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Der Parasit war schon vor Corona da

Kurz haben die beiden Schauspieler Dimitri Stapfer und Benjamin Burger Trübsal geblasen, als der Lockdown ausgerufen wurde. Doch schon zwei Wochen später zogen sie in ein leeres Theater und begannen, einen Film zu drehen. Nun zeigen sie erstmals ihr Werk.

Dimitri Stapfer und Benjamin Burger (von links) während der Dreharbeiten im Onsernonetal. Bild: zvg

Interview: Andrea Butorin

Am Freitag feierten die beiden Schauspieler Benjamin Burger und Dimitri Stapfer, bekannt aus den Serien «Frieden», «Wilder» oder dem Film «Beyto», Premiere:Ihr Experimentalfilm «Das Maddock Manifest» ist an den Solothurner Filmtagen uraufgeführt worden. Benjamin Burger spielt darin die einsame Hauptfigur Ben und debütierte als Filmschauspieler, während Stapfer erstmals Regie führte (siehe Filmkritik unten). Entstanden ist der Film während der beiden Lockdowns. Trotz des Trubels der Filmtage fanden die beiden Zeit für ein Gespräch.

 

Benjamin Burger, könnten Sie sich vorstellen, so etwas wie Ihre Figur zu machen? Allein und abgeschottet auf unbestimmte Zeit in einem leeren Theater zu leben, um etwas zu kreieren?

Dimitri Stapfer: Er ist schon ein wenig so. (lacht) Auch als Freund verzieht er sich manchmal eine Zeit lang und dann weiss ich, dass er irgendetwas austüftelt. Und plötzlich steht er da und sagt: Du, ich hab da so ‘ne Idee!

Benjamin Burger: Ich liebe solche Tüfteleien, da steckt sicher etwas in dieser Figur drin, das auch mich ein bisschen erfüllt. In dieser Einsamkeit habe ich mich sehr wohl gefühlt.  

 

Während andere in der Coronapandemie faul auf dem Sofa rumgesessen sind, begannen Sie kurz nach dem ersten Lockdown, einen Film zu realisieren. «Das Maddock Manifest» hätte es ohne Corona nicht gegeben, richtig?

Burger: Ja. Er basiert ja auf meinem gleichnamigen Theaterstück, das Dimi schon begleitet und in dem er etwas gesehen hatte. Wir fragten uns schon vor der Krise, wie man das Stück übertragen könnte, und sprachen über eine Dokumentation oder eine Ausstellung. Ein Film war kein Thema. Während des Lockdowns überlegte ich, ob ich wie alle anderen einen Stream machen soll. Davon war ich aber nicht überzeugt. Denn letztlich ist ein Stream eine Totale als Film, die aber nicht dessen Mittel nutzt. 

 

Ihnen hätte bei einem Live-Stream die Qualität gefehlt?

Burger: Nein, die Erzählform. Blicke ich auf einen 16:9-Bildschirm, dann erwarte ich Film. Diese Sehgewohnheit kann man gar nicht mehr abschalten. Im März 2020 sassen wir beide als gestrandete Schauspieler an der Sihl, tranken Wein und begannen zu spinnen, ob man nicht einen Spielfilm draus machen könnte. 

Stapfer: Er fragte mich, ob ich da mitmachen will. Ich fragte zurück: Und was soll ich da tun? Das ist ja eine Solo-Performance. Er meinte: Du machst Regie. Ich: Aha! Ok, wow! (lacht). Und für mich war klar: Wenn ich das mache, dann richtig. Mit Top-Kamera, Top-Ton, Top-Licht. 

Burger: Und ich dachte: Moment mal ...

Stapfer: Ben wusste zu diesem Zeitpunkt schon, dass Chancen bestehen, das aktuell leerstehende Roxy-Theater in Birsfelden komplett nutzen zu dürfen: von den Künstlerwohnungen über die Probe- und Hauptbühne bis zum Keller und der nebenan stehenden leeren Tankstelle. So sagten wir: Let’s go, und stellten innert zwei Wochen eine Crew zusammen. 

