen das Ganze einordnenden Text, ein klassisches Vorwort, wie man es in so einem Werk erwarten würde, vergeblich. Es gibt keine Gewichtung, keine Hierarchie – Anarchie in Buchformat sozusagen.

Ein Grundkonzept lässt sich somit eigentlich auch nicht ausmachen. Alles wurde scheinbar zufällig zusammengemixt, gesampelt. Das Werk, das bei Scheidegger und Spiess rauskommt, ist grob thematisch und nach Figuren geordnet. Es findet sich aber auch eine Auswahl der vielen Presseberichte, die über die Jahre zusammengekommen sind. Ein Kapitel befasst sich mit der Galerie Polstergruppe und dem späteren Kunstmuseum und Kunstmausoleum an der Spitalstrasse 37 in Biel. Eines ist dem Pulp gewidmet. Fast alle Bilder sollen für sich selbst sprechen. Die wenigen Stimmen, die im Buch vorkommen, bekommen so, ob gewollt oder nicht, aber auch mehr Gewicht.

 

Die Polstergruppe als Galerie

Sehr unterhaltsam ist die Evolution der Berichterstattung der lokalen und nationalen Presse. War in den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren die Haltung M.S. Bastians Kunst gegenüber noch sehr ablehnend, wurde sie über die Jahre zunehmend positiver. Einerseits widerspiegelt das natürlich die damalige Schweiz – kulturell nicht sehr aufgeschlossen. Andererseits aber wiederum das Werk selbst. «Ich war im Herzen Anarchist und habe damals nicht zugelassen, dass ich Kunst nur aus der Lust dazu mache. Ich dachte, es sei ein politischer Akt, zu malen, und jedes Bild musste eine politische Message haben.»

Er beschreibt seine damalige Haltung als sehr dogmatisch. Ein Schwarz-Weiss-Denken, das wohl viele Anfang Zwanzig haben. Aus der Idee, jungen Künstlern und sich selbst eine Plattform zu bieten, entstand die Galerie Polstergruppe: «Man muss es sich vorstellen, damals gab es praktisch keine Orte zum Ausstellen, und die Stadt hatte kein Museum wie das Pasquart.»

Zusammen mit zwei Freunden aus der Schule für Gestaltung, Lorenzo Le Kou Meyr und Michael Hertig, beide heute bekannte Menschen der nationalen Kulturszene, eröffneten sie 1986 im Zentrum der Stadt Biel eine Galerie, die diese Lücke schliessen sollte. Die Polstergruppe. Ohne wirkliches Budget, aber mit viel Idealismus und der nötigen Prise Naivität überlebte das Projekt bis zum Abbruch der Immobilie. Stark unterstützt wurden sie dabei von ihrem Lehrer, Edi Aschwanden. Er unterzeichnete den Mietvertrag und verhandelte wenn nötig mit der Polizei.

Die Dokumente, die diese Zeit festhalten, wie das Manifest der Gruppe oder der Briefverkehr zwischen den drei Gründern und ihrem Vermieter, lässt einen schmunzeln. Ein kleiner Medienbericht aus dem Jahre 1987 beschreibt eine Ausstellung der Polstergruppe in Grenchen wie folgt: «Ich habe noch selten eine Ausstellung besucht, die in mir einen derartig deprimierenden Eindruck machte (…). Es ist eine traurige, hoffnungslose und restlos unheilbare Welt, geprägt an der Lust am Untergang, die in den Arbeiten geschildert wird. (…) Das alles ist nicht notwendig.»

 

Kein Genre auslassen

Solche Kritiken erhalten M.S. Bastian und Isabelle L. heute nicht mehr. Aber auch das Werk ist weniger radikal in diesem Sinne. Man könnte ihre Arbeiten schnell als oberflächliche, kunterbunte Gutelaunekunst abtun. Doch Werke wie die Bastokalypse oder Guernopolis stimmen durchaus auch düstere Töne an. Beide sind so voll und dicht, dass man von Weitem den Eindruck erhält, man schaue auf eine graue Fläche.

