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Biel

Der Knall des Pistolenkrebses als Flügelschlag des Schmetterlings

Biel Wie klingt das Geräusch, mit dem Synalpheus pinkfloydi seine Beute tötet? Gaudenz Badrutt nimmt es zum Ausgangspunkt einer Klanginstallation im KlHaus, die den ganzen Monat lang anwächst – bis zum grossen Finale an Silvester.

Mit der pinken Schere tötet der Pistolenkrebs seine Beute auf lärmige Weise.  Arthur Anker/CC BY 3.0
Tobias Graden
 
Welches Tier macht das lauteste Geräusch? Ist es das Röhren eines Hirsches in der Brunftzeit? Der Schrei eines Riesenpapageis? Das Trompeten eines Elefanten? 
Nein. Das Tier, welches das lauteste Geräusch erzeugen kann, ist gerade mal maximal 6,6 Millimeter lang. Es ist ein Pistolenkrebs, der an der Pazifikküste Panamas in Korallenriffen lebt. Entdeckt hat ihn im Jahr 2017 der Wissenschaftler Sammy De Grave von der Universität Oxford. De Grave kennt sich aber nicht nur mit Unterwasserbewohnern aus, sondern auch mit der Geschichte der Rockmusik. Wegen ihrer pinkfarbenen Schere benannte er die neu entdeckte Tierart nach der Band Pink Floyd: Synalpheus pinkfloydi, also Pistolenkrebs Pink Floyd. Selbst in den wissenschaftlichen Erstbeschrieb liess De Grave seine Pink-Floyd-Affinität einfliessen: Es sei unwahrscheinlich, dass der Pistolenkrebs auch auf der dunklen Seite des Mondes vorkomme, schrieb er – «Dark Side of the Moon» heisst das grösste Meisterwerk der englischen Band. 
 
Lauter als ein Düsenflugzeug
210 Dezibel erzielt Synalpheus pinkfloydi, indem das Tier seine Schere derart schnell schliesst, dass darin eine sogenannte Kavitationsblase implodiert. Wozu das? Einerseits, um Beutetiere in seiner Nähe zu töten, anderseits zur Kommunikation mit weiter entfernten Artgenossen. Zum Vergleich: Ein startendes Düsenflugzeug erreicht maximal 140 Dezibel. Im KlHaus vor dem Centre Pasquart sind nun Aufnahmen solcher Krebsklänge zu hören – natürlich nicht in der Originallautstärke, sie wurden «vernünftigerweise adaptiert», wie Gaudenz Badrutt schreibt. Der Musiker, der auch Teil des eben von der Stadt Biel ausgezeichneten Duos Strøm ist, widmet dem Synalpheus pinkfloydi dort eine audiovisuelle Installation, also ein Werk aus Bildern und Klängen. 
Drei Leidenschaften verbindet Badrutt bei der Aktion, die den ganzen Dezember über dauert: die künstlerische Tätigkeit als elektro-akustischer Musiker, die Arbeit als Musikwissenschaftler (Badrutt hat mit einer Arbeit über den Komponisten Luc Ferrari doktoriert) und sein Interesse an Naturphänomen – auf den pinken Pistolenkrebs stiess er bei Recherchen zu Meerestieren. Dieser ist nicht eigentliches Zentrum, wohl aber der Ausgangspunkt von Badrutts Installation. 
 