Burger: So eine Chance gibt es nur einmal im Leben. Das Theater steht sonst ja nie leer. 

Stapfer: Wir setzten uns sofort hin, nahmen das Stück auseinander, schauten, was wir von der Perfomance rübernehmen. In dieser Zeit sassen wir fast jede Nacht bis um 3 Uhr rum und arbeiteten. Man sieht: Viele Zufälle spielten mit, und eine Spur Glück war auch dabei. 

 

Wie viel vom Stück steckt jetzt noch drin? Vermutlich ist alles, was einem an die Pandemie denken lässt – Bens Einsamkeit im Theater, der böse Parasit ausserhalb – von der aktuellen Situation beeinflusst worden?

Burger: Witzigerweise sind genau diese beiden Elemente bereits zentral im Stück. Der Parasit ist ein Kernmotiv. Es geht um die Frage: Sind Ideen Parasiten? Können sie einen parasitär vereinnahmen? Der Film ist eine freie Interpretation des Stücks.

Stapfer: Ben hat die perfekte Figur mitgebracht. Faszinierend für mich als Regisseur war, diese Figur im Kontext des Theaters, in dem der Film spielt, nochmals freizulassen und schauen, was dabei entsteht. Das war eine extrem schöne Arbeit. 

 

Sie hatten also gerade einmal zwei Wochen Zeit, ein Drehbuch zu schreiben. 

Burger: Die Idee, ein ausführliches Drehbuch zu schreiben, haben wir relativ rasch wieder verworfen. Es entstand dafür ein Treatment, allerdings ein sehr langes, in dem wir definierten, wohin es gehen könnte, das aber auch ständig wieder verworfen und umgeschichtet worden ist. 

Stapfer: Während des Drehens haben sich ständig neue Stränge aufgetan, die wir dann abends wieder neu verknüpfen mussten. Das nicht zuletzt deshalb, weil wir eine unfassbar tolle Crew hatten, die alle in ihrem Bereich eigenständige Künstlerinnen und Künstler sind. Kameramann Simon Bitterli hat durch unser chaotisch-kreatives Schaffen so ästhetische Bilder rausgeholt!

 

Sie arbeiteten ja coronabedingt mit einer stark reduzierten Crew und lebten während des Drehs alle im Theater. Das bedeutet, dass alle viel mehr Aufgaben übernehmen müssen als sonst üblich?

Burger: Wir hatten alle Mehrfachrollen. Du warst auch noch Produzent.

Stapfer: Ja, ich habe die Produktionsleitung übernommen. Ben hat gespielt und musste abends immer noch das geänderte Script festhalten. Ich bin auch mal das Mittagessen abholen gegangen und habe dem Kameramann, dem ich total vertraue, gesagt: Ich hole rasch unser Essen, Du bist die nächste halbe Stunde der Regisseur. 

 

Der Film ist geprägt von Bens Einsamkeit in diesem grossen, leeren Theater. Dabei lebten Sie eigentlich in einer bestimmt sehr turbulenten WG. 

Burger: Schon, aber die Gruppe an sich lebte ja wiederum auch in Isolation. 

Stapfer: Ich glaube, gerade weil wir so stark miteinander verbunden waren, ein Rudel fast schon, konnte Ben überhaupt in die vollkommene Einsamkeit abtauchen. 

Burger: Absolut. In dieser Zeit konnte ich aus der Figur gar nicht mehr aussteigen, alles hat sich vermischt. 

Stapfer: Genau so, wie die Figur im sogenannten «Brain Room», in dem er sich alles notiert und versucht, die Welt zu ordnen und verstehen, eintaucht, machte Ben am Abend genau das gleiche, in dem er die Figur neu ordnete und zusammensetzte. 

