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Literatur

«In Biel habe ich angefangen zu schreiben»

Als junger Mann kam Lukas Bärfuss nach Biel, weil er ein Schriftsteller werden wollte. Heute ist er einer der renommiertesten Schweizer Autoren, der sich auch gerne kritisch äussert über die Schweiz. Am Samstag liest Bärfuss in der Stadtbibliothek Biel.

Lukas Bärfuss: «Schreiben braucht Mut.» Frederic Meyer/zvg

Interview: Simone Tanner

Lukas Bärfuss, es ist nun drei Monate her, dass Sie Ihren kritischen Essay «Die Schweiz ist des Wahnsinns» in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung publizierten. Ist Ihre Wut mittlerweile etwas verraucht?

Es war weniger Wut als Sorge. Und sie hat nicht abgenommen.

Sie sorgen sich in besagtem Artikel um die ganze Schweiz, um die Unabhängigkeit der Medien, der Kultur, um die Wirtschaft. Sie sorgen sich aber auch wegen des Rechtsrutsches und der politischen Abschottung. Eine Art Rundumschlag. Haben Sie mit Ihren Worten erreicht, was Sie erreichen wollten?

Ich mache mir wenig Gedanken über die Wirkung meiner Texte. Das ist nicht sinnvoll in meiner Arbeit. Ich folge zuerst einem Impuls.

Sie wollten zumindest den Diskurs anregen.

Ich sehe das als Prozess. Man sollte täglich für eine kritische Öffentlichkeit einstehen. Unsere Gesellschaft ist vital darauf angewiesen.

Diese kritische Öffentlichkeit ist Ihrer Meinung nach in Gefahr.

Ich habe vom Impuls gesprochen. Für den Artikel in der FAZ ging er von der Kulturzeitschrift «Du» aus. Sie hat etwas verkauft, was man nicht verkaufen sollte, nämlich ihre journalistische Unabhängigkeit. Ich zähle auf die Presse, auf die Journalistinnen und Journalisten, dass sie darüber berichten, was der Fall ist, und zwar unabhängig von finanziellen Interessen. Und falls man das nicht will und sich bezahlen lässt, hat man es als Werbung zu kennzeichnen. Diese Intransparenz, verbunden mit der Ideologisierung der Medien, kann der Öffentlichkeit nicht egal sein.

Dann springen Sie für jene nicht unabhängig agierenden Journalistinnen und Journalisten in die Bresche?

Das ist eine gemeinsame Aufgabe. Ich publiziere ja auch und bin darauf angewiesen, dass meine Werke differenziert gelesen und besprochen werden können. Wenn ich sehe, dass diese Auseinandersetzung verarmt, habe ich ein Interesse daran, mich zu äussern und dafür zu kämpfen, dass da ein bisschen Leben in die Bude kommt.

Das Leben ist in die Bude gekommen. Ihr Essay hat kurzzeitig hohe Wellen geworfen. Die meisten Medien haben reagiert, Repliken publiziert. Ihr Schriftstellerkollege Pedro Lenz hat Ihnen einen öffentlichen Brief geschrieben. Darin warnte er Sie davor, dass die Menschen Sie plagen werden. Hatte er recht?

In gewissen hiesigen Kreisen habe ich mir sicher keine zusätzlichen Freunde geschaffen. Aber ich habe das Glück, auch jenseits der Landesgrenzen wahrgenommen zu werden und arbeiten zu können.

Warum haben Sie den Text in Deutschland publiziert und nicht in der Schweiz?

Es ist wichtig, dass solche Diskussionen transnational geführt werden. Das ist auch der Grund, weshalb ich den Artikel in der FAZ und nicht in der Schweiz publiziert habe. Das hat man mir sehr übel genommen. Das war eigentlich der grösste Tabubruch.

Pedro Lenz war etwas neidisch darauf, dass Sie sich getraut haben, den Text zu veröffentlichen. Konnten Sie sich das nur leisten, weil Sie auch in Deutschland ein anerkannter Schriftsteller sind?

