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Musik

Basteln ist gut, ein guter Song ist besser

Nick Porsche hat sich vom Rock und seiner früheren Stammband Puts Marie wegbewegt. Das Debütalbum «Big Fish» zeigt ihn als vielfältigen Songschreiber,. dem der Pop weniger fremd ist, als es auf den ersten Blick den Anschein macht.

Nick Porsche (vorne links) wandelt auf Solopfaden, aber mit Band: Hannes Prisi, Simon Spahr und Ali Dada (v.l.). zvg
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Tobias Graden

Ein Quartett spielt Boule, wir sehen es in Zeitlupe. Jede Bewegung wird so mit Bedeutung aufgeladen, und das Auge kann auf Details verweilen:Auf diesen schönen spitzigen Schuhen, die durch die Erde stapfen, als gehörten sie einem Cowboy in einem Westernfilm vor dem finalen Duell. Auf den Erdklümpchen, die von diesen spitzigen Schuhen aufspritzen. Auf der Bierdose, die der Velofahrer während des Fahrens in der rechten Hand hält, ähnlich einer Zigarettenkippe. Eine durstige Truppe ist es ohnehin, dieses Quartett, lässt es sich doch nicht nur einzelne Flaschen, sondern gleich ein ganzes Paket Bier auf den Anhänger laden.
Sie, die da scheinbar bedeutungsschwer durch die Gegend radeln, sind Nick Porsche und seine Band im Video zum Stück «Justify». Die Slow-Motion ist sicher kein Zufall – sie schärft nicht nur das Auge, sondern auch das Ohr. Und das lohnt sich: «Big Fish», das neue Album von Nick Porsche, besticht nicht nur durch seine Songs, sondern auch durch viele Details und seinen Klang.

Lust auf Strophe und Refrain
Nick Porsche? Genau, er ist wohl immer noch eher bekannt als der langjährige Schlagzeuger der Bieler Band Puts Marie und nicht als Solokünstler. Seit Anfang war er bei Puts Marie dabei. Dass er auch ganz eigene musikalische Ideen umzusetzen vermag, zeigte er erstmals im Jahr 2012, als er in einer Bandpause die Solo-EP «As Much As I Don’t Have» veröffentlichte. Praktisch alle Instrumente spielte er dafür selber ein, obwohl er von sich sagt, bestenfalls am Schlagzeug einigermassen sattelfest zu sein. Einen gewissen eigenen Stil habe er nun gefunden, sagte er damals, doch sei er ständig auf der Suche. Und ein richtiges Album werde er dann mit einer Band aufnehmen.
Mittlerweile hat er sie, diese Band, schon seit mehreren Jahren. Zuerst kam aber der Abschied von Puts Marie: «Das war  keine leichte Entscheidung, doch die Zeit war reif dafür», sagt Nick Porsche. Das Tourleben und die Konzerte wurden ihm etwas zu viel, und auch musikalisch entwickelte man sich zunehmend auseinander: «Ich bin vom Rock weggekommen. Was aus mir herauskommt, ist feiner.» Die jüngste Entwicklung – Puts Marie wenden sich mehr und mehr der Improvisation zu – dürfte ihn bestärkt haben: «Ich habe Lust auf Songs, auf Strophe und Refrain.»

Das ist eine Band
Die Parteien trennten sich im Frieden, gute Freunde sind die Beteiligten nach wie vor. Und das gilt auch für die mittlerweile eben nicht mehr ganz so neue neue Band. In dieser spielen:Ali Dada an der Gitarre; Simon Spahr, bekannt als Gitarrist von Pegasus, am Bass; Hannes Prisi (alias Hugo Panzer) am Schlagzeug;Nick Porsche singt und bedient gelegentlich auch Instrumente. «Ich kenne es nur so:Wenn man Musik macht, dann mit Freunden», sagt Porsche, «etwas anderes kann ich mir gar nicht vorstellen.» Biel ist für ihn dafür das ideale Pflaster: Es mangelt weder an Kreativität noch an Qualität. Seine Mitmusiker sind alle auch in anderen sehr eigenständigen Projekten engagiert (zum Beispiel bei Studeyeah), und Porsche sagt: «In Biel gibt es so viele talentierte, spannende Musiker – ich hätte jede Position fünffach besetzen können.»
«Big Fish» ist nun eine Momentaufnahme dieser Band von vor etwa drei Jahren. Zahlreiche Wirren mit Labels sorgten für eine beträchtliche Verzögerung von den Aufnahmen und der Produktion bis jetzt zur Veröffentlichung. Das bedeutet aber keineswegs, dass die Musik nicht mehr aktuell wäre. Die Formation hat zwar keinen eigenen Namen, sondern ist sozusagen nach ihrem Gründer benannt, doch für diesen ist klar: Das ist nicht bloss ein Projekt, das ist eine Band.