Burger: Wie viele Scripte ich auseinanderreissen und neu zusammensetzen musste! 

 

Dimitri Stapfer und Benjamin Burger an der Premiere ihres Films an den Solothurner Filmtagen. Bild: zvg/module+

 

Wie kam es zur Zweiteilung des Films? Wie kommt Ben von der Einsamkeit des Theaters in die verschneite Landschaft, in der er Enigma sucht und einer komischen Gestalt begegnet?

Burger: Nach dem Dreh im Theater hatten wir 14 Stunden Videomaterial, was für zehn Tage extrem viel ist … 

Stapfer: ... und was uns überfordert hat. 

Burger: Wir hatten ja schon vorher darüber spekuliert, ob wohl ein Kurz- oder ein Langfilm daraus wird, und hätte man mich gefragt, dann hätte ich gesagt: Ein 14-Stunden-Film ist die beste Lösung!

Stapfer: Ich war realistischer und dachte, es wird wohl ein Kurzfilm. Aber eigentlich wünschten wir uns, dass ein Langfilm realisierbar ist. Ich zeigte daraufhin Wolfgang Weigl, der «Frieden» geschnitten hatte, das Material. Er war bereit, sich die 14 Stunden anzuschauen, und fand die Story und die Idee total cool.

Burger: Er kam daraufhin mit 50 Minuten Schnittmaterial zurück und sagte: Entweder kürzen wir es auf 15 Minuten, was wehtun wird, oder ihr liefert mir nochmals 25 Minuten und wir machen daraus einen Langfilm. 

Stapfer: Er hat uns dann empfohlen, die Figur aus der klaustrophobischen Enge des Theaters in die Weite zu führen und eine Person oder irgendetwas aus der Vergangenheit auftauchen zu lassen, mit dem Ben in Dialog treten könnte. 

 

Wie ist das, wenn jemand Aussenstehendes so stark in ihre Figur reinredet?

Burger: Ich bin sofort eingestiegen. Die Herausforderung für mich war viel mehr:Wohin sollen wir mit der Erzählung? Wie schafft man das in 25 Minuten? Dann kam der zweite Lockdown. Ich sollte «Das Maddock Manifest» in Bern spielen, was wiederum abgesagt wurde und auch die Crew war wieder verfügbar …

Stapfer: Und ich war zufälligerweise gerade im Tessin bei meinem Vater, der im Onsernonetal ein Grotto besitzt. Das liegt am Arsch der Welt, in einer unfassbar schönen, rauen Landschaft. Der Boden war voller riesiger Eiskristalle, es gab kräftige Farben. Ich bat Ben und den Kameramann, herzufahren und sich das anzuschauen. Und dann kam der Jahrhundertschnee. Für uns ein Horror: Plötzlich sah alles aus wie in einer Märchenlandschaft, das Brachiale war weg. 

Burger: Und dann entstand dieses Bild, wie die Figur durch den Schnee geht, eine einzelne Spur bildet. Daran knüpften wir mit der Einsamkeit der Figur an.

Stapfer: Wir freundeten uns mit der Postbotin des Onsernonetals an, die uns die verrücktesten Locations gezeigt hat. Wir mieteten Schneeschuhe und gingen uns das anschauen. 

 

In den Unterlagen zum Film beschreiben Sie, wie Sie mit der Crew und der ganzen Ausrüstung teils anderthalb Stunden durch den Tiefschnee gestapft sind. Da sind wir bei der Erzählung, dass man für gute Kunst leiden muss.

Stapfer: (lacht) Normalerweise wäre für einen solchen Film eine mindestens 30-köpfige Crew vorhanden, die im Heli angeflogen würde. Sich Schneeschuhe anzuschnallen und das eigene Equipment hochzuschleppen, das würde sonst kein Team mitmachen. Und nach drei Stunden Tiefschneewanderns hat niemand Ben mit einer Heizdecke in Empfang genommen. Dafür waren alle so enthusiastisch! Alle wollten diesen Film machen. 

