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Ausstellung

Bilder in der Nase

Nicht nur die Liebe geht durch die Nase – Kunst kann das auch, wie die aktuelle Ausstellung «Sillages» im Photoforum beweist. Sie zeigt fünf verschiedene künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Thema Duft.

Feuchter Waldboden, frische pilze und Mist: Virginie Otth fordert mit «Compositions d’odeur» das Duftgedächtnis heraus (Ausschnitt). zvg

Simone K. Rohner

Zuerst Döner und Frittieröl. Dann ein warmer Schwall schwere Luft, eine Mischung aus Bleichmittel, Haarspray und nassen Haaren. Dann riecht es nur noch nach Bahnhof – irgendwie nach stehenden Zügen. Die Kopfnote warme Brezel, die Herznote alte Sitzpolster und die Basisnoten Motorenöl und Urin. Auf dem Weg vom Bieler Bahnhof zum Pasquart trifft man auf ein reiches Duftbouquet – wenn man denn mit offenerNase unterwegs ist.

Genau hinriechen
Warum schenken wir eigentlich unserem Geruchssinn so wenig Aufmerksamkeit? Täglich nehmen wir abertausende Gerüche wahr. Die Nase und das Hirn vollbringen Höchstleistungen in der Verarbeitung, während wir gemütlich unseres Weges gehen. Nur manchmal da passiert es, dass wir etwas riechen und sich uns eine ganz bestimmte Erinnerung aufdrängt. Das Parfüm des ersten Schatzes, das uns den ersten Kuss in Erinnerung ruft, die Sonnencreme aus der Kindheit oder der Seifenduft an Grossmutters Händen, der für wenige Sekunden hängen blieb, wenn sie einem manchmal übers Haar strich. Düfte wecken sofort Emotionen, auch deshalb blüht die Parfümindustrie weiterhin.
Betritt man die Ausstellung «Sillages» im Photoforum, nimmt man aber wieder einmal das Akustische schneller und bewusster wahr. Aufs Riechen konzentriert, vernimmt man dann einen dezenten, frischen Duft. Was ist das noch gleich? Frisch aber nicht zitronig. Süss, aber nicht rosig. Auch ein bisschen herb, aber nicht holzig oder erdig. Man hat diesen Duft schon tausendmal gerochen. Im Weichspüler, der Meeresfrische verspricht. In der Badezimmerabteilung eines Kaufhauses, oder in Parfüms, die mit Wasser werben.

Das Meermolekül
Calone, das synthetische Duftmolekül ist da überall drin. Es wurde in den 60er Jahren zufällig entdeckt, als Chemiker des Pharmakonzerns Pfizer nach einem Beruhigungsmittel forschten. Calone ist ein entfernter Verwandter von Valium. 1966 meldeten sie es mal zum Patent an. Als in den 80ern dieses auslief, stürzte sich der Parfümmarkt auf das Wassermelonen Keton, wie es wegen der frischen Duftnote auch genannt wird. Die folgenden 90er Jahre rochen dann auch dementsprechend maritim frisch. Man findet es in Eau d’Issey zum Beispiel.
Calone spielt eine essenzielle Rolle im Video von Thibault Jouvent. «La Lune Rouge» (2019) zeigt eine Mondfinsternis und das Meer vom Strand aus. Die olfaktorische und die visuelle Komponente wird akustisch durch Meeresrauschen ergänzt. Ziemlich entspannend. Mehr aber auch nicht.

