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Literatur

Das Schreiben, eine Suche

Am Samstag fanden zum 8. Mal die Bieler Gespräche statt: ein schweizweit einzigartiger Anlass der Begegnung zwischen Autoren und Übersetzern. Ein Erfahrungsbericht.

Li Mollet hat nicht gewusst, dass es bei ihrem Text so viel zu Lachen gibt, Bild: Julie Lovens/bt

von Luise Maier

Literaten sind Einzelgänger. Deswegen meiden sie Gesellschaft und deswegen suchen sie sie. Am Samstag war eindeutig Zweiteres der Fall, als zum 8. Mal die Bieler Gespräche am Literaturinstitut stattfanden. Die Bieler Gespräche sind ein schweizweit einzigartiges Forum, das Möglichkeit von Reflexion und Austausch über literarische Texte bietet - sowohl von Originalen als auch von Übersetzungen.

 

Orientierung

Schreiben hat für mich mehrere Bedeutungen, eine sehr wichtige davon ist: Es gibt mir einen Boden, wenn ich nicht weiss, wo ich hingehöre. Und wenn das Schreiben ein Ort ist, dann sind die Wörter die Koordinaten. Die Koordinaten müssen präzise sein, müssen stimmen, damit die Übersetzer und Übersetzerinnen sie in eine fremde Sprache verwandeln können. Während draussen der Schnee fällt, sitze ich mit Li Mollet und 20 anderen im Raum und wir stellen zu ihrem Text Fragen wie: «Wo kommt eigentlich die Herkunft her?», «Was bedeutet Wunschlosigkeit?» und «Kann ein einziges Haar baumeln?» Ihr noch unveröffentlichter Text wurde ins Französische und Italienische übersetzt. Übersetzer und Übersetzerinnen sind extrem genaue Leser, da werden Ungereimtheiten schnell aufgedeckt. Camille Luscher, die diese Diskussion leitet, klaubt sich ein Haar aus dem Haaransatz nach vorn und schüttelt den Kopf. Wir sind uns einig: Ein Haar kann nicht baumeln, da kein Gewicht daran gebunden ist. Als wir zusammenpacken, meint Li Mollet mit einem Lächeln, sie habe gar nicht gewusst, dass es bei ihrem Text so viel zu Lachen gebe.

Auch meine eingereichten Auszüge wurden im Vorfeld ins Französische und Italienische übersetzt. Ich habe die Ehre, mir 14 verschiedene Leseeindrücke anzuhören. Es erstaunt mich, wie genau meine Geschichte in die Köpfe anderer übertragen wird. Als die Moderatorin Charlène Tardy mich fragt, ob ich noch etwas zu meinem Text erzählen will, bleiben mir die Worte weg: es wurde schon alles gesagt. Erstaunlich ist auch, dass gerade die Schlichtheit der Sprache die Schwierigkeit für die Übersetzung bereitet. Schon allein für den Titel gibt es im Französischen drei verschiedene Varianten: Übersetzt man «Wie es ist» nun mit «Les choses commes elles sont», «C’est ainsi» oder «Tel que c’est»? Jeder hat seine eigene Sprache; die Mitte zu finden, ist das Ideal, aber auch die Herausforderung.

Schon im ersten Satz lauert die nächste Fragestellung: Übersetzt man «wir» klassisch mit «nous» oder doch mit «on», schliesslich wird die Geschichte aus der Perspektive eines Kindes erzählt? Was wird aus den Wörtern «Mutter» und «Vater» im Französischen? «Mère» und «père» - oder ist das zu distanziert? Ist die Distanz gewollt? Wieso stehen an manchen Textstellen Pronomen vor «Mutter» und «Vater» und an manchen nicht? Sophie Jaussi fragt mich, wie ich den Text konstruiert habe - und wieder fehlt mir eine eindeutige Antwort, denn Schreiben hat für mich im ersten Moment wenig mit Konstruktion zu tun, sondern mit Gespür und Bildern.

Ich bin meinem eigenen Text gegenüber oft blind. Es ist spannend, zu hören, was für Echos er erzeugt. Bei so vielen Stimmen von aussen muss ich allerdings auch vorsichtig sein. Im besten Fall werfen sie mich auf mich selbst zurück, zu meiner eigenen Stimme, aber sie können mich auch orientierungslos machen, weil ich nicht mehr weiss, auf welches Echo ich nun hören soll. Dabei gibt es kein Richtig und kein Falsch. Es ist beeindruckend, wie reichhaltig ein Text sein kann. Schreiben ist eine einsame Tätigkeit und ich brauche den Blick von aussen. Ganz ohne Austausch geht das Schreiben nicht, aber mit zuviel auch nicht.

 

Fragen und Suchen

Auch Martin R. Dean scheint es so zu gehen. Nachdem er aus seinem neuen Text «Verbeugung vor Spiegeln» gelesen hat, meint er im Gespräch, dass es kein Roman sei, was da im März erscheine, er wisse selbst nicht so genau, was es sei. Als eine Diskussionsteilnehmerin meint, auf sie wirke der Text wie ein Nachruf auf seinen Stiefvater, nickt er und meint, das fände er gut, vielleicht sei sein Text genau das.

Das Schreiben ist und bleibt ein Suchen. Dazu gehören auch zahlreiche Fragen. Auf viele werde ich keine Antwort finden. Ein Text ist nie ganz fertig und es liegt an mir, den Schlusspunkt festzusetzen.

 

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