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Russland

Der Staat vs. Kirill Serebrennikow

Über ein Jahr sitzt der russische Theatermacher Kirill Serebrennikow schon in Hausarrest. Trotzdem hat er gearbeitet: In Zürich feierte seine Inszenierung von Mozarts «Così fan tutte» Premiere. Doch in Moskau steht er vor Gericht in einem Prozess, der selbst ein bitteres Theaterstück ist.

Kirill Serebrennikow. Bild: Keystone

Als frostiges Signal an die Kulturszene in Russland hält die Staatsmacht Gericht über Kirill Serebrennikow, den Liebling der Moskauer und der internationalen Theaterszene. «Ich habe nichts gestohlen», sagte der 49-jährige Regisseur gestern zu Beginn der öffentlichen Hauptverhandlung in einem Veruntreuungsprozess in Moskau. Absurd, unverständlich nennt er die Vorwürfe. Ein Jahr im Hausarrest hat er schon hinter sich.

Mit dem renommierten Theatermacher sind