Sie sind hier

Abo

Bonaparte

Berlin. Oder doch besser Detroit?

Der Berner Musiker Tobias Jundt hat von Berlin aus den internationalen Durchbruch geschafft. Man müsse es eben versuchen, sagt er. Demnächst folgt bereits das vierte Album von Bonaparte.

Tobias Jundt (vorne mitte) sind bislang nicht nur schwarze Katzen über den Weg gelaufen. Bild: Melissa Jundt

Interview: Markus Ganz

Herr Jundt, in der Schweiz schrieben Sie einst mit Erfolg Songs für sich und andere Popsänger, aber auch Musik für Jazzbands, Streichquartett und Orchester. Was war der Grund, 2008 nach Berlin zu ziehen?
Tobias Jundt: Man kann in der Schweiz eigentlich nur mit Mainstream-Popmusik überleben oder in stark subventionierten Genres wie Jazz oder Klassik. Sobald man aber in einem Nischenbereich tätig sein will, das nicht von Mainstream-Radios gespielt wird, muss man grossräumiger wirken. Die Art von Songs, die ich schreiben will, verlangt nach einem viel grösseren Spielfeld, als es die Schweiz bietet.


Weshalb fiel Ihre Wahl auf Berlin?
Eigentlich wollte ich gar nicht dahin, denn schon damals gingen unzählige Schweizer Musiker nach Berlin, 2014 ist es schon fast zu einem Exodus gekommen. Ich war damals in Barcelona stationiert und zog von da aus durch Europa, um Konzerte zu geben. Im Rahmen meiner ersten beiden Auftritte in Berlin wurde mir klar, dass es da noch die Freiräume gibt, die es mir ermöglichen, meine Musik zu realisieren.


Was sprach konkret für Berlin?
Natürlich auch tiefe Mieten, dank denen der ökonomische Druck geringer war. Vor allem aber gab und gibt es noch immer sehr viele Kreative, mit denen man Projekte auf hohem Niveau durchziehen kann. Man trifft leicht auf Leute aus dem Musikbusiness und den Medien, und dies auf relativ kleinem Raum, so dass man alles mit dem Velo erledigen kann. So konnte ich ein gutes Netzwerk aufbauen, was für eine weltweit auftretende Gruppe sehr wichtig ist. Trotzdem ist die Schweiz für mich als Mensch unglaublich wichtig in ihrer Vielfalt; da werde ich relativ leicht zum Patrioten. Und gleichzeitig erscheint mir in der Heimat alles wie durch einen Mattfilter.


Geht es Schweizern Musikern in der Heimat zu gut?
Ich habe nichts dagegen, dass man in der Schweiz als Musiker ein gutes Leben führen kann, ohne täglich 1000 Kilometer zurückzulegen. Aber ich denke schon, dass die Schweiz im Musikbereich hemmend wirkt. Es ist wohl kein Zufall, dass nur wenige ausländische Musiker in der Sturm-und-Drang-Phase in die Schweiz ziehen, um an ihren Songs zu arbeiten; eher geniesst man hier wie Tina Turner, Phil Collins oder Simply Red den Ruhestand. Ich muss aus Erfahrung von unseren Konzerten aber auch sagen, dass das Schweizer Publikum ganz gut mithalten kann im internationalen Vergleich.


Welche Bedeutung spielte das Berliner Publikum damals beim Entscheid, dorthin zu ziehen?
An meinem ersten Konzert in Berlin spielte ich abwechselnd energiegeladene Songs und Singer-Songwriter-Balladen. Das Publikum goutierte diese starken Wechsel erstaunlich gut, doch bei den körperlich orientierten Songs gingen die Leute ekstatisch mit: Performer und Publikum wurden eins – und das war es, was ich bisher vermisst hatte. Am folgenden Abend spielte ich nur noch solche Songs, wie sie heute typisch sind für Bonaparte. Ich bin ein reaktionärer Songwriter: Ich brauche das Publikum als Spiegel und Boxsack. Ich mache zwar, wozu ich Lust habe und dazu gehört es, der Welt manchmal den Stinkefinger zu zeigen. Gleichzeitig suche ich aber die Kommunikation zum Ort, ich schreibe Musik, bei der live etwas zurückkommt. Die Musik ist zwar in einem drin, man wird bei der Umsetzung aber von der Umgebung beeinflusst.