Ob ich es mir leisten konnte, wird sich noch weisen. Ich habe es mir geleistet. Freiheit ist etwas, das man sich nehmen muss, sie wird einem nicht gegeben. Wenn man immer darauf schaut, was einem nützen oder schaden könnte, nur der Angst oder der Furcht folgt, dann ist es schon zu spät.

Sind Sie also ein mutiger Mensch?

Das müssen andere entscheiden. Aber Schreiben braucht schon Mut. Ja, Schreiben braucht Mut.

Warum?

Weil man sich mit der Angst auseinandersetzen muss und mit den eigenen negativen Gefühlen.

Sie äussern sich als einer der wenigen Schweizer Autoren auch kritisch zur Schweizer Politik. Haben sie als Schriftsteller eine besondere Verantwortung?

Verantwortung für wen?

Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, Verantwortung dafür, wo die Schweiz politisch hinzielt.

Diese Verantwortung würden wir eigentlich alle teilen. Für die Zeit und die Umstände, in denen wir leben. Das ist nicht etwas, das nur Schriftstellern zufällt. Aber ich setze mich mit der Sprache auseinander, und Sprache ist etwas Universelles, etwas, das die ganze menschliche Kultur und alle Lebensbereiche betrifft. Wenn ich sehe, dass Begriffe umgedeutet werden und gewisse Menschengruppen ständig mit denselben Begriffen belegt werden, die Sprache politisch instrumentalisiert wird, dann habe ich durch meine Kunst eine Verantwortung, darauf hinzuweisen.

Welche Begriffe und Menschengruppen meinen Sie?

In letzter Zeit wird bei Straftaten häufig der kulturelle Hintergrund für das Fehlverhalten verantwortlich gemacht – allerdings nur, wenn es sich bei den Tätern um Ausländer handelt. Wenn er zur eigenen Kultur gehört, wird das Verbrechen personalisiert, bei Ausländern kulturalisiert. Damit macht man Menschen, die diese Kultur teilen, kollektiv für ein Verbrechen verantwortlich. Das ist gefährlich.

Sie sind ein sehr politischer Mensch. Wer oder was hat sie politisiert?

Meine frühe Konfrontation mit der Gesellschaft. Ich war in meiner Jugend ziemlich ungeschützt. Und ich habe gesehen, was es bedeutet, dem Wohlwollen der Gesellschaft ausgeliefert zu sein. Das hat mich sensibel gemacht für Macht, Ungerechtigkeit und für Schwäche. Unsere Bundesverfassung hält ausdrücklich fest, dass sich das Wohl unserer Gesellschaft am Wohl der Schwachen misst. Das ist nicht einfach eine humanistische Haltung, sondern eine Tatsache, besonders in einer so interdependenten Welt. Die Menschen in Syrien leiden. Und deshalb geht es uns auch hier nicht wirklich gut. In einer globalisierten Welt machen der Reichtum und das Elend nicht an unserer Landesgrenze Halt.

Das haben Sie der Schweiz in Ihrem Essay angekreidet, dass sie sich nur auf sich besinnt, sich abschottet.

Ach, ich wäre vielleicht gar nicht dagegen, wenn es denn funktionieren würde! Aber dann dürften wir auch nicht mehr exportieren. Wir müssten autark werden, uns von der Welt verabschieden.

Ich möchte noch auf Biel zu sprechen kommen. Sie haben als junger Erwachsener zwei Jahre hier gelebt. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit, an die Stadt?

Ich habe sehr schöne Erinnerungen. Ich kam nach Biel, weil ich ein Schriftsteller werden wollte. Der Wohnraum war billig und ich war weg aus meinen üblichen Kreisen. Deshalb wird die Stadt mit meinem Schreiben immer verbunden sein. In Biel habe ich angefangen zu schreiben und veranstaltete auch erste Lesungen.

Sie sind heute noch ab und zu in Biel, als Gastdozent am Schweizerischen Literaturinstitut. Was ist Ihre Motivation, junge Schreibende zu unterrichten?

