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Tanz

"Bewegung ist ein menschliches Grundbedürfnis"

Im Herbst startet in Biel ein neuer Masterstudiengang der Hochschule der Künste Bern mit Schwerpunkt Tanzvermittlung. Es ist das einzige Angebot dieser Art in der Schweiz.

Gemüsekisten eignen sich auch als Perkussionsinstrument, wie studierende am Sommerfestival 2019 demonstrierten. Bild: Zvg

Annelise Alder


Bauern und Marktgängerinnen kennen ihn, den grünen Obst- und Gemüsekasten, in dem man Kartoffeln oder Äpfel lagert. Der grüne Plastikbehälter hat noch weitere Vorzüge: Er eignet sich auch als unkonventionelles Rhythmusinstrument. Dies haben Studierende des Bereichs «Musik und Bewegung» der Hochschule der Künste Bern HKB anlässlich ihres Sommerfestivals im Jahr 2019 demonstriert. Die grüne Kiste stand im Mittelpunkt einer mitreissenden Tanz-Performance.


Bewegungserziehung ist im Lehrplan 21 festgeschrieben
Tanzdarbietungen, aber auch Kurse oder schulische Angebote im Bereich Tanz, Bewegung und Rhythmik fristen in der Schweiz trotzdem ein Schattendasein. Dabei ist Bewegung «ein Grundbedürfnis des Menschen». Das sagt Claudia Wagner, Studiengangleiterin Musik und Bewegung sowie Rhythmik an der HKB. Weil Bewegung für den Menschen ein essenzielles Ausdrucksmedium sei, solle sie gefördert werden, noch vor dem Singen oder dem Spielen eines Musikinstruments, sagt sie.


Allein in Primarschulen wird neben Musik- nur sehr selten auch Tanz- oder Rhythmikunterricht erteilt. «Rhythmik und Tanz erhalten in der Schweizer Bildungslandschaft nicht den Stellenwert, der angemessen wäre», sagt Claudia Wagner. Dabei sei Bewegungserziehung Teil des Lehrplans 21. Bewegung und Tanz wird in Kindergärten und Schulen – wenn überhaupt – meist im Rahmen des Musikunterrichts erteilt. Primarschullehrerinnen und -lehrer sind jedoch meist keine Tanz- und Bewegungspädagogen: «Es fehlt meist an der Fachkompetenz der Lehrperson», sagt Claudia Wagner zu den Bemühungen in diesem Bereich.


Es mangelt also nicht nur am politischen Willen, den Auftrag Bewegung und Tanz, der im Lehrplan festgeschrieben ist, umzusetzen. Es fehlen auch Fachpersonen, die rhythmische Bewegung und Tanz vermitteln können.


Die neue Ausbildung soll die Nachfrage erhöhen
Die HKB möchte dem entgegentreten. Dies mit einem neuen Ausbildungsangebot auf Master-Ebene. «Master of Arts in Musik Pedagogy – Rhythmik und Tanzvermittlung», lautet der Titel, den man ab Herbst in einem zweijährigen Vollstudium in Biel erwerben kann. Die Bezeichnung mag etwas umständlich tönen. Sie trifft die Sache aber im Kern: Die Studierenden lernen, wie sie den Spass am Tanz, an der Bewegung zu Musik, am körperlichen Ausdruck an Personen in jedem Alter weitergeben und schulen können.


«Mit dem Studienangebot wollen wir einen neuen Fokus in der Ausbildungslandschaft in der Schweiz setzen», so die Studiengangleiterin. Dies nach sorgfältiger Analyse des Berufsfeldes in der Schweiz und der Angebote, die an anderen künstlerischen Hochschulen im Land angeboten werden.


Biel wird in Zukunft die einzige Stadt in der Schweiz sein, in der Tanzvermittlung studiert werden kann. Ziel des Studiengangs ist es, die Angebote im Bereich Bewegung und Tanz in der einheimischen Bildungslandschaft zu erhöhen. Im Vergleich zum Ausland hinkt die Schweiz in diesem Bereich nämlich hinterher. In Deutschland und Österreich gibt es bereits seit vielen Jahrzehnten etablierte Studiengänge und Kurse in Tanzpädagogik, auch an Musikschulen.


Schwerpunkt Lehre und eigene künstlerische Sprache
Die Ausbildung zum Master in Bewegungspädagogik und Tanzvermittlung ist vielseitig, wie allein der Titel widerspiegelt. Aber auch anspruchsvoll: Die Ausbildung umfasst die Bereiche Musik, Tanz und Pädagogik. Zu den weiteren Modulen gehören zum Beispiel Choreografie, Perkussionstechnik oder Stimmimprovisation. «Eine musikalische Grundausbildung ist ohnehin Voraussetzung für den Studiengang», so die Studiengangleiterin, die selber Tanz- und Klavierpädagogin, Choreografin und Soziologin ist.


Praktika bilden einen Schwerpunkt in der Ausbildung. «Die Studierenden werden im Rahmen der Ausbildung Kurse anbieten und damit ihre Lehrbefähigung erhalten.» Zum Ausbildung-Portfolio gehört auch der geschichtliche Hintergrund von Tanz als Bewegungs- und Ausdruckskunst.
«Tanz ist ein weites Feld», sagt Claudia Wagner. Und er wird immer noch mehrheitlich von Frauen ausgeführt und weitergegeben. «Das hat gesellschaftliche Gründe.» Claudia Wagner muss es wissen, schliesslich hat sie zu Musik und Gender geforscht. Doch auch in diesem Punkt bewegt sich die Schweiz. Vik Kähli zum Beispiel gehört zu den ersten, der sich für den kommenden Masterstudiengang einschreiben wird. Er sagt im Video, das auf der Website der HKB zu sehen ist: «Ich habe in dieser Ausbildung die Gelegenheit, meine eigene Bewegungssprache zu finden.»


Zeitgenössische Tanzsprachen im Fokus
Die Entwicklung einer eigenen künstlerischen Bewegungshandschrift ist bei aller Vielseitigkeit der Ausbildung immer noch zentral. «Der Fokus liegt auf dem Tanztraining», so die Studiengangleiterin. Die Studierenden lernen die ganze stilistische Breite des zeitgenössischen Tanzes kennen. «Dazu gehören auch Stile, welche Jugendliche bevorzugen, wie etwa Urban Dance.» Schliesslich sollen die künftigen Tanzvermittlerinnen und -vermittler ein breites Altersspektrum unterrichten können: Kleinkinder, Schülerinnen, Jugendliche bis hin zu Erwachsenen und Seniorinnen.


Die ausgebildeten Bewegungspädagoginnen und -Tanzkünstler werden zudem eigene künstlerische Projekte realisieren. Es müssen nicht unbedingt Gemüsekisten sein. Es gibt unzählige weitere Objekte, die sich als Perkussionsinstrument eignen. Wichtig ist der antreibende rhythmische Puls. Dazu lässt sich am besten bewegen und tanzen. Das Alter spielt dann keine Rolle.

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