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Ausstellung

Der Schock einer Emotion

Das Kunsthaus Pasquart zeigt eine grosse Schau des Künstlers Philippe Vandenberg. 
Die Ausstellung berührt tief und schlägt gleichzeitig mit voller Wucht zu. Am Samstag war die Vernissage.

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Simone K. Rohner

Als Erstes erwartet einen ein «gelöschtes Bild», eine bare Leinwand. Quadratisch, zwei mal zwei Meter gross. Beige-gelb und befleckt. Kleine Löcher und bräunliche Stellen sind zu erkennen. Wie Narben auf der Haut zeugen sie von einer ehemaligen Verletzung der einst reinen, «unschuldigen» Leinwand. Und von Farbe, die einmal auf die nackte und reine Fläche aufgetragen wurde. Bis sie vom Künstler wieder abgetragen, bis zur völligen Entblössung des Canvas runtergerissen wurde. Dieses gelöschte Bild, das keinen Titel hat, steht sinnbildlich für das Schaffen und die Kunst von Philippe Vandenberg (1952-2009).

Felicity Lunn, die Direktorin des Kunsthaus Pasquart hat Galgenhumor. Oder ganz einfach Mut, gleich zwei Frühlingsausstellungen ins Programm zu nehmen, die beide dafür ungeeigneter nicht sein könnten.

Kamikaze als Prinzip
Die Ausstellung «Philippe Vandenberg – Kamikaze» zeigt über 70 Ölbilder, 80 Zeichnungen, Skizzen und Druckgrafiken von Vandenberg. Es ist sein späteres Werk, das von Mitte der 90er-Jahre bis zu seinem Tod 2009 entstand. Ergänzt wird die Ausstellung mit dem Film «L’important c’est le kamikaze», der speziell für die Ausstellung gedreht wurde. Der älteste Sohn des Künstlers, Guillaume Vandenberghe (*1978) realisierte den 18-minütigen Einblick in das Schaffen und in das Atelier seines Vaters.

Die Ausstellung, die zuvor in der Hamburger Kunsthalle zu sehen war, ist die umfassendste Schau, die es ausserhalb Belgiens bisher gab. Es ist keine leichte Ausstellung. Weder optisch, noch auf emotionaler Ebene. Vandenberg, der sich schon früh in seinem Leben vom «he» am Ende seines Namens trennte, um sich von seinen Eltern abzugrenzen, war bis zum Schluss ein Getriebener der Kunst, kämpfte mit Depressionen und Drogenmissbrauch. Vandenberg nahm sich 2009 das Leben. Geboren wurde er im Dorf Sint-Denijs-Westrem in der Nähe von Gent, in eine zweisprachige Familie, Französisch und Niederländisch. Sein Vater züchtete Hunde. Schon als Teenager zeichnete und malte Vandenberg. Später studierte er Literatur und Kunstgeschichte in Gent. In den 70er-Jahren besuchte er die Königliche Akademie der Schönen Künste – gegen den Willen seiner Eltern.

Im Entrée der Galerie 1 des Kunsthauses wird eigentlich schon alles gesagt: Sehr frei hängen da acht Ölbilder. Gross- und Kleinformatige. Es sind abstrakte, fast monochrome Werke. Als Gegensatz zum gelöschten Bild gegenüber wurden sie mit einer zentimeterdicken Schicht Ölfarbe gemalt. Auf einem weissen Bild stehen die Buchstaben KA.M. «Kamikaze» hiess für Vandenberg auch Zerstörung durch Neuerschaffung und umgekehrt. Er übermalte seine Bilder oft. Aus figurativen wurden abstrakte, monochrome oder grafische Bilder. Das Letzte der Serie ist wohl das entblössendste und es bereitet einen auf die folgenden Räume vor: ein weisses Bild mit Punkten. Fast schon unscheinbar von Weitem. Nähert man sich dem Werk mit dem Titel «Der Schlaf» (2003), erkennt man, dass es sich auch hier um ein übermaltes Gemälde handelt. In einem Punkt ist aber noch sehr klar ein Mann zu erkennen, der sich in den Kopf schiesst.

«Kill them all»
Was dann folgt, ist eindrücklich und hinterlässt aber auch ein flaues Gefühl im Magen. Der Titel des Raumes «Mythen, Märchen, Menschen» wirkt noch eher harmlos. Die Werke haben Titel wie «De Gids» («Der Führer»), «Aimer c’est flageller I» («Zu lieben heisst zu geisseln I»), oder «Les petites incestueuses» («Die kleinen Inzestuösen»). Letzteres zeigt zwei nackte Frauen verbunden durch eine Nabelschnur. Mutter und Tochter. «Il y a symbiose de la mère et de la Fille. L’amant est négligeable (...)», steht da auf dem Bild geschrieben. Ein anderes zeigt brennende buddhistische Mönche oder andere Gewaltszenen. Weitere verarbeiten Swastika oder Hakenkreuze. Symbole oder Buchstaben wandelt er ab, verwandelt sie in grafische Bilder oder verfremdet sie bis ins Abstrakte. Doch auf vielen Bildern spricht Vandenberg eine deutliche Sprache: Auf einem abstrakten, grossformatigen, zwei mal zwei Meter grossen Bild steht in Grossbuchstaben «Kill them all». Davor liegen farbenfrohe Zeichnungen, die von weitem aussehen, als stammten sie aus einer Kinderhand. Doch auch dort dominieren Sätze wie «Kill them all and dance».

In Vandenbergs Werk spielen böse Kräfte, düstere aber auch religiöse Motive eine zentrale Rolle. Seine Bilder spiegeln dabei eine unausweichliche Kraft wider. Es ist unmöglich, sich ihnen zu entziehen, sie wecken zwangsläufig Emotionen beim Betrachten. Seien es die Zeichnungen mit schnellem Strich hingezeichnet oder die riesigen Bilder, die er mit seinem eigenen Blut malte – bis ihm sein Arzt anfing, davon abzuraten. Dann verwendete er Kaninchenblut. «Ich bin ein Künstler der Emotion und der Reflexion. Ich meine weder die Sentimentalität noch das grundsätzlich Emotionale, sondern den Schock einer Emotion, welcher die Reflexion gleichsam auslöst. Allein die Reflexion schafft Raum», sein Zitat, das in der Publikation zur Ausstellung steht, fasst sehr treffend sein Werk zusammen.

Schnee im Kunsthaus
«Open Stage. Back Stage», die zweite Ausstellung, zeigt Arbeiten der Fotografin Melanie Manchot. Ihre «Mountainworks» spielen im Tourismusort Engelberg. In den Bildern und Videos zieht die deutsche Künstlerin Spuren in den Schnee – mal mit einer Pistenfahrzeug-Choreografie inspiriert von Beckett, mal mit einem Pferd. Ihr Werk hat gleichzeitig dokumentarischen und fiktionalen Charakter und besticht durch die fast schwarz-weisse Ästhetik – auch wenn man sich eine derartige Omnipräsenz von Schnee im April nicht unbedingt wünscht.

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Rahmenprogramm zu den Ausstellungen
- Öffentliche Führungen am 9. Mai und 6. Juni jeweils um 18 Uhr.
- Künstlergespräch mit Melanie Manchot am 23. Mai um 18 Uhr.
- Kollektive Performance in der Bieler Altstadt am 25. Mai von 20.30 bis 21.30 Uhr. sro

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