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Vibez-Festival

Das wird nach einem Erfolg aussehen

Der erste Tag am ersten Vibez: Es ist ein Festival ohne Gedränge, aber auch mit echter Freude. Wichtiger als das Erlebnis vor Ort dürfte die multizplizierte Wirkung sein.

Du sollst dir ein Bildnis machen: J Balvin braucht dennoch eine Zeitlang, bis er sich dem Energieniveau seiner Fans annähert. copyright: nico kobel/bieler tagblatt

Tobias Graden

Ist das nun der Moment der unumstösslichen Wahrheit? Es ist kurz vor elf am Donnerstagabend, und die Hauptbühne ist ein schwarzes Loch. Nichts passiert, dabei sollte seit fast einer halben Stunde J Balvin auftreten, der Headliner des Eröffnungstages am Vibez-Festival, ja der grösste Name am Anlass überhaupt. Glaubt man den entsprechenden Listen, ist der Kolumbianer der zurzeit am drittmeisten gestreamte Künstler auf Spotify überhaupt, nach Drake und Ariana Grande. Über die Wertigkeit eines Festivals müsse man doch gar nicht diskutieren, wenn einer wie J Balvin auftrete, hatte Vibez-Organisator Daniel Meili im Voraus argumentiert. Aber nun lässt Balvin auf sich warten, und man ertappt sich beim Gedanken, dass ein Nichterscheinen doch zu diesem Vibez passen würde, so wirr dessen Vorgeschichte war.

Man kann auch lächeln
Sie ist sichtbar, diese Vorgeschichte, in Form von quadratischen Lücken auf Stoffplakaten und schwarzen Filzstiftflecken auf den Festivalbändeln. Hier wäre das Emirates-Logo sichtbar, wenn das Vibez es noch zeigen dürfte, aber eben: ausgeschnitten und übermalt. Das Vibez zelebriert gar die passende Selbstironie dazu: Auf beiden Seiten der Hauptbühne hangen Plakate mit der Aufschrift «Vibez On Fyre», dazu ein Kuss-Smiley samt Herzchen – man kann den Vergleich mit dem berühmten Fiasko auf den Bahamas auch weglächeln. Neues gibts zur Causa übrigens nicht zu berichten, auch dem Medienpartner Watson gegenüber verriet Managing Director Meili im Exklusiv-Interview keine Exklusivitäten.
Eine unangekündigte Änderung im Line-Up lässt sich dann doch verzeichnen, die wenig bekannte Sonja Majeed wird durch die nicht minder unberühmte Faceless ersetzt, aber das kriegen bloss die paar Dutzend Besucher mit, die auch die ersten Minuten dieser Erstausgabe miterleben wollen.

Nicht wenig, nicht viel
Auf J Balvin dagegen warten nun durchaus ein paar tausend Leute, wer die Besucherzahl auf etwa 4000 schätzt, dürfte ungefähr richtig liegen. Das ist nicht sehr wenig, für das weitläufige Gelände von eher funktionaler Atmosphäre allerdings auch nicht sehr viel. Das Vibez startet als Festival ohne Gedränge, die VIP-Tribüne – um 90 Grad zur Hauptbühne abgewinkelt aufgebaut – ist so gut wie leer. Auf den Kurzfilmen, die das Vibez jeweils umgehend nach den Auftritten der Künstler ins Netz stellt, sieht man das nicht: Sie sind dermassen geschickt aufgenommen und geschnitten, dass selbst das Eröffnungskonzert nach ausgelassener Party aussieht. Es geht also nicht bloss um Musik, sondern nicht zuletzt auch um Bilder an diesem Festival, wozu auch die Tänzerinnen und sonstigen Verkleideten der deutschen Gruppe Dreamotionz dienen. Als Hintergrund-Staffage auf den Podesten am Rand der Menge wirken sie zwar reichlich verloren, fantastisch verkleidet und auf Stelzen durch das Publikum gehend verströmen sie aber einen Hauch von Burning-Man-in-glamourös am kühlen Abend.

Der Star ist drauf von nah
Es wäre jedoch unredlich, nicht auch von echter Freude zu berichten. Wohl dürfte die Latino-Formation Gente de Zona mit mehr Publikum gerechnet haben, ist ihre Musik nicht frei von kalkulierten Effekten und greift sie trotz Besetzung in zweistelliger Zahl bisweilen auf Playback zurück; aber sie glänzt eben auch mit Spiellust, Sympathie, Offenherzigkeit, einer umarmenden Geste und breitem Lachen in den Gesichtern – sollte dieses nicht echt sein, dann wär es verdammt gut gespielt. Das wirkt: Allenthalben wird getanzt, ein etwa 60-jähriger Herr wirft begeistert seine Kuba-Fahne in die Luft.
Hätte sich doch J Balvin davon anstecken lassen! Gegen elf Uhr betritt er die Bühne, doch er wirkt etwas müde, fast gelangweilt, zumindest wenn man seinen Auftritt mit Aufnahmen von Shows an grossen Festivals vergleicht. In Biel treibt ihn halt keine Beyoncé zum Duett-Duell an, und so dauert es eine Weile, bis sich der Reggeaton-Star halbwegs dem Energieniveau seiner Fans annähert und diese mit einem Lächeln beschenkt. Sie nehmen es dankbar auf. Zu aberhunderten sind die Handys in die Luft gestreckt, permanente Bilderproduktion und Multiplikation auch hier, der Star ist drauf von nah, und dieses Erlebnis ist erst noch günstig bis gratis zu haben: Sollten sich dereinst Historiker anhand dieser Bilder ein Bild vom Vibez machen wollen, werden sie angesichts der Quellenlage wohl von einem gelungenen Auftakt sprechen.

Stichwörter: Vibez, Festival, Biel, Musik, J Balvin

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