Burger: Und wenn alle erschöpft waren, hat irgendjemand angefangen zu lachen. Das gab uns neuen Auftrieb. 

Stapfer: Ich habe noch nie so viel gelacht auf einem Set wie hier. 

 

Wie schafften Sie es, mit diesem experimentellen Projekt Geldgeber an Land zu ziehen und mit SRF zusammenzuarbeiten?

Stapfer: Nachdem wir im Tessin fertig gedreht hatten, wussten wir: Jetzt brauchen wir professionelle Unterstützung in der Postproduktion, weil das unsere Kompetenz klar übersteigt. Mit der Lomotion AG hatte ich bereits als Schauspieler zusammengearbeitet. Ich bat sie, das Material anzuschauen, und nach zwei Wochen riefen sie an und sagten: Dimitri, das ist ein Ufo, aber ein geiles Ufo! Wir machen das. Und so stiegen sie in unser Piratenschiff mit ein und holten SRF und die Geldgeber mit an Bord. 

 

Benjamin Burger, was hat es mit der Figur Maddock auf sich? Sie behaupten ja, das sei ein US-Künstler, der sich 1998, vier Jahre nach Kurt Cobain, während einer Kunstaktion das Leben nahm. 

Burger: Ich kann nur sagen, dass mich die Figur sehr inspiriert hat. Vor vier Jahren zeigte ich an einem Kurztheaterfestival den Prototypen des Maddock Manifest. Das Stück mäandert zwischen Dokumentation, Fiktion und Fabel. Das kann ich nicht auflösen. 

Nun, das Internet weiss nichts von einem solchen Künstler. Es weiss aber, dass ebenfalls vor vier Jahren durch eine anonyme Urheberschaft eine Website auf seinen Namen registriert worden ist.

Burger: So etwas weiss das Internet … (beide lachen). Für mich ist Maddock eine Auseinandersetzung, die ich gebraucht habe. Die Frage, die er stellt, lautet: Ist radikale Kunst noch möglich oder müssen wir diesen Mythos aufgeben? Im Stück sage ich zu ihm: Ich glaube, Du hast Dich für mich umgebracht, damit ich weitersuchen kann. Und diese Suche geht weiter und weiter. 

 

Blicken wir nochmals zurück in den März 2020. Dimitri Stapfer, Sie hatten am Theater Orchester Biel Solothurn «Romeo und Julia» erst dreimal aufgeführt, und Sie, Benjamin Burger, hatten die Premiere ihres Stücks «Das Maddock Manifest» hinter sich und wollten damit auf Tournee gehen. Wie haben Sie den Lockdown wahrgenommen, wie rasch kamen Existenzängste auf?

Stapfer: Existenzängste habe ich definitiv gespürt. Aber es zwar zweischneidig. Denn auf eine Art konnte ich diesen Stillstand auch extrem geniessen. Weil ich Energie aufnehmen konnte, die Welt anders gespürt habe. Und in dem Moment, in dem ich dachte: Jetzt muss ich wieder was tun! kam er und sagte: Du machst jetzt Regie. 

Burger: Für mich hatte das etwas Dystopisch-utopisches. Ich habe erst mal gemerkt, in was für eine Spirale ich drin stecke: Produzieren, produzieren. Plötzlich strampelt man im leeren Raum, einem Vakuum, und hat keinen Halt mehr. Das war ein enormer Schock. Ich fühlte mich wie im freien Fall. Und auf einmal habe ich mich daran gewöhnt. Da ist für mich schon etwas gekippt, das ist auch im Film spürbar. Jetzt ist alles wieder am Laufen, und wir merken: Es geht nicht mehr auf. Alles hat sich zwei Jahre lang aufgestaut, das spürt man bei den Filmfestivals, bei den Theatern …

 

Wie fühlt es sich an, hier in Solothurn nach langem wieder einmal an einem Filmfestival zu sein?

