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«Clowns sind monströse Gestalten»

Sie spricht mit ihren Gesichtszügen: Seit über 40 Jahren steht Gardi Hutter als tapfere Hanna auf der Bühne – und ist noch lange nicht müde. Am Freitag tritt sie im Bieler Nebia auf.

Hanna will so heldenhaft sein wie Jeanne d'Arc, ist jedoch zu dick, um in die Rüstung zu passen. Bild: zvg
  • Dossier
Interview: Hannah Frei
 
Gardi Hutter, als ich als Kind zum ersten Mal an einem Ihrer Auftritte war, hatte ich Angst vor Ihnen.
Gardi Hutter: Das ist nicht verkehrt. Clowns sind ursprünglich monströse Gestalten, Dämonen. Erst das Lachen über das unabwendbar Schreckliche erlaubt uns Menschen, damit in Frieden zu kommen. Der tiefere Sinn dieser grotesken Figuren ist es, dass sie in der Tragik völlig übertrieben sind, so sehr, dass es in die Komik kippt – das nimmt die Angst. Wie Fasnacht die Winterdämonen und Halloween die Toten zu vertreiben sucht. Das haben Sie schon richtig gespürt.
 
Ist also auch die tapfere Hanna, als die Sie seit über 40 Jahren auf der Bühne stehen, ein Dämon?
Clownfiguren müssen komplementär sein, sowohl das düstere Tragische als auch das Helle-Komische in sich tragen. Bei Clowns geht es immer ums Scheitern. Und das ärgste Scheitern ist das Sterben. Das ist unsere grösste narzisstische Kränkung. Wir können das nicht ändern – aber wir können darüber lachen.
 
Weshalb ist Sterben das grösste Scheitern?
Die Menschen können alles Mögliche erreichen, sogar auf den Mond fliegen. Aber am Ende ist Schluss und vorbei. Aus Sicht der Natur ist der Tod eine geniale Erfindung, denn sie ermöglicht ständige Erneuerung. Aber für jedes Individuum ist er der grösste Schmerz.
 
Fürchten Sie sich vor dem Tod?
Ich bin ein Profi im fröhlichen Sterben. In acht meiner Stücke bin ich am Schluss tot. Es dreht sich immer ums Existenzielle: Leben und Tod. Das Wissen um unsere Sterblichkeit lässt uns das Leben besser verstehen – und besser geniessen. Erst der individuelle Tod ermöglicht das Weiterleben der Gruppe. Also nein, ich habe keine Angst vor dem Tod.
 
Wer ist eigentlich diese Hanna genau?
Als ich die Figur vor 40 Jahren geschaffen habe, gab es keine Clowninnen, kaum lustige weibliche Figuren. Witze über Frauen waren immer herablassend. Ich wollte eine Figur erschaffen, die so heldenhaft wie Jeanne d’Arc sein möchte, jedoch zu dick ist, um in die Rüstung zu passen und zu dumm, um etwas zu verstehen.
 
Wie hat sich Hanna in all den Jahren entwickelt?
Es ist die Gesellschaft, die sich entwickelt hat. Was Hanna verkörpert, war zu Beginn das Schreckgespenst einer Frau. Eine solch schroffe, wütende, zornige Frau war damals unvorstellbar auf der Bühne. Es gab nur Witze über dumme Sekretärinnen und keifende Hausfrauen. Dass man über Frauen lachen kann, ohne sie klein zu machen, war längst überfällig. Heute ist das anders.
 
Wie viel Hanna steckt eigentlich heute noch in Gardi Hutter?
Hanna ist klar eine Kunstfigur, in der ich viel Persönliches abladen kann. Wenn ich wütend bin oder ich mich über die Menschheit aufrege, die alles tut, um sich selbst auszurotten, dann kann das Hanna für mich übernehmen. Aber im Grundsatz sind wir komplett verschieden: Ich suche Harmonie, Hanna sucht den Konflikt und den Kontrast. Aber Harmonie auf der Bühne wäre ja langweilig.
 
Was können Sie heute als Hanna auf der Bühne, was Sie in Ihren Anfängen nicht konnten?
Oft sind die Leute erstaunt darüber, dass ich das mit 68 Jahren noch kann. Aber heute brauche ich auf der Bühne die Hälfte der Energie, die ich vor 40 Jahren gebraucht habe. Damals ging ich mit einem roten Kopf von der Bühne und atmete erst einmal tief aus. Nass bin ich zwar auch heute noch nach den Auftritten. Aber es fühlt sich mehr nach Tanzen an, nach Anstrengung für den Körper. Hanna sitzt tief in mir drin.
 
Gibt es auch Dinge, die Sie heute weniger gut können?
Ich denke, Pausen sind für mich wichtiger geworden. Das letzte Jahr habe ich aufgrund der Pandemie hauptsächlich zu Hause verbracht. Dieses ruhige Leben hat mir sehr gefallen. Gleichzeitig habe ich aber auch die Auftritte vermisst, den Austausch mit dem Publikum. Ich denke, die gesunde Mischung macht es. Im Moment ist dies aber nicht möglich. Es herrscht Stau. All die verschobenen Auftritte werden nachgeholt. Das ist für mich doch eher herausfordernd und wäre langfristig nicht erstrebenswert.
 
Dieses Jahr ist Ihre Biografie «Trotz allem – Gardi Hutter» erschienen. Weshalb diese Biografie?
Ich bin in den 60er- und 70er-Jahren aufgewachsen. Wenn ich meinen Kindern heute von der damaligen Vorstellung von richtig und falsch erzähle, schütteln diese nur den Kopf. Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, wie das Leben in der Schweiz vor 1968 war. Das war eine eher menschenfeindliche Gesellschaft. Ich sehe meine Biografie als Zeitdokument. Deshalb erzählte ich alles der Autorin und Historikerin Denise Schmid, die es geschrieben hat. Es sollte keine Homestory werden.
 
Als 20-Jährige waren Sie wütend auf die Gesellschaft, auf die Normen und Regeln. Sind Sie heute noch wütend?
Nein. Diesen Motor muss ich nicht mehr einsetzen. Es gibt mittlerweile viele Möglichkeiten, das auszuleben und zu entfalten, was in einem liegt. Es geht um gleiche Rechte für alle, aber nie um Gleichmacherei.
 
Wie lange wird es die tapfere Hanna noch geben?
Es gibt bei jedem Stück Szenen, die eine körperliche Herausforderung sind. Wenn ich diese nicht mehr schaffe, dann muss ich aufhören. Bis dies eintritt, werde ich weitermachen. Kein Hobby ist spannend genug, um kein Theater mehr zu machen. Die Pflicht ist durch, nun folgt die Kür. Für mich gibt es zurzeit keinen Grund, aufzuhören. Ich habe immer das gemacht, was ich am liebsten mache. Das empfinde ich als grosses Geschenk. Die Energieflüsse, die zwischen dem Publikum und der Bühne hin und her gehen, sind so aufregend, erregend. Das ist konzentriertes Leben. Das möchte ich nicht missen.
 

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