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Kulturpreis

Ballerina zu werden, war der Traum ihrer Mutter

Seit mehr als 30 Jahren ist die Ballettschule von Barbara Bernard eine Institution in Grenchen. Einige ihrer Schülerinnen sind heute Profis. Im Januar erhält Bernard den Kulturpreis der Stadt.

  • 1/9 Barbara Bernard beim Training mit einer ihrer begabtesten Schülerinnen– die 14-jährige Cléa Guerry aus Biel will auch Ballerina werden. Sie ist laut ihrer Lehrerin auf gutem Weg dorthin. peter samuel jaggi
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Simone K. Rohner
«Nein, das sind keine Ballettfüsse», sagt Barbara Bernard gleich, als sie auf meine vorgestreckten schwarz besockten Plattfüsse blickt. «Nein, das wird nichts mit dem Ballett mit solchen Füssen.» Es ist nicht der erste Primaballerina-Traum, den die Ballettlehrerin platzen lässt. Zugegeben, dieser war auch nicht ernst gemeint. Mit Anfang 30 sind die meisten Ballettkarrieren bekanntlicherweise  bereits zu Ende oder neigen sich dem Ende zu.
«Nein, um Gottes Willen. In meinem Alter kann man nicht mehr auf der Bühne stehen.», antwortet die ehemalige Profitänzerin auf die Frage, ob sie heute selber noch tanze. Während des Gesprächs in ihrem Umkleidezimmer im Tanzstudio raucht sie zwei Zigaretten – die langen Dünnen. Und das Ballett – geht sie noch hin? Schaut sie es sich an? «Es ist für mich schwierig», gibt sie zu. Das habe sicher auch damit zu tun, dass sie selbst nicht mehr tanze und auf der Bühne stehe. Das ist aber nicht der einzige Grund. «Entweder man denkt: Das hättest du nie gekonnt. Oder: Warum hast du so früh aufgehört? Du hättest ja noch tanzen können!»

Eine lange kurze Karriere
Sie stand 18 Jahre lang auf den Ballettbühnen. Und nicht auf irgendwelchen. Wuppertal – in den 60er-Jahren eine bedeutende Institution – Kassel, Köln und auch an der Wiener Staatsoper war sie als Solistin engagiert, um nur einige Stationen zu nennen.
«Heute wäre ich zu klein fürs Ballett», sagt sie nüchtern. Nüchtern, klar artikuliert und direkt – so wirkt Bernard, auch abseits des Unterrichts. Seit über 30 Jahren unterrichtet sie klassisches Ballett in Grenchen – vier mal die Woche, mehrere Stunden. Eine Zeit lang hatte sie sogar zwei Studios – das in Grenchen und eins in Solothurn. Sie ist zierlich. Hohe Wangenknochen, mit Rouge akzentuiert, geben ihrem Gesicht Kontur. Die Wimpern sind dick mit schwarzer Tusche geschminkt. Ein markanter Lidstrich umrandet ihre Augen, die starken Augenbrauen geben ihr etwas Ernstes und je nach Ausdruck Strenge. Die kurzen, dunkelbraunen Haare sitzen. Die hatte sie sich auch schon früher geschnitten, obwohl das, während ihrer Engagements eigentlich verboten war. Primaballerinas haben lange Haare.
Bernard beendete ihre Karriere ihrer Beziehung zu Liebe. Ihr Mann, der Bieler Gregor Schildknecht – er verstarb 2017 – war Opernsänger, tourte viel umher für Gastspiele, damit liess sich, für Bernard, eine zweite Karriere dieser Art schwer vereinbaren. Es stimmte für sie nicht mehr.  «Ich dachte, irgendwann muss ich eh aufhören.» Also hörte sie auf, folgte ihrem Mann. Sie war Anfang 30. «Am Schluss war mir mein Mann ehrlich gesagt aber auch wichtiger als meine Karriere», gibt sie zu, ohne eine Spur Reue in ihrer Stimme. Doch einfach war die Situation nicht für sie, die nie etwas anderes in ihrem Leben gemacht hatte, als auf der Bühne zu stehen und zu tanzen.   

Früh übt sich...
Ihre eigene Karriere fing schon sehr früh an. Ein richtig kindliches Kind, ein Mädchen, das mit Puppen spielte, war sie nie. Mit sechs wurde sie von ihrer Mutter in die erste Ballettstunde geschickt. Es war nicht ihr eigener Traum, sondern der ihrer Mutter. Ihre Eltern betrieben eine Metzgerei in Wuppertal. Nach demUnterricht, dem die Mutter auch beiwohnte, gab sie ihrer Tochter jeweils Anweisungen, wo sie sich verbessern musste, woran sie zuhause arbeiten sollte. «Und dann ging es zuhause nochmal ran.» Mit 14 ging Bernard von der Schule, studieren lag ihr nicht. Sie jubelte ihrer Mutter ein Austrittsformular unter, das sie unterschreiben sollte. Und die unterschrieb. Sie merkte erst zwei Wochen später, was sie da eigentlich unterzeichnet hatte, als ein Brief der Schule ins Haus flatterte, der sie über den Austritt ihrer Tochter informierte.
Dann musste Bernard – gerade einmal 14 Jahre alt – selber schauen, wie es weiter gehen sollte. «Meine Mutter erlaubte mir, pro Monat 50 D-Mark, das war damals viel Geld, für meine Tanzausbildung auszugeben.» Genauso viel verlangte die Folkwang-Schule in Essen – sie wurde aufgenommen. Nach zwei Jahren bekam sie bereits das erste Engagement – in Wuppertal. Auf den bedeutenden Bühnen angekommen, interessierte sich ihre Mutter jedoch nicht mehr sonderlich für die Tochter und ihre vielversprechende Karriere. Die Eltern mussten sich um ihre andere Tochter kümmern, ihr nun die Aufmerksamkeit schenken, die sie ihr wegen der Schwester hatten vorenthalten müssen. «Ich habe das verstanden», sagt Bernard, ohne nostalgisch zu klingen. Überhaupt liegt ihr nichts ferner als Nostalgie. Sie besitzt kein einziges Foto mehr von sich aus der Zeit, als sie noch tanzte. «Ich habe eines Tages ein Feuer im Kamin gemacht und alle verbrannt.» Ihr Mann konnte das nicht verstehen. «Das gab einen Krach.»
Sie und ihre Schwester sind seit jeher sehr unterschiedlich. Sie hat fünf Kinder, Bernard wollte nie welche. Die beiden Schwestern trennt nur etwas mehr als ein Jahr. «Ich war ein schüchternes Kind», sagt sie. Ihre Mutter habe ihr stets eingeredet, auf keinen Fall aufzufallen in der Schule. Wegen potenzieller Neiderinnen. Man kannte sie schon früh im Ort. Sie war ein Bühnenkind. Sammelte sogar Filmerfahrung. Und so hatte sich das zierliche Mädchen eine schlechte Schulterhaltung angewöhnt. Fürs Ballett musste sie die erst einmal loswerden.