Plastiktüte, Gurten-Bahn, eine Geisterbahn, die nicht greifbare Figur Pulp, die raumgreifende Bastokalypse, Bars aber auch Gemälde im Stile naiver Malerei und Skulpturen, die ans Werk von Hans Arp erinnern – die Bandbreite von M.S. Bastian und Isabelle L. ist schier unendlich.

Vor keinem Genre machen sie halt, nichts wird nicht bekritzelt und vereinnahmt: Popkultur wird mit Hochkultur in den Mixer gesteckt und alles kräftig zusammengemantscht. Picasso und Bart Simpson stehen sich ebenbürtig gegenüber. Der Pulp reitet quer durch die Kunstgeschichte. Mal wird Henri Rousseau interpretiert, mal wild und expressiv Jean-Michel Basquiat zitiert, immer wieder tritt Picasso thematisch und optisch als Element auf. Isabelle beschreibt es als Hommage: «Wenn wir zitieren, ist es immer auch eine Liebeserklärung an den Künstler.» Dabei kann man das als Kommentar zum Kunstkonsum der Masse verstehen oder sich einfach auch nur an der Buntheit und am Detailreichtum erfreuen. Man kann Tiefe sehen, wenn man will, oder eben auch nicht. Denn ihre Kunst als überladen zu bezeichnen, wäre eine milde Untertreibung. Collageartig wird gesampelt, verdichtet bis zum Gehtnichtmehr und erweitert.

Eine Leinwand ist nicht genug, es müssen dreizehn sein, wie für die «Bastokalypse», die man ebenfalls in Ausschnitten im Buch findet. Ein kleiner Pulp reicht nicht, er soll meterhoch auf die Menschen runterschauen.

 

«Sparen für die Geisterbahn»

Doch wo führt das überbordende Werk hin? Die beiden verweisen auf ihr zukünftiges Langzeitprojekt, eine gigantische Geisterbahn. Eigentlich eine alte Idee, die in viel kleinerem Format schon in Luzern am Fumetto und in Düsseldorf gezeigt wurde. Viele ihrer Themen und Elemente kommen immer wieder zurück. Neben der Pulp-Figur kommt auch das Thema «Paradis mistérieux» immer wieder. Erstmals taucht es 1985 auf einem Plastiksack für Schallplatten auf. «Für die Geisterbahn sparen wir jetzt», wirft Bastian ein.

In ihrem Kunstlager geht es, überraschenderweise, ziemlich ordentlich zu und her. Wenn auch sehr voll, sogar die Stühle sind von Pulp-Zeichnungen bevölkert. Die Werke der letzten acht Jahre reihen sich hier aneinander. Bücher stapeln sich. In der Mitte des Raumes stehen Skulpturen und kleinere Objekte dicht nebeneinander. Ein Bücherregal wird von Nippes und Pulp-Figuren in allen Grössen besiedelt. Bart Simpson im Halloweenkostüm hier, Mickey Mouse da. In einer Ecke steht ein riesiger Pulp-Kopf aus Plüsch, an einer Wand tut sich eine menschenhohe Pappskyline vor einem auf – und alles grinst einen fröhlich gruselig an. «Ich hatte schon als Kind immer tonnenweise Sachen im Zimmer aufgehängt. Etwa alle drei Monate räumte ich auf und schmiss die Sachen wieder raus. Das Zimmer musste aber dann wieder schnell aufgefüllt werden», erzählt er.

Isabelle hingegen war schon früh eher kleinformatig und detailverliebt unterwegs: Ein Skizzenbuch nach dem anderen wurde gefüllt und Gerberkäsli-Schachteln mit kleinen Szenen bespielt. Schaut man sich die frühsten Werke von M.S. Bastian an, erkennt man bereits die Bildsprache und Themen, die erst ein paar Jahre später wieder zum Vorschein kommen sollten.

Die Basti-Boliden zum Beispiel: Eine Kinderzeichnung des dreijährigen, damals noch auf den Namen Marcel hörenden Künstlers, die mit entschiedenem Strich Autos und zwei Gesichter zeigt, zeugt davon. Eines der Gesichter grinst ziemlich hinterhältig. Ein anderes Bild, das er als Elfjähriger gemalt hat, zeigt einen Geist auf einem Friedhof, die visuellen Parallelen zum Pulp sind offensichtlich. Eine weisse, weiche Figur, grosse Kulleraugen. «Als Künstler denkt man immer, man sei so konzeptionell unterwegs und alles sei so durchdacht», meint er lachend.

