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Kunst

Der neue Dorfplatz in Biel liegt vor dem Espace Libre

«Wo ist Kunst?» hat die Frage nach «Was ist Kunst?» längst abgelöst. Das «Wo?» ist die Frage nach dem Ort und der Präsenz des Geschehens. In Biel heisst dieser Ort Espace Libre. Er ist über die Schweiz hinaus bekannt. Geleitet wird er von Barbara Meyer Cesta.

Olivier Rossels Intarsie in der Fassade des Centre Pasquart im Vorhofmdes Espace Libre. Tanja Lander

Daniel Hauser

Mit «trinquer à» und «se mouiller avec» als zwei Veranstaltungsformaten agiert die Künstlerin Barbara Meyer Cesta zusammen mit Komplizinnen und Komplizen aus dem Hinterhof im Schatten des Bieler Centre Pasquart heraus und zieht zunehmend auch die internationale Kunstwelt damit in ihren Bann. Barbara Meier Cesta, sowohl als Einzelkünstlerin wie im Duo mit Rudolf Steiner als Haus am Gern seit Jahren eine der treibenden Kräfte der Kunstszene in der Schweiz, hat mit dem Espace-Libre-Projekt einen Selbstläufer losgetreten.

Betrieben wird der Kunstraum von der Bieler Sektion des Berufsverbands Visarte. Seinen Ort hat er in einem länglichen und eher rohen Raum in einem Gebäude, das zum Pasquart-Gebäudekomplex gehört und mit dem Kunsthaus zusammen einen Hof umschliesst. Seit einem Jahr nun ist Barbara Meier Cesta die künstlerische Leiterin des Espace Libre.

Lange Bank und Schwitzhütte

Das Prinzip des Espace Libre ist schelmisch einfach: Unter «trinquer à» lädt Barbara Meier Cesta jeweils eine Künstlerin, einen Künstler oder ein Team ein, etwas für den Espace Libre zu entwickeln. Eine vom Künstler Toni Parpan für die längste Wand des Raumes entwickelte «Lange Bank» steht dem klassischen Ausstellen freundlich im Weg und fordert die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler zur Erfindung anderer Wege und Äusserungen heraus.

Die Künstlerin, der Künstler oder die Gruppe, die eingeladen wurden, laden während des Projektes «trinquer à» für «se mouiller avec» zusammen mit Barbara Meier Cesta wiederum Leute aus der Kunst und dem breiten kulturellen Leben zum Schwitzen im Hammam ein. Dieser befindet sich in einem nicht öffentlichen Hinterzimmer des Espace Libre. Der Raum ist sorgsam ausgestattet mit allem, was es für das Wohlbefinden der Gäste bedarf, so neben der Schwitzhütte mit Umziehraum, Garderobe, Bademänteln, Abtrocknungstüchern und Flip-Flops, und wer will auch mit Getränken. «Se mouiller avec» bedeutet simpel, Mut zu zeigen, etwas zu wagen, bestehende Grenzen aufzuweichen, sich auf gemeinsame hautnahe Erlebnisse einzulassen und von den Anliegen der Leute in der Schwitzhütte getränkt zu werden ohne irgendwelche Rücksicht zu nehmen auf falsche Hierarchien. Konkret: Vier bis fünf Leute, Frauen und Männer sitzen im kleinen Schwitzraum zusammen. Ausgestattet mit einem Schweisstuch tauschen sie sich aus und – betreut von einem Hammam-Meister – trinken sie hie und da etwas Tee, Bier oder runtergekühlten Wodka dazu. Gleichzeitig spielt im öffentlichen Teil des Espace Libre mit der «Langen Bank» etwa eine Band, sitzen und stehen plaudernd Leute rum, die den Ort als Treffpunkt nutzen. In der kalten Jahreszeit stehen im Vorhof des EL neben der kalten Dusche für die in Bademäntel gehüllten, dampfenden Hammam-Gäste für alle Leute wärmendes Feuer aus Öltonnen und heisse Suppe bereit.

Ein Ort erfindet sich neu

Nicht der geometrische, gebaute Raum steht im Espace Libre also im Vordergrund, sondern die Schaffung eines Ortes jenseits der weissen Wände des klassischen Ausstellungsraumes. Dieser bietet für alle Besucherinnen und Besucher, egal ob Profis, Laien, Liebhaber, Gross und Klein einfachen Zugang. Barbara Meier Cesta gelingen gleich mehrere Dinge: Sie schafft es, den Kunstraum als Experimentierraum für jüngere und bereits bekannte Künstlerinnen und Künstler aufzustellen. Kooperationen mit anderen Kunsträumen – so auch mit dem ebenfalls bekannten Bieler Projektraum Lokal.int – ebenso wie die Gespräche in der Schwitzhütte bewirken, dass das Netzwerk des Espace Libre sowohl in Biel als auch in der Welt ständig wächst und der Espace Libre in den Geschichten der Leute irgendwo in der Schweiz, in Brüssel, Tel Aviv oder Kairo vorkommt und weiterlebt. Diese Präsenz ist einerseits eine in den Social-Media-Kanälen. Dann ist sie eine Plattform für Künstlerinnen und Künstler, ein Vorhof als Dorfplatz, wo sich die Leute willkommen fühlen und ein Ort der buchstäblich porentiefen körperlichen Anwesenheit.

Das Gegenüber und die Fuge

Die Frage ob, und wenn ja, wie eine Gesellschaft Geschichte(n) erzeugt und verarbeitet, ist eine spannende, auch künstlerisch. Sie treibt auch Barbara Meier Cesta als Künstlerin und Kuratorin in einem Land wie der Schweiz um, die den Hang hat, sich als geschichtsloses, mit der Welt nicht verbundenes Neutrum zu verhalten.

Der aus dem politisch blockierten Land Ägypten stammende Künstler Hamdy Reda, der in einem Arbeiterquartier in Kairo den Kunstraum Artellewa leitet, hat diesen Sommer mit «For your safety» eine passende künstlerische Fragestellung dazu entwickelt: Während sechs Wochen hat er im Espace Libre zum Gespräch eingeladen. Einen Tisch und zwei Stühle, mehr brauchte er nicht. Er wollte von seinem Gegenüber erfahren, wie es möglich ist, sich in einem offenen Gespräch trotzdem sicher zu fühlen.

Die nur scheinbar harmlose künstlerische Arbeit von Olivier Rossel ist ebenfalls einen Blick wert. Um sie zu entdecken, schaut man am besten aus dem Vorhof des Espace Libre auf die Fassade des Kunsthauses Centre Pasquart, da wo Alt- und Neubau aufeinanderstossen. Im unteren Fassadenbereich des Neubaus wird eine kurze, geschlaufte Linie sichtbar, die leicht aus einer Fuge heraussteht.

Info: Daniel Hauser, Künstler. Zusammen mit Marie-Antoinette Chiarenza bildet er das Team RELAX (chiarenza & hauser & co). Er leitet zudem den Studiengang Bildende Kunst der F+F Schule für Kunst und Design in Zürich. Daniel Hauser ist einer von sechs Autorinnen und Autoren, die sich in dieser Kolumne zur Architektur äussern.

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