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Popmusik

In der selbstverschriebenen Reha

Die Berner Rapperin Steff la Cheffe therapiert sich und ihre Hörer auf ihrem neuen Album mit Blumenmetaphern und Zuversicht. «PS:» besteht aus Songs, die sich liebend gerne mitteilen.

Steff la Cheffe: «Ich wollte wieder Lebenslust empfinden.»  zvg/Ellen Mathys
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Adrian Schräder

Für viele wirkten die letzten Wochen und Monate lähmend, bleiern, bedrückend. Sie standen für eine Phase voller Unsicherheit. Und für viele hat sich mit der schrittweisen Lockerung nicht viel geändert. So wissen viele Künstler immer noch nicht, wann sie das nächste Mal ihren Beruf richtig ausüben und auf einer Bühne stehen können.

Anregend für den Geist
Verzweifeln könnte man ob dieser Zukunftsaussichten. Nicht so Stefanie Peter, 33, besser bekannt als Steff la Cheffe. «Hüt isch e schöne Tag, d’Sunne lacht wie’ne Löwezahn», schallt es einem von ihrem neuen Album «PS:» entgegen. Und auch im Austausch via E-Mail verbreitet sie alles andere als Trübsal: «Grundsätzlich empfinde ich die Situation eher als anregend für meinen Geist, da es um ein Umdenken geht.» Sie habe in dieser Zeit vor allem Gedichte geschrieben, die ohne Musik funktionierten. Und sie schickt gleich einen als Beweis mit: «Nimes eifach easy, wi Sunntimorge. Gah no mau ga lige u vrschlafe di Sorge.»
Die Zuversicht und der unbedingte Wille, sich den Dingen mit einer gewissen Erfahrung und Entspanntheit zu stellen, trägt sie durch ihr gesamtes viertes Album – obschon auch die Wut, die Aggression, das Drama seinen Platz erhält und bewältigt wird. Es klingt tatsächlich – so ist der Name «Postskriptum» zu verstehen – nach einem Nachtrag zu ihrem weitum in höchsten Tönen gelobten Vorgänger «Härz Schritt Macherin». Ein Album, dessen Klarheit und Stringenz hart erkämpft war. Einer der Hauptschauplätze dieses Kampfs: Orpund bei Biel, August 2016.

Innerlich schon abgeschlossen
Rückblende. Ein Samstagabend im August 2016. Steff la Cheffe sitzt hinter der Bühne des Royal Arena Festivals in Orpund. Eigentlich ein jährlicher Höhepunkt für die Vertreter der hiesigen Szene, weil dort nicht der Umsatz, sondern die Kultur und die Szene im Vordergrund steht.
Doch statt der starken Bühnenpersönlichkeit, der selbstbewussten Frau und kessen Texterin ist da nur noch ein Häufchen Elend. Mit gestrecktem Mittelfinger hat sie kurz zuvor ihren Auftritt als Moderatorin unter den Pfiffen von 9000 Festivalbesuchern vorzeitig beendet. Jetzt sitzt sie hier auf einem Stein und schluchzt. Mit ihrer Karriere hat sie innerlich abgeschlossen. Für immer.
«In diesem Moment kam alles  zusammen», sagte sie vor gut zwei Jahren. «Er steht sowohl für eine tiefe private Krise samt Liebeskummer und Jobunsicherheit wie auch für meine Loslösung von der Hip-Hop-Szene. In dem Moment war für mich klar: Freunde, das ist vorbei hier.» Irgendjemand aus dem Publikum hatte etwas Beleidigendes zugerufen. «Da hat sich bei mir innerlich ein Schalter umgelegt. Von diesem Augenblick an habe ich mich nicht mehr zu Hause gefühlt.»

Neubeginn mit Volksliedern
Doch das vermeintliche Ende war schliesslich ein Neubeginn. Ein Freischwimmen von einer Szene mit für sie einengenden Dogmen und Regeln.
Der Neubeginn hiess «Härz Schritt Macherin» (2018). Ein Album, das eine Steff la Cheffe zeigte, die sich nicht mehr auf einen Sound reduzieren liess. Die Melodien und der Gesang waren nun viel wichtiger geworden. Das Gefühl bestimmt, die Stimmung zählt, weniger die Textmenge, wie früher beim Rappen. Sie hatte die Momente der Schwäche, der Unsicherheit, des Schmerzes in von betörenden Melodien getragene Volkslieder umgewandelt.
Gemeinsam mit dem Basler Musiker Benjamin Noti und dem Berner Produzenten Ben Mühlethaler entstanden Songs, die in ihrer Klarheit etwas ungemein Klassisches und Einnehmendes haben. Sie senden Schwingungen aus, die in jedem Rezeptoren finden, sie hallen nach.
Mit «PS:» folgt nun also der Nachschub. Eine Sammlung aus Skizzen aus der damaligen Zeit und Ergänzungen der darauffolgenden Monate. Zum grossen Teil entstanden im selben Team, mit Noti und Mühlethaler, als eingefuchste Gemeinschaft, immer bereit, jedem Song das passende klangliche Kleid überzustreifen.

Ein Lufthauch von Radiosong
Der Song «Gheimnis» etwa klingt nach Jill Scott, nach Erykah Badu, nach Neo-Soul mit starker Jazz-Note. «Gladiole» repräsentiert den von einer sanften Gitarrenmelodie angeführten Siegeszug über Enttäuschung und Selbsttäuschung. In «Härzregion» fliesst der Funk-Background von Produzent Ben Mühlethaler ein, «Holunder» ist ein Lufthauch von einem Radiosong, clever produziert und mit einem modernen Latinbeat unterlegt. «Holunder zu schreiben war für mich selbstverschriebene emotionale Reha. Ich wollte wieder Lebensfreude, Lebenslust, Vertrauen empfinden und in meinem Leben kultivieren. Ausserdem hab ich darin mit Rumi einen Meister der Liebespoesie zitiert: «Jensiits vo guet u schlächt, jensiits vo Schuud u Rächt gits en Ort, wo mir üs chöi träffe.» Es gehe vor allem auch um Hingabe, merkt sie an.
Kurz: «PS:» ist kein eitles, verschlungenes Künstleralbum. «PS:» besteht aus Songs, die sich liebend gerne mitteilen, die ihre Zuversicht teilen wollen. Und in dem Sinn ist Steff la Cheffe erfreulicherweise immer noch bei der Volksmusik.

Info: Steff la Cheffe: «PS:» (Bakara Music/Warner)

Stichwörter: Steff la Cheffe, Rap, Pop, Musik, Kultur

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