Haltung, Haltung, Haltung
Wenn sich die Haltung nicht in den ersten drei Monaten verbessern würde, gebe es keine Zukunft für sie im Ballett, sagte ein Lehrer an der Folkwang-Schule zu ihrer Mutter. «Meine Mutter sagte darauf, dass wir dann gar nicht wiederzukommen bräuchten.» Doch anstatt sich davon unterkriegen zu lassen, beschloss die junge Schülerin, ihrer Mutter zu beweisen, dass sie es schaffen konnte. Sie war schon früh resilient und hatte Ehrgeiz. Das half ihr später auch bei ihrer Karriere. Es scheint fast so, als ob der fehlende Mutter-Glaube in die Tochter die beste Vorbereitung für die knallharte Ballettwelt war, die Bernard von ihrer Mutter erhalten konnte – ob mit Absicht oder nicht. «Für das Ballett muss man alles Aufgeben», so Bernard. Vorne muss alles schön sein, jedes Haar muss am rechten Platz sitzen. Der Ausdruck muss stimmen– dabei soll alles leicht und elegant aussehen, während es Knochenarbeit ist – nicht nur für den Körper, auch für die Psyche. Und das in einem Umfeld, das nicht dafür bekannt ist, Verständnis gegenüber Schwächen zu zeigen.  Im Gegenteil. Es warten immer neue Tänzerinnen darauf, von einer Schwäche, einer Verletzung der Solistin zu profitieren. Das erfuhr auch Bernard am eigenen Leib, als sie einmal über drei Monate sehr krank war, und lange in Krankenhaus bleiben musste. «Alle meine Rollen wurden aufgeteilt und man sagte mir, ich solle dann nicht meinen, dass ich die alle wieder zurückbekommen würde.»
Sie kündigte das Engagement in Köln. Das stürzte sie in ein Loch, aus dem sie ohne Hilfe wohl nicht mehr herausgekommen wäre. «Ich war rappeldürr». Drei Monate sind eine lange Zeit im Profiballett. Der Körper verliert schnell Muskeln, wird er nicht trainiert. Durch Kontakte ihrer Mutter kam sie dann nach Österreich. Landestheater Linz. «Ich weiss nicht, was ich gemacht hätte, hätte ich dieses Engagement nicht bekommen.» Auch sie profitierte dann vom Krankheitsfall einer Solistin – so funktioniert sie, diese Bühnenwelt. «Ich hätte in Köln nicht kündigen sollen. Ich hätte mich durchbeissen müssen», sagt sie rückblickend über diese Zeit. «Aber dann hätte ich meinen Mann nicht kennengelernt.»

Sie lebt im Jetzt
Doch mit all dem hat Bernard lange abgeschlossen. Das Verbrennen der Fotos, die von ihrer Solistinnenkarriere zeugen, war für sie weniger ein Akt der Zerstörung eines Ich, das es nicht mehr gibt, als ihre Art, mit diesem Kapitel ihres Lebens abzuschliessen. «Diese Zeit ist vorbei.» Sie lebt im Jetzt. Das tat sie immer. Wahrscheinlich muss man das, in einer solch kurzen Karriere. Auch mit dieser Tatsache beschäftigte sie sich nicht, während sie tanzte. Und jetzt, wie soll es weitergehen? Bernard lebt mit ihrem Hund, der Yorkshireterrier-Hündin Olga in Brügg. «Sie ist nicht reinrassig», sagt Bernard und gibt ihrem Hündchen zu verstehen, dass sie es trotzdem lieb hat. Mit der Schule will sie weitermachen, so lange es geht. Sie hat ihr auch über den Tod ihres Mannes hinweggeholfen. Das Unterrichten, die Unterstützung ihrer Schwester und ihrer Familie. «Wenn ich das nicht gehabt hätte, würde ich jetzt wahrscheinlich in einer kleinen Vase neben meinem Mann stehen.» 

Info: Am 16. Januar 2020, 19 Uhr ist die Preisverleihung im Sonderpädagogischen Zentrum Bachtelen, Grenchen.

Stichwörter: Ballett, Kulturpreis, Grenchen, Tanz

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