 

«Es gab auch Krisen»

Beim Buch ist die Konzeptlosigkeit wiederum Konzept. Aber man bekommt trotzdem auch Einblick ins Schaffen der Beiden. Das Kapitel «Vier Tage im Atelier» versucht eine Antwort zu geben auf die Frage, die sich einem bei der Lektüre aufdrängt: Wie schaffen sie es bloss, zusammen zu arbeiten? Wie arbeitet man an solchen vielteiligen, an Detailreichtum überschäumenden Bildern?

«Wir leben den Albtraum vieler Menschen», kommentieren sie. Vierundzwanzig Stunden zusammen leben und arbeiten, davon würde jeder Paartherapeut wohl abraten. «Es gab auch Krisen», geben sie zu. Am Anfang hätten sie viel darüber gesprochen, was sie wie umsetzen wollten, erinnert sich Isabelle. Doch das habe nur zu Missverständnissen und falschen Erwartungen geführt.

Wie schafft man es, ein dreizehnteiliges Riesengemälde der Hölle zu malen, ohne fundamentale, alles infrage stellende Beziehungskrise? «Wir einigen uns auf das Thema und gewisse Begebenheiten. In ‹Bastokalypse› zum Beispiel auf die Sumpflandschaft und dass wir verschiedene Horrorszenarien darstellen wollten. Dann fangen wir einfach an zu arbeiten und das Ganze ineinander zu verweben», beschreibt Isabelle den Prozess. «Wenn mal etwas auf der Leinwand ist, wird es einfacher, darüber zu sprechen.» Anhand von Skizzen und Referenzen, die sich im Buch finden, kann man den Schaffensprozess nachvollziehen und es wird erkennbar, woraus die Beiden ihre Inspiration ziehen.

Seit 2004 arbeitet das Paar in der Kunst fest zusammen. Bastian gibt es seither «nur» noch im Doppelpack zusammen mit Isabelle L. Verändert hat sich das Werk durch Isabelles Mitarbeit thematisch wie auch optisch. Japan beispielsweise wurde erst Thema in ihrer Arbeit, weil Isabelle dort unbedingt hinreisen wollte. Die Bilder sind seit ihrer Zusammenarbeit bunter und viel dichter geworden. Aber auch grösser und aufwändiger. «Als wir uns entschieden haben, permanent zusammen zu arbeiten, gab es schon auch Schwierigkeiten», so Bastian. Da habe es zum Teil Widerstand aus der Galerienszene gegeben. Denn M.S. Bastian war bereits ein gefestigter Begriff in der Kunstszene, ein eigener Brand.

Die Idee zur Zusammenarbeit entwickelte sich auf einer gemeinsamen Weltreise. «Ich war damals auch ein bisschen in einer Krise. Nach fünfzehn Jahren hatte ich das Gefühl, alle Geschichten erzählt zu haben», erinnert sich Bastian. Der Übergang vom Einzelkämpfer zum Teamspieler ging aber nicht reibungslos. Darum hätten sie auch irgendwann das Vetorecht eingeführt: Es wird nur ausgestellt, was beide gut finden und beide unterschreiben. Ausserdem wurden in den ersten paar Jahren alle Werke noch unter dem Namen M.S. Bastian präsentiert. «Als wir uns der Sache sicher waren, haben wir angefangen, unsere Zusammenarbeit zu kommunizieren», so Isabelle. Diese Kollaboration ermöglichte es den Beiden, auch grössere Projekte in Angriff zu nehmen, wie die «Bastokalypse». Dieses Werk im Speziellen zeugt von der Ausdauer und Hartnäckigkeit, die sie bei ihrer Arbeit an den Tag legen.

Bastomania:
Die Publikation erscheint im Verlag Scheidegger & Spiess.
Sie zeigt auf gut 600 Seiten über 1000 Bilder, Fotografien, Objekte und Dokumente.
Die Buchvernissage findet am 2. November um 19 Uhr in der Stadtbibliothek in Biel statt, der Eintritt ist frei. sro

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