Sillages
Ein anderer Ausstellungsraum riecht, als hätte sich eine Horde überparfümierte Grossmütter dort aufgehalten. Ein würzig süsser Duft liegt schwer in der Luft. Ein Glasgefäss, das an ein Destilliergerät erinnert, verströmt den nasenbetäubenden Geruch. Dort kann man sich parfümieren. Wenn man sich denn traut. Hier kommt die Bedeutung von Sillages ganz besonders gut rüber – der Duft, der noch in der Luft hängt, lange nachdem die parfümierte Person den Raum verlassen hat. Roberto Grecos Fotografien sollen in Dialog treten mit dem speziell dafür kreierten Duft. Greco zeigt mit «Œillères» (2017) Aktfotografien von Männern, Frauen und Blumen und setzt sie mit minimalistischer Ästhetik auf die gleiche Ebene. Und ja, der Duft passt mit seiner schweren Art irgendwie zu den Bildern. Ohne die olfaktorische Dimension wäre die Parallele zwischen den Motiven aber etwas gesucht.

Jedem sein Madelaine-Moment
Nach diesen zwei sehr unterschiedlichen olfaktorischen Eindrücken muss man seiner Nase erstmal etwas Erholung gönnen. Virginie Otths kollageartige Fotoinstallationen «Compositions d’odeurs» (2018/19) wirken nicht von aussen auf einen ein, sondern wecken die eigenen, olfaktorischen Erinnerungen – sei es der allseits beliebte Krankenhausduft, überreife Äpfel oder die Küche in der Berghütte – man spürt die Bilder irgendwie in der Nase. Die Erinnerungen, die einem beim Riechen eines speziellen Dufts kommen – dieses Phänomen kannte schon Proust. Und auch die Wissenschaft hat es mittlerweile anerkannt.
Daneben zeigt Otth auch noch eine Installation. «Cadre d’enfleurage» spielt direkt auf die Parfümherstellung an: Über die gesamte Dauer der Ausstellung werden von Mitarbeitenden des Photoforums Rosenblüten in Fett gedrückt. So nimmt es deren Geruch an – Enfleurage ist eine alte Methode Parfüm herzustellen, die ohne Destillation auskommt. So entsteht über die Dauer der Ausstellung nicht nur ein Parfüm, Otth spannt damit auch den Bogen zur analogen Fotografie – als würde so ein Parfüm belichtet.

Wackelbilder und Duftfotografie
Visuell ansprechend ist auch Olga Cafieros Zugang zum Thema. Drei grossformatige Wackelbilder, sogenannte Lentikulardrucke, stehen sinnbildlich für das Parfüm. Die Künstlerin verschmilzt darin verschiedene Kunstblumen zu einem Bild. Je nach Winkel des Betrachters verändert sich das Sujet – simpel aber effektvoll. Und auch ihr zweites Werk – farbige Blumensujets im 3D-Druck ist ein Hingucker, aber eben dann auch nicht eine sehr überraschende Umsetzung. Da erstaunen Christelle Boulés Fotografien schon mehr. Was auf den ersten Blick wie grossformatige, abstrakte Malerei aussieht, ist in Wirklichkeit die Abbildung von Parfüm. Die Bilder zeigen, was passiert, wenn Duftmoleküle auf Silbergelatinepapier treffen. Je nach Gewicht und Grösse der Moleküle entstehen unterschiedliche Bilder. Leider wirken die zehn farbintensiven «Fotografien» etwas beengt in der Ausstellung – sie hätten mehr Raum verdient. Ihre zwei weiteren kleinformatigen Serien, eine in Farbe, eine Schwarzweiss lassen ebenfalls viel Spielraum für die Fantasie. Eine Art Rorschachtest. Die Parfüms, die Boulé für ihre Arbeit verwendete, entstammen alle dem Parfümhersteller Maison Francis Kurkdjian. Interessant wäre es zu erfahren, ob – wenn einem ein Bild optisch zusagt – dann auch das verwendete Parfüm für die eigene Nase passt.

Info: Ausstellung «Sillages» bis 31. März, Pasquart Photoforum. Nächste Führung (auf Französisch) am Donnerstag, 28. Februar, 19 bis 20 Uhr. Freier Eintritt ab 18 Uhr.  Ergänzt wird «Sillages» durch die Ausstellung «Nez à nez» im Mudac, Lausanne und  «Quel flair! Odeurs et sentiments» im Musée de la main, ebenfalls in Lausanne.

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