Wie wichtig war Ihnen die gesellschaftliche Stimmung Berlins als künstlerischer Stimulus?
Zu Beginn gab ich in Berlin Solo-Shows nur mit Gitarre und Computer. Dann gesellten sich zunehmend Leute zu mir, die wie ich die Freiräume zu nutzen versuchten und meist von anderswo stammten: aus New York, Paris, Tel Aviv, dem Schwarzwald etc. Und so wuchs das Projekt Bonaparte zu dem, was es heute ist – das sich aber ständig weiter wandelt. Berlin hat insofern weniger meine Songs als die Art ihrer Darbietung verändert. Wichtig waren für mich auch Lokale wie Antje Øklesund und die Bar 25, wo ich zeitweise täglich auftreten konnte. Das ist schon anders als in der Schweiz, wo man jeweils auf den Samstag wartet, an dem man irgendwo im Land auftreten kann.


Empfehlen Sie jungen Musikern also, nach Berlin zu ziehen, um sich ihre Sporen abzuverdienen?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich das heute noch mit gutem Gewissen jemandem raten würde. Nicht nur, weil in den letzten Jahren viele Berliner Klubs geschlossen wurden, sondern auch, weil jeder Ort zu einer Zeit eine bestimmte Eignung hat. Und Berlin sehe ich zurzeit eher geeignet für Musiker, die bereits weltweit Konzerte geben und gleichzeitig Kinder haben – wie ich (lacht). Ich vermute, dass es zurzeit andere Städte gibt, die sich besser als Experimentierfeld eignen: Detroit, Istanbul oder Beijing vielleicht? Ich weiss es nicht. Man kann es nicht wissen, man muss es versuchen, und das kann man nur, wenn man in dieser Lebensphase wenig Verantwortung tragen muss.


In der Schweiz gibt es viele Institutionen, die Popmusiker sowie Veranstalter und Labels unterstützen. Kamen Sie in Berlin in den Genuss solcher Kulturförderung?
In Berlin selber braucht man als Schweizer Künstler keine Kulturförderung. Man braucht sie, wenn man wie ich mit 18 Leuten fremde Länder bereist; wir waren beispielsweise kürzlich auf China-Tournee. Wir haben bei Auslandreisen mit Swiss Music Export, der Fondation Suisa und der Pro Helvetia zusammenarbeiten dürfen, 2013 konnte ich in der New Yorker Wohnung der Abteilung Für Kulturelles der Stadt Bern wohnen. Diese Kulturförderung ist keineswegs selbstverständlich. In Berlin gibt es als Vergleich erst seit einem Jahr das Musicboard Berlin, das in der Popmusikszene neue Impulse setzen soll. Seither werden Projekte von in Berlin ansässigen Musikern und Auslandaufenthalte unterstützt, angelehnt an Schweizer Modelle, wo es dies ja schon viel länger gibt. Die Fördermöglichkeiten in der Schweiz sind wirklich einzigartig in der Welt. Aber sie dürfen nur ergänzen, was ein Künstler schon von sich aus tut.

*****************************************************************

 

Ruhigere Töne


mg. Das vierte Bonaparte-Album ist nicht zufällig selbstbetitelt, denn Tobias Jundt sucht darauf nach neuen künstlerischen Wegen. Er ist sich offensichtlich bewusst geworden, dass der hektisch-grelle Party-Sound der letzten Alben zwar zu seinen wilden Shows gehört, sich sonst aber schnell abnützt. Auf «Bonaparte» klingt sein Elektro-Pop noch immer meist kantig und aufgeregt. Doch finden sich darauf auch ruhigere und vielschichtigere Songs, denen man auch zuhause gerne zuhört. Dies hat auch mit den Texten zu tun, in denen Jundt seltener wortspielerisch herumalbert, sondern öfter sinniert wie in «Me So Selfie», das den Selbstdarstellungszwang thematisiert. Herausragend ist der nachdenkliche Song «Into The Wild», zu dem man auf der Bonaparte-Website einen eindrücklichen Videoclip findet. Zu acht der neuen Songs soll es gemäss Jundt ein Video geben, womit er seinem Bestreben nach einem Gesamtkunstwerk schon recht nahe komme. Die künstlerische Umorientierung zeigt sich auch live. Am kürzlichen Konzert in Zürich setzte Bonaparte weniger auf Show und mehr auf die Musik. Und präsentierte auf packende Weise bereits viele der neuen Songs, die beim Publikum durchwegs gut ankamen.
Info: Bonaparte: «Bonaparte» (Warner Music; Veröffentlichung am 30. Mai). Live am 18 Juli am Gurtenfestival Bern. Link: www.bonaparte.cc

 

Nachrichten zu Kultur »