Stapfer: Dass wir nach dem ganzen Abenteuer jetzt hier sitzen dürfen, Interviews geben, das Interesse am Film zu spüren, Premiere zu feiern, ist ein mega Geschenk. Betrachte ich mich aber sonst in der Welt, dann stehe ich schon vor einer Überforderung und frage mich: Gehen wir jetzt ernsthaft alle wieder in diesen Turnus rein? Wollen wir das? Obwohl wir eigentlich wissen, dass unser System am Abgrund steht. 

Burger: Genau. Und am Endpunkt dieses Systems steht die totale Erschöpfung.  

 

Wird die Pandemie Ihr Schaffen für immer auf irgendeine Art verändern oder letztlich doch nicht?

Burger: Ich wünsche mir, dass sich etwas verändert, und glaube, das findet auch schon statt. Es geht genau um die Fragen des eigenen Energiehaushalts: Wie gehe ich mit den Ressourcen von Menschen um? Wie kann ich reduzieren, damit der interne Verschleiss aufhört? Da hoffe ich auf Veränderung, auf andere Produktionsbedingungen. Gleichzeitig müssen wir in dieser Phase, in der so viel herausgeschoben wird, neue Orte der Begegnung jenseits der völlig ausgelasteten Institutionen finden. Das wird sich nachhaltig auswirken, und ich glaube, im Positiven. 

 

Sie werden im Herbst Ihr Stück wieder aufnehmen. Wie stark wird es sich nach der Filmerfahrung verändern?

Burger: Zwischendurch dachte ich: Nein, es ist jetzt gut mit dem Stück, jetzt wiederum finde ich es sehr spannend, das wieder aufzunehmen. Die Figur ist ja viel reicher an Erfahrung geworden und wird zurück im Theater auch andere Dinge erzählen. 

 

Planen Sie weitere gemeinsame Projekte?

Stapfer: Der Parasit ist unterwegs. 

Burger: Er hat seine Fühler schon ausgestreckt.

 

***

Kunst ist Heilung, Kunst ist Zerstörung

Ein Mann ist der letzte Mensch auf der Welt. Oder doch nicht? Was spielt ein Fisch für eine Rolle? Der Experimentalfilm «Das Maddock Manifest» gibt einige Rätsel auf.

Ein Schauspieler spricht in einem verlassenen Theater vor leeren Rängen. Mit seinen Vorträgen scheitert er jeden Abend, wie er fein säuberlich festhält. Denn: Ohne Zuschauerin, ohne Zuschauer ist das Theater nichts. 

 

von Raphael Amstutz

 

Ben und der Fisch im "Maddock Manifest". Bild: zvg

 

Er ist der einzige, der Popcorn isst, er ist der einzige, der den Champagner trinkt. Die Eingangstüre bleibt verschlossen, ab und an flackert das Licht, ein Fenster öffnet sich wie von Geisterhand. Und immer wieder taucht dieses Datum auf: 15. März 2020. 

«Das Maddock Manifest» könnte also ein Film über die Pandemie sein – über Viren, Ängste und Unsicherheit und darüber, wie wir mit der Leere umgehen. Ist er aber nicht. Benjamin Burger hat das gleichnamige Bühnenstück geschrieben, bevor Corona unsere Welt durchpflügte.

Zudem geht das Regiedebüt von Dimitri Stapfer (er ist der Polizist in der letzten «Wilder»-Staffel, der bereits in der ersten Folge getötet wird), der das Werk gemeinsam mit Burger realisiert hat, viel weiter – ist verkopfter, verschachtelter, verspielter als die reine Betrachtung einer Ausnahmesituation.

Zuerst einmal werden Erinnerungen an den Roman «Die Arbeit der Nacht» des österreichischen Autors Thomas Glavinic wach. Das Buch, 2006 erschienen, erzählt von Jonas, der eines Morgens erkennen muss, dass er der einzige Überlebende ist. Alles menschliche und tierische Leben hat sich in einer einzigen Nacht aufgelöst. Warum, weiss er nicht.