Die Leidenschaft für die Literatur, für das Schreiben. Wenn ein junger Mensch sich dazu entscheidet, finde ich das etwas Wunderbares. Auch der Austausch darüber inspiriert mich. Wenn man unterrichtet, unterrichtet man zuerst sich selbst, muss in seiner eigenen Arbeit etwas finden, das man teilen kann. Das ist ein grosses Privileg.

Was geben Sie den Studierenden mit oder was lehren Sie sie?

Ich habe immer versucht, sie zu sensibilisieren dafür, was passiert, wenn man liest, auf welche Weise Bilder entstehen. Welche Gedanken ins Rollen kommen, wenn man einen Satz liest. Ein Nachdenken darüber, was Worte wirklich evozieren und welche Bedeutungsinhalte sie transportieren. Lektüre war das, was ich versucht habe. Lektüre der eigenen und der fremden Texte. Eine Schule der Wahrnehmung.

Sie haben sich dies alles selbst beigebracht als junger Mensch. Damals gab es noch kein Literaturinstitut. Im Essay «Der Feuerofen» schreiben Sie, dass es vermutlich die Literatur gewesen sei, die Sie gerettet hat vor dem Absturz. Warum?

Die Literatur hat mich in die Welt gebracht, in meine Zeit. Sie hat mir einen Platz gegeben, eine Aufgabe auch, eine Tradition. Sie hat mir Zusammenhänge aufgezeigt, ein geschichtliches Denken, eines das zurück geht in die Zeit aber auch vorwärts. Man erfährt, dass auch der eigene Text einmal alt sein wird. Das gibt eine Verbindung zum Dasein, zu seiner Existenz. Das habe ich als Rettung begriffen und tue es noch immer.

Sie schreiben auch, dass Literatur Sie herausgebracht hat aus Ihrer damaligen Welt, Ihrem Umfeld.

Literatur ermöglicht Mitgefühl. Beim Lesen sieht man nicht nur sich und seine Bedingungen, sondern auch jene der anderen. Das ist für jeden Menschen, egal wo er aufwächst und lebt, eine grundsätzliche Erfahrung der Literatur. Und Mitgefühl ist die grundsätzlichste menschliche Eigenschaft. Alles andere ist sekundär.

In Ihrem letzten Roman «Koala» haben Sie sich mit dem Selbstmord Ihres Bruders auseinandergesetzt, auch versucht, sich in einen Selbstmörder hineinzufühlen. Im März erscheint Ihr neuer Roman «Hagard». Worum geht’s da?

Der Begriff «Hagard» kommt aus der Jägersprache und bedeutet Wildfang. Aber gehen Sie noch nicht zu sehr in mich. Ich kämpfe noch.

Womit?

Mit dem Buch. Ich bin noch nicht fertig.

Können Sie aber verraten, welches Tabuthema Sie sich diesmal vorgenommen haben?

Die Liebe.

Info: Lukas Bärfuss liest am Samstag, 6. Februar, um 17 Uhr, in der Stadtbibliothek Biel aus seinem letzten Roman «Koala». www.bibliobiel.ch

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Zur Person

  • Lukas Bärfuss ist 1971 in Thun geboren. Er arbeitet er als Schriftsteller in Zürich.
  • Bärfuss schreibt Romane («Hundert Tage», 2008, «Koala», 2014) und Theaterstücke (u.a. «Die sexuellen Neurosen unserer Eltern», «Der Bus», «Die Probe», «Öl»), die weltweit gespielt werden.
  • Von 2009-2013 war er ausserdem als Dramaturg und Autor am Schauspielhaus Zürich tätig.
  • Seine Werke wurden unter anderem mit dem Mülheimer Dramatikerpreis (2005), dem Berliner Literaturpreis (2013) und zuletzt mit dem Schweizer Buchpreis 2014 ausgezeichnet. Im Frühjahr 2015 erschien der Essayband «Stil und Moral», im Frühjahr 2016 folgt der Roman «Hagard» (beide im Wallstein Verlag).
  • Seit 2015 ist Lukas Bärfuss Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. mt

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