Sie sind hier

Abo

Konzert

Das Wahre ist von sperriger Eleganz

Das Ziel von Edmond Jefferson & Sons ist nicht die glatte Oberfläche, sondern die Intensität, die sich auch aus der Düsternis nährt. Morgen tauft das Bieler Quintett sein Album «The Winter»

Etwas Schatten muss stets sein: Edmond Jefferson & Sons habens nicht so mit der Sonne. zvg/sébastien gerber
  • Video

Tobias Graden

Man hört das Summen des Verstärkers, dann heult eine Gitarre so etwas wie eine kurze Melodie, zweimal, dann setzen Bass, Gitarre und Schlagzeug mit Wucht ein, schliesslich gibt sich die Sängerin die Ehre, wobei sie zu Beginn eher eine Schreierin ist. Das klingt wild, roh und rau, nach Garagenrock, nach viel Energie. «Hotcha» heisst das Stück, mit ihm beginnt das Quintett mit Namen Edmond Jefferson &Sons sein neues Album «The Winter».
Hotcha? Ja, der Hotcha ist gemeint, Bieler Urgestein, lebende Legende, Rentner mit dem Ungestüm eines Jungspunds, der seinen Formationen Namen wie «The Teenage Lesbians From Hell» zu geben beliebt und der den zweiten Frühling des Punk-Trios Pull MyDaisy auf unbestimmte Zeit verlängert hat. «Hotcha ist immer voll auf ‹on›», sagt Schlagzeuger Thibaud Gerber, «der Song ist eine Hommage an ihn.»Dabei gehören Gerber und die übrigen Bandmitglieder Josette Seydoux(Gesang), Arno Carnal (Gitarre), Bertrand Vorpe (Gitarre) und Antoine Guerne (Bass) doch klar einer anderen, jüngeren Generation an:Sie sind alle zwischen 28 und 35 Jahre alt. Doch da war dieser Song, in dem die Gitarren «assez nerveuses», geradezu «en colère» klingen, wie es Gerber sagt, da war diese Energie dieses Songs, der ansonsten eigentlich nichts mit Hotcha zu tun hat, dass nur ein Titel für ihn in Frage kam – eben «Hotcha», gemeint als «clin d’oeuil», mit einem Augenzwinkern.

Letztlich eine neue Band
Das Stück klingt, als habe es die Band eben mal dahingeschlenzt, als kicke ein höchst unzufriedener Mensch beim Gehen auf der Strasse kraftvoll gegen eine herumliegende Bierdose, spontan und unbedacht. Doch die Gruppe mit dem sperrigen Namen, den ohnehin nie jemand in seiner ganzen Länge verwendet, schludert die Dinge nicht einfach hin, im Gegenteil: Sie legt viel Wert auf Details, sie legt viel Wert auf den Klang, und gerade in den diversen Erscheinungsformen des neuen Albums «The Winter» zeigt sich, mit welcher Hingabe sie zu Werke geht.
Doch zuerst dies: Im Prinzip ist «Winter» ja ein Debütalbum. Der Befund mag erstaunen, existiert die Band doch schon länger und hat mit einer sechs Songs starken EPim Jahr 2012 hörbar auf sich aufmerksam gemacht. Doch kaum war das Werk erschienen, verabschiedete sich der Bassist, worauf Antoine Guerne zu den tiefen Tönen wechselte, dann ging auch noch ein Gitarrist und musste ersetzt werden. Bis alles wieder einstudiert war, sich neue Mechanismen bildeten und sich wieder ein gefestigtes Bandverständnis eingestellt hatte, dauerte es eine Weile, und heute sagt Guerne:«Letztlich sind wir heute eine andere Band.»
Es ist aber nicht so, dass Edmond Jefferson & Sons ganze geschlagene sieben Jahre gebraucht hätten, bis das neue Werk stand. Die elf Lieder auf «Winter» sind in den Jahren 2015 bis 2017 entstanden, geschrieben in den dunkleren Monaten des Jahres, aufgenommen wurde im Frühjahr 2017, und schliesslich brauchte das Label noch einige Zeit,bis es mit der Veröffentlichung so weit war.

Mehr Wahrhaftigkeit
Dass sich die Band weiterentwickelt hat, ist nun auch musikalisch festzustellen. War die erste Aufnahme noch stärker in einem 70er-Jahre-Verständnis von Rock und Blues verankert, so lässt sich «The Winter»nun weniger in einer bestimmten Epoche verorten, sondern folgt einem breiteren Ansatz von Alternative Rock. Man kann das Wirken von Neil Youngs Formation Crazy Horse heraushören, wenn man will, aber die Musik liesse sich ebenso an der Indie-Heroin PJ Harvey festmachen, was Gerber und Guerne naheliegender scheint.
Jedenfalls ist «The Winter» ein Album von sperriger Eleganz, seine Schönheit gibt es nicht auf oberflächliche Weise preis. Es resultieren keine glatten Oberflächen, wenn man mit Sirup Gagavil von Puts Marie aufnimmt, vielmehr Unmittelbarkeit und Dringlichkiet – zu welcher der leidenschaftliche Gesang von Josette Seydoux (in französisch und englisch) viel beiträgt. Bis auf die Stimme sind die Stücke live aufgenommen, ohne Overdubs, «was man auf dem Album hört, hört man auch am Konzert», sagt Gerber. Diese Herangehensweise verspreche «quelque chôse de plus vrai», mehr Wahrhaftigkeit also, man zeige sich sozusagen nackt, sagt Guerne. Manche Stücke dauern bis zu acht Minuten, und auch die kürzeren dürften kaum Eingang ins Tagesprogramm herkömmlicher Radiostationen finden. Dabei ist das Quintett keineswegs nur lärmig, gerade das Titelstück beispielsweise ist überaus filigran, und an Dynamik mangelt es den Liedern durchaus nicht.

Das Licht undunkler Nacht
Edmond Jefferson & Sons nutzen bevorzugt älteres Material, aufgenommen wurde analog auf Band, des Klangs wegen. Diese Sorgfalt äussert sich auch im visuellen Erscheinungsbild des Werks: Die Band hat dem Fotografen Sébastien Gerber die Musik gegeben und es komplett ihm überlassen, welche Bildsprache er dazu findet. Das Artwork zeigt nun Ausschnitte winterlicher Berglandschaften und eine Strasse, die ins Irgendwo führt, es herrscht das Licht undunkler Nacht – man könnte sich auch die Musik einer introvertierten norwegischen Jazzgruppe in solcher Verpackung vorstellen.
Die Musik gibt’s nicht nur rein digital und auf CD, sondern auch auf Vinyl, und dies gleich mehrfach. Limitierte Editionen in einer Auflage von 50 bis 150 Exemplaren samt einem Heft mit Bildern von Gerber und Dickerhof verdeutlichen, wie wichtig der Band und dem Label eine hochwertige Materialisierung ihres Schaffens ist:«Wir wollen nicht nur Musik verkaufen, sondern ein schönes, wertvolles Objekt», sagt Guerne. Und setzt so wie die ganze Band mit ihrem Schaffen ein Statement gegen das Ephemere heutiger Gepflogenheiten des Musikkonsums.

Info: Edmond Jefferson & Sons:«The Winter» (Hummus Records, erhältlich ab 8. März beim Label in verschiedenen Formaten oder an Konzerten). Plattentaufe morgen Abend im Le Singe, Biel.

Nachrichten zu Kultur »