So geht es auch Ben (Benjamin Burger). Er lebt in diesem Theater, füllt Videokassetten mit seinen Monologen, schreibt Listen und klebt Zettel an die Wand. Er möchte nichts weniger als ein Manuskript finden, das die Welt verändert. Eigentlich sei das gar nicht so schwierig, sagt er: Die Buchstaben müssten einfach in die richtige Reihenfolge gebracht werden. 

Ben schleppt sich also durch die Tage. Doch dann klingelt das Telefon.

Das Maddock Manifest gebe es, suggeriert der Film. Ein Künstler habe sich Ende der 90er-Jahre auf der Bühne umgebracht. Das scheint erfunden, tut der anfänglichen Dringlichkeit aber keinen Abbruch: Die klaustrophobische Enge – im Inneren wie im Äusseren. Die Verzweiflung, die sich breit macht im Körper und in der Seele des Mannes und die Frage, ob den Kunst heilen könne oder eine Zerstörungsmaschine sei. Ein Fisch wird zu einem zentralen Wesen; alles könnte so, aber auch anders sein. Die Verwirrung beim Zuschauen ist durchaus anregend.

Doch dann verlässt Ben das Theater. Als dieser intime Raum aufgebrochen wird, zerfällt stückweit auch das kompakte, knapp 90-minütige Werk. Der Mann findet sich in einer majestätisch-bedrohlichen Berglandschaft wieder – er fühlt sich verloren und doch aufgehoben, ratlos und doch verstanden. 

Es gibt ein bisschen «Wilder» (Wohnwagen, Staumauer), ein bisschen Arte (die Miniserie «Das Seil») und ein Wesen, das eine Hundemaske trägt und philosophische Sätze spricht. Das ist alles kunstvoll gedrechselt und bedeutungsschwanger, sperrig, gleichzeitig aber auch auf eine seltsame Weise geschmeidig. 

Leider ist es aber auch so, dass die verhandelten Fragen, die absolut zentral sind für unser Menschsein – Wie können wir Realität erkennen? Können wir das überhaupt? Was ist unsere Aufgabe? Wie gelingt Veränderung? Wie viel Radikalität ist nötig? – zwar genannt werden, ihnen dann aber die Bodenhaftung fehlt. Wenn die Rätselhaftigkeit zum Selbstzweck wird, geht das auf Kosten der Dringlichkeit.

Einmal fällt im Film der Satz: «Anstatt die wirklichen Probleme anzugehen, träumst Du einfach davon, sie zu lösen.» Ja, das hat was.

 

Info: Der Film ist am Samstag um 17.45 Uhr nochmals im Rahmen der Solothurner Filmtage im Canva Club zu sehen. Tickets unter www.solothurnerfilmtage.ch. Anschliessend läuft der Film ab dem 27. Januar in einigen Kinos – unter anderem auch in Biel - und startet zeitgleich auf der Streamingplattform Play Suisse.

 

«Maddock Manifest» – das BT verlost Tickets

Am Montag, 31. Januar, ist «Das Maddock Manifest» um20 Uhr im Bieler Kino Rex zu sehen.

Nach der Vorstellung stellen sich Benjamin Burger (Buch und Schauspiel) und Dimitri Stapfer (Regie) den Fragen des Publikums. Beim Gespräch ebenfalls dabei ist Svea Haugwitz, Dramaturgin bei Theater Orchester Biel Solothurn. Das BT verlost 5x2 Eintrittskarten. 

Wer diese gewinnen möchte, schreibt bis am nächsten Dienstag, 25. Januar, eine Mail an: verlosungen@bielertagblatt.ch

Nicht vergessen: Name,Vorname, Wohnort und den Betreff Manifest. raz




 

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