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Pegasus

Der Charme steckt im Detail

Ein riskantes Vorhaben gerät zum Grossen Kino: Die Bieler Band Pegasus begeistert mit Orchester das Publikum im KKL Luzern.

Noah Veraguth führt mit Charisma durch drei ausverkaufte Abende. Boris Macek/Radio Pilatus

Tobias Graden

Er hat’s einfach drauf, man kann es neidlos anerkennen. Wie er da nach etwa anderthalb Konzertstunden vorne an der Bühne steht, neben ihm seine Band, hinter ihm ein massiges Orchester samt Chor, über ihm der grosse Bildschirm, vor ihm ein ausverkauftes Luzerner Kultur- und Kongresszentrum; und wie er nun diesen Song darbringt, einfach er und seine akustische Gitarre, wie er diesen intimen Moment kreiert in einem an Bombast nicht eben armen Konzert, und wie das grosse klatschfreudige Publikum ganz still wird, wie sich die ganze Energie und Konzentration dieses mächtigen Saals auf ihn konzentriert und er einfach simpel Akkorde spielt und singt und jeden in diesem Raum im Sack hat und diesen Moment zelebriert – das hat wirklich Klasse.

Kann man diesen Moment eindringlich nennen? Können Songzeilen, die platitüdenhafte Formeln aneinanderreihen, eindringlich sein? Lässt sich jemand ernsthaft vom Aufruf «Come on, we were meant to fly / Let us rise to the top of this skyline» berühren? «Skyline» heisst der Song, es ist der wohl bekannteste von Pegasus, er ist zumindest dem sportinteressierten Publikum im Olympia-Sommer 2012 schier pausenlos um die Ohren gehauen worden, so dass man sich schliesslich ein 100-jähriges Sendeverbot dafür gewünscht hätte. Sänger Noah Veraguth aber, dieser Schelm, spielt den grellen Eurodance-Hit zu Beginn, als handle es sich um die Vertonung der dunkelsten Ecken einer einsamen Singer-Songwriter-Seele, und dramaturgisch ist das natürlich ein meisterhafter Kniff. Der simpelste Moment des ganzen Konzerts gerät zum besten, der Kontrapunkt zum Höhepunkt.

Oboe für Salome
Er funktioniert natürlich nur im entsprechenden Kontext, dieser Moment. Der Kontext, das ist das ambitiöse Vorhaben, Popmusik mit einem Sinfonieorchester zu höherer Kunst zu verschmelzen. Solches haben schon weit bekanntere Musiker und Bands versucht, oft sind sie gescheitert, und die Ambivalenz solcher Projekte zeigt sich auch in den drei Konzerten, die Pegasus zusammen mit dem 21st Century Symphony Orchestra im vollen KKL gespielt haben ( jeder Abend war ausverkauft, das muss man auch erst mal hinbringen als Schweizer Popband in diesem Nobeltempel). Das Intro und der erste Song erinnern an Filmmusik, was nicht weiter erstaunt, ist diese doch die grosse Spezialität dieses Orchesters, das in seinen nächsten Konzerten «Pirates of the Caribbean» live vertont. Dann gibt es Songs wie «Man on Mars», die so klar und prägnant sind, dass ihnen der Schmelz des Orchesters nicht viel anhaben kann – das sinfonische Arrangement ist nicht wirklich zwingend, aber der Kitsch hält sich in Grenzen. In den besten Fällen aber werden einerseits die erweiterten Klangmöglichkeiten dieser Grösstformation nicht effekthascherisch, sondern durch Wohldosiertheit sehr effektvoll genutzt, so wie mit der Oboe im feinen «Be Aware», einem Liebeslied, gewidmet einer «Salome, wo immer Du jetzt auch bist». Oder der grosse Klangkörper vermag andererseits einen Popsong zu dynamisieren, zu dramatisieren, und das gelingt beispielsweise gerade im zweiten Teil des angesprochenen Hits «Skyline», den das Orchester erst veredelt – wenn die schnellsten Passagen nicht vom nervigen Synthesizer stammen, sondern von Streichern aus Fleisch und Blut, mag man dies zwar für überkandidelt halten, es ist in seiner Virtuosität aber zweifellos spannend.

Stress’ Führungstor
Fussballerisch gesprochen (die Jungs von Pegasus sind ja Fussball-Liebhaber) ist die erste Halbzeit des Konzerts solide und gut, zu Begeisterungsstürmen sieht sich das Publikum aber nicht veranlasst. Der Treffer, der das Spiel so richtig in Fahrt bringt, gelingt einem, der mit dem Ganzen nur am Rande zu tun hat: Kurz nach der Pause entert der Rapper Stress die Bühne und performt (man sagt das in solchen Fällen so) das Stück «Elle». Es stammt vom Album «Noël’s Room», auf dem der Welschrapper mit seinen Kumpels Bastian Baker und Noah Veraguth seinen Trennungsschmerz zur Goldenen Platte umwandelte. Und dieses Stress-Intermezzo wird vom Publikum als Besuch eines grossen Stars interpretiert, es kommt zu Szenenapplaus. Der Schock ist ein positiver, er tut dem Konzert gut, denn von diesem Moment an ist die Bühne näher am Zuschauerraum, das Publikum ist wacher und gewillt, den Abend als magischen zu erleben.

Und die vier Jungs aus Biel? Was das Musikalische betrifft, so haben sie sich in diesem Setting zwangsläufig eher in Zurückhaltung zu üben. Die Gitarre von Simon Spahr ist bisweilen kaum vernehmbar, seine wenigen Soli wirken gestutzt. Bassist Gabriel Spahni bereitet den soliden Boden, und dass Schlagzeuger Stefan Brenner in seinem Solo eher auf Wucht als auf Subtilität setzt, ist ihm an diesem Abend schwerlich zu verübeln.

Bieler Anekdoten
Und doch: Auch abgesehen vom Charisma ihres Frontmanns gibt ihre Präsenz dem Anlass ein besonderes Gepräge. Zweifellos sind Musiker und Band nach vielen ausverkauften Konzerten stark gereift, professionell geworden sozusagen. Wie die Jungs von der Bieler Schützengasse anekdotisch ihre Kindheits- und Jugenderinnerungen zum Besten geben («Unsere Freundschaft beschlossen wir gleich mal mit einer kräftigen Schlägerei»), als blickten sie nach einem ganzen Künstlerleben auf ihre Anfänge zurück, kann man durchaus für aufgesetzt halten.

Wie sie dann aber als Zugabe nach den Zugaben sich als Quartett um ein Mikrofon versammeln, einander die Arme über die Schultern legen, a cappella den Song «Surfer Girl» von den Beach Boys singen und einander während der Zeile «Do you love me?» spitzbübisch in die Augen gucken, ist der echte Charme, der an diesem Abend der grossen Show zu weichen hatte, unmittelbar wieder da. Als sie dann hintereinander von der Bühne schreiten, sieht das aus, als fehle am Boden einzig noch der Fussgängerstreifen von der Abbey Road. Unverschämt grosses Kino, Giele.

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