Irgendwo ist stets irgendwas
Und diese legt also ein höchst erfreuliches Debütalbum vor, nicht zuletzt auch klanglich. Das liegt neben der Band an den weiteren Beteiligten: Produziert hat das Werk der Genfer Robin Girod, also einer, der dem Alternativen zugetan ist, aber als Musiker diverser Formationen einen weiten Horizont hat. Aufgenommen hat der Puts-Marie-Musiker Sirup Gagavil, und auch das hört man dem Album an: Das Songwriting mag anders sein, die Ästhetik aber ist nicht allzu weit entfernt von Porsches früherer Stammband. Die Musik hat Tiefe und Raum: Wen es beim Anhören des Albums zeitweise dünkt, nun passiere einen Moment lang nichts, der höre besser hin – irgendwo findet sicher gerade ein subtiles Mini-Solo auf der Schlagzeugzimbale statt. Bisweilen schwirren obskure Sounds vorbei, Nick Porsche selber klingt manchmal wie ein melancholisch gestimmter David Bowie, manchmal wie ein verzweifelter Crooner, der zwar noch nicht besoffen ist, das nächste Glas Whisky aber besser stehen liesse. Eine befreundete Gesangslehrerin jedenfalls, die ihn vor Jahren singen gehört hatte und ihm daraufhin gratis Lektionen anbot, meinte kürzlich bei einem Wiedersehen und -hören, nun sei dies nicht mehr nötig.

Basteln? Ja, aber...
Wer nun fürchtet, diese Musik könnte zu schräg sein, der ist umsonst beunruhigt. Eigentlich ist Nick Porsche der Pop gar nicht fremd – in neuerem Material fänden sich gar Trap-Einflüsse. «Es interessiert mich, aktuell zu bleiben», sagt er, «ich will nicht, dass meine Musik klingt, als stamme sie aus den 70er-Jahren.»
Während sich die Radios in der Deutschschweiz noch zieren, haben jene in der Romandie das Potenzial dieser Lieder bereits erkannt und spielen sie zum Teil gar im ersten Programm. Denn Nick Porsche, der die Texte mit der Poetin und Aktivistin Fork Burke bei einer gemeinsamen Flasche Wein zu schreiben pflegt, findet:«Basteln hat zwar seinen Charme;aber wichtiger ist mir, dass ein Song gut ist.»

Frei dank Sicherheit
Woran man dies erkennt? Zum Beispiel am Stück «Justify». Nick Porsche hat die Ballade nicht nur fürs Album eingespielt, sondern für kurze Videos auch mit dem Bieler Seniorenorchester und zuhause mit einem Billig-Synthesizer und tanzenden Kindern im Hintergrund – der Song selber behält in beiden Fällen seinen Würde.
Am schönsten und stimmigsten ist das Material gleichwohl auf der Platte. Kein Wunder:Die Woche, in der die Band an den Aufnahmen arbeitete, sei «ein magischer Moment» gewesen, sagt Nick Porsche – Zuhörerinnen und Zuhörer können daran teilhaben. Weitere solche Momente sollen bald folgen. Denn gerade weil der Künstler zum ersten Mal das vogelfreie Leben gegen die Sicherheit einer Teilzeit-Festanstellung getauscht hat («Konzerte in besetzten Häusern für ein paar Franken Kollekte habe ich genug gespielt»), fühlt er sich nun frei, musikalisch das zu tun, wonach ihm der Sinn steht: «Lange habe ich mich mit Veröffentlichungen zurückgehalten. Doch jetzt habe ich grosse Lust, das Zeug herauszugeben.»
Info: Nick Porsche: «Big Fish» (Vertrieb:Irascible). Das eingangs erwähnte Video zu «Justify» sehen Sie unterwww.bielertagblatt.ch/nickporsche

 

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