Als Pink Floyd Fische töteten
Einen Sessel, Lautsprecher, alte Postkarten, einen Text: Das findet die Besucherin vor, wenn sie sich ins KlHaus begibt. Beim Besuch des BT gestern Morgen ist ein Klacken zu hören, das sind die heruntergedimmten Klänge des Pistolenkrebses. Bisweilen klingen Fragmente eines Rockkonzerts an. Sie stammen aus dem Stück «In the Flesh?», das Pink Floyd 1971 im Londoner Crystal Garden spielten. An diesem Konzert hatte ein Künstlerkollektiv einen riesigen aufblasbaren Oktopus zum Finale des Konzerts installiert, seine Tentakel waren 25 Meter lang. Womöglich starben deswegen alle Fische im Teich vor der Bühne. Weiter zu hören ist eine Stimme, vielleicht auch ein ganz tiefer Ton. Dies nimmt Bezug auf Hermann Scherchen (1891-1966), der im Tessin das «Experimentalstudio» gründete, worin er Komponisten zu Treffen einlud. Auch beschäftigte er sich mit schallwissenschaftlichen Fragen, beispielsweise der «Bedeutung der Lautstärkeempfindung, ihre Messung und Beurteilung für die Lärmbekämpfung». 
Weitere Elemente wird Badrutt im Lauf des Monats noch hinzufügen. Er lässt sich dabei von seiner Neugier leiten, von Assoziationen zu bereits bestehenden Elementen, er hat aber auch Sachen im Sinn, die er noch nicht alle verraten mag. So nimmt er Trompetenklänge auf und wird sie in die Installation einspeisen, um damit an die biblische Geschichte des Falls von Jericho zu erinnern, in der die Stadtmauern mit Hilfe von Hörnern zum Einsturz gebracht wurden. 
Badrutt macht also «sound studies», er betreibt Klangforschung, stellt aber seine Ergebnisse nicht wissenschaftlich dar, sondern in Form einer Collage, einer losen Sammlung von Aspekten, auf die er stösst. Wollte man es salopp ausdrücken, so könnte man sagen, im KlHaus entstehe eine klangliche Sammlung unnützen Wissens. 
 
Ein Madeleine in klanglicher Form
Aber was heisst schon unnütz? Die Auswirkungen des Lärms etwa sind eines der grossen Probleme unserer Zeit. Und das Beispiel mit der Geschichte von Jericho zeigt, dass im KlHaus beileibe nicht nur leichte Themen verarbeitet eingeflochten werden: Als «Jericho-Trompeten» bezeichnet man nämlich auch jene Vorrichtungen, welche die Nazis am Sturzkampfbomber Junkers Ju 87 im Zweiten Weltkrieg angebracht hatten. Bei einem Angriff gingen diese Flugzeuge in den Sturzflug und kündigten so akustisch an, dass sie bald den Tod bringen würden – ein Klang, der sich wiederum auch im Pink-Floyd-Werk «The Wall» findet.
Badrutts Installation ist aber nicht nur bedrückend, sondern auch poetisch. Schliesslich macht jeder Besucher seine eigene Klangerfahrung – vielleicht rutscht gerade der Schnee vom Dach, es bellt ein Hund draussen oder es hupt ein Auto. Oder er verbindet ein Sujet auf einer der Postkarten mit einer Kindheitserinnerung und dem entsprechenden Geräusch – das wäre dann ein Proust’sches Madeleine in klanglicher Form. Gaudenz Badrutt seinerseits hat beispielsweise beim Betrachten einer Postkarte aus einem englischen Örtchen herausgefunden, dass dort in der Nähe der Dichter und Dadaist Kurt Schwitters seine letzten Lebensjahre verbracht hatte – bald dürften im KlHaus Fragmente aus dessen Lautgedicht «Ursonate» erklingen. 
 
Das leise Echo des Krakatau
Eine reine assoziative Klangsammlung wäre aber noch kein Kunstwerk, und immerhin ist Gaudenz Badrutt ja Musiker. Darum verändert sich die Installation, sie hat einen Rhythmus. Und sie folgt dem Prinzip der Verdichtung: Am Abend klingt es im KlHaus anders als am Morgen, im Lauf des Monats kommen wie in einem Adventskalender immer mehr Elemente hinzu. Heute Abend spielt Badrutt live, was genau er machen wird, verrät er nicht im Voraus. Ende Monat dürfte das Werk um die 25 Klangspuren umfassen, der aufliegende Text wird ebenso angewachsen sein. Schliesslich mündet das Ganze in einem akustischen Finale. Wie das klingen wird? «Es wird etwas passieren, aber ich weiss noch nicht was», sagt Badrutt. 
So laut wie der Ausbruch des Krakatau 1883 wird es jedenfalls nicht sein. Diesen will Badrutt vorher schon einbauen. Die finale Explosion war vermutlich das lauteste Geräusch, das je von Menschen auf der Erde wahrgenommen wurde. Wie will man denn so etwas ins kleine Kabäuschen hineinbringen? Sieben mal ging damals die Schallwelle um die Erde, fünf Tage lang! Vielleicht ertönt sie in Biel als ganz, ganz leises Echo und der Künstler postuliert: Der letzte Mensch, der den Krakatau hörte, vernahm diesen Klang.
Info: Installation im KlHaus vor dem Centre Pasquart. Performance heute Abend um 20 Uhr, Finale an Silvester von 23 bis 1 Uhr.

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