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Solothurner Literaturtage

«Bücher sind Lebensmittel»

Ist es die Atmosphäre, in der die Worte erklingen? Die Möglichkeit, mit den Autoren ein Glas Wein zu trinken? Die dezent eingestreuten Bestseller-Autoren? Das BT fragt, warum Solothurn 2019 einen Besuch wert sein könnte.

Der Wettergott scheint 2019 guter Dinge: So werden sich wohl auch die Aussenbühnen am Landhausquai gut füllen. Bild: Fotomtina

Interview: Clara Gauthey

Ursi Anna Aeschbacher, seit wann gehen Sie schon nach Solothurn?
Ursi Anna Aeschbacher: Regelmässig, seit es den Verlag gibt, also seit 2004. Vorher ging ich ab und zu hin, aber da habe ich noch in Deutschland gewohnt.

Sind seither Veränderungen spürbar geworden?
Ja, ich finde schon. In den ersten Jahren habe ich mich immer sehr überrascht gefühlt und auch sehr kontrovers geführte und aktuelle Diskussionen gehört. Dieser Eindruck kann natürlich auch daran liegen, dass ich am Anfang meiner Rückkehr in die Schweiz noch weniger Literatur aus der Schweiz kannte.

Wie verfolgen Sie diese Tage jeweils?
Wir von Swips (unabhängige Verlage der Schweiz) haben einen eigenen Stand, dieses Mal im Theatercafé, also bin ich natürlich dort und helfe mit bei der Präsentation der Bücher der 24 Verlage. Und ich gehe an die Lesungen der Autorinnen und Übersetzerinnen aus meinem Verlag, dieses Jahr sind das Sabine Gisin mit ihrem Erstling «Teneber Vid», Yla M. von Dach, die übers Übersetzen diskutiert und Leontina Lergier-Caviezel, deren rätoromanischer Roman im Herbst auf Deutsch übersetzt im Verlag erscheinen wird. Dann besuche ich Lesungen von bis dahin mir Unbekannten, von ungelesenen Büchern oder solchen, von denen ich gern mehr hören würde.

Gehen Sie auch hin, wenn keine Ihrer Autoren oder Autorinnen dort sind?
Ja, es ist eine gute Gelegenheit, meine Bücher zu zeigen, mit Leserinnen und Lesern zu diskutieren und Freundinnen und Freunde zu treffen, mich mit Kolleginnen und Autoren auszutauschen ...

Welche Bücher können Sie dieses Jahr empfehlen?
Alle aus meinem Verlag natürlich ... Es sind sehr poetische, eigenwillig geschriebene Romane. Gefallen hat mir darüber hinaus die CD von Michael Fehr «Im Schwarm», Judith Schalanskys «Verzeichnis einiger Verluste» und Heinz Helles «Die Überwindung der Schwerkraft». Aber natürlich auch noch andere, die ich schon vor längerer Zeit gelesen habe …

Welche haben Sie enttäuscht?
Als Verlegerin wähle ich ja selbst Bücher aus und denke natürlich immer, sie seien die Superbesten. Ich finde gut, dass die Verlage so unterschiedlich sind in dem, was Ihnen gefällt und publiziert wird. Das macht unsere Welt reich.

Worauf freuen Sie sich besonders?
Neben dem Eigenen freue ich mich auch auf Fabio Pusterla, Beat Brechbühl, Dima Wannous und Gerhard Meister. Bei den Diskussionen auf «Machtstrukturen im Literaturbetrieb». Was die Auseinandersetzungen angeht, so hätte ich mir mehr Veranstaltungen zu der Situation im Literaturbetrieb gewünscht.

Was genau fehlt da?
Mittlerweile ist die Situation für alle, die an der Herstellung eines Buches beteiligt sind – Autorinnen, Übersetzer, Buchgestalterinnen, Lektoren, Korrektoren, Druckerinnen in unserem Land – sehr prekär. Dadurch, dass wir nicht mehr sehr viele Bücher verkaufen können, sind wir alle auf Unterstützung angewiesen. Und was hat das für Folgen? Jammern wir? Lassen wir uns auseinanderdividieren oder kommen wir zusammen? Wie können wir die nötigen Hilfen bekommen? Alles Fragen, die sich auch die Bauern und die meisten anderen, die lebensnotwendige Dinge herstellen, überlegen müssen. Sie sehen, ich finde, auch Bücher sind Lebensmittel.

Und ausserhalb des Literaturbetriebs?
Müssen wir uns fragen, ob Bücher jene Orte sind, wo Gesellschaft noch ausführlich reflektiert werden kann? Könnten Bücher helfen, das Komplexe und nicht das Verschlagwortete der Welt für andere attraktiver zu machen?

Wie würden Sie die Stimmung in Solothurn beschreiben?
Ich weiss noch nicht, was diese eben beschriebene immer prekärere Situation für Auswirkungen bis nach Solothurn haben wird. Sicher werden sich aber alle darüber freuen, sich austauschen und gute Bücher lesen und hören zu können.

Welchen Effekt hat eine Teilnahme?
Es kann ein Buch gefunden werden, das einem lange zu denken und zu fühlen geben wird. Der Kontakt mit Leserinnen und Lesern kann helfen, sollte aber nicht entmutigen, es können Lesungsmöglichkeiten für Autoren organisiert, Rezensentinnen auf Bücher aufmerksam gemacht und es können neue Autorinnen gefunden werden. Aber nichts davon muss passieren, es ist immer anders.

Haben Sie eine Empfehlung für jemanden, der noch nie dort war?
Vorher das Programm studieren und Veranstaltungen aussuchen und sich Zeit fürs Kaffeetrinken mit Leuten nehmen.

Info: www.literatur.ch

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«Es ist Hürlimanns einzige Lesung»
Reina Gehrig (36) leitet seit 2013 die  Solothurner Literaturtage. Neuerungen hält sie nicht für nötig. Ihr klares Highlight: Thomas Hürlimann.

Als ältestes und gewichtigstes Literaturfestival der deutschsprachigen  Schweiz zu gelten, bringt Verantwortung mit sich. Welche Kriterien gibt es für die Auswahl?
Reina Gehrig: Die Auswahl der Schweizer Werkschau trifft die Programmkommission. Dort müssen wir uns dieser Verantwortung bewusst sein. Und wir können dem nur gerecht werden, indem wir seriös und umfassend alle Neuerscheinungen des vergangenen Jahres lesen und jedem Text eine Chance geben.

Was bringt die Teilnahme am Festival den Autoren und Autorinnen?
Die Solothurner Literaturtage verschaffen ihnen eine Öffentlichkeit. Sie werden wahrgenommen und die Lesungen sind gut besucht. Gleichzeitig ist Solothurn auch ein Treffpunkt. Alle Autoren und Übersetzerinnen sind für drei Tage eingeladen – das ermöglicht wichtige Begegnungen, Gespräche, Diskussionen. Peter Bichsel hat letztes Jahr gesagt: «Einmal im Jahr das einsame Geschäft des Lesens, das einsame Geschäft des Schreibens als ein gemeinsames empfinden – Solothurner Literaturtage».

Was ist die grösste Herausforderung?
Die begrenzten Kontingente. Es muss immer eine Auswahl getroffen werden, die gleichzeitig repräsentativ sein soll.

Welchen Gast schätzen Sie am meisten?
Ich schätze alle Gäste sehr. Aber dass Thomas Hürlimann in Solothurn lesen wird, freut mich besonders, weil es seine einzige Lesung aus dem Roman «Die Heimkehr» ist. Aus gesundheitlichen Gründen konnte er das Buch im Herbst, als es erschienen ist, nicht vorstellen.
 
Welcher Gast polarisiert?
Das werde ich am kommenden Sonntag sagen können. Bestsellerautoren haben vielleicht das grösste Potential zu polarisieren, weil die Erwartungen an sie sehr hoch sind. Also Ferdinand von Schirach, Inger-Maria Mahlke oder Zerocalcare?

Was ist für Sie die grösste Freude?
Das Besondere finde ich die Stimmung. Obwohl die Solothurner Literaturtage aus über 200 verschiedenen Veranstaltungen bestehen – von Lesungen mit einem 500-köpfigen Publikum über Diskussionen und Workshops in kleinen Runden bis zu Erzählstunden für die Kleinen und musikalischen Performances – werden sie immer zu einem grossen Ganzen.

Was war die grösste Neuerung?
Grosse organisatorische Neuerungen gibt es nicht. Es werden 120 neue Texte vorgestellt, darunter befindet sich eine beachtliche Anzahl von Texten von Autoren, die zum ersten Mal zu Gast sind.

Was möchten Sie empfehlen?
Ich freue mich besonders auf das Abendprogramm, das «Literarische Flanieren». Dann werde ich etwas Zeit haben, durch Solothurns Gassen zu schlendern, wo  Spoken Word Poet*innen auftreten, Gedichte rezitiert und literarische Lieder gesungen werden und Autoren ihre Lieblingsdrinks ausschenken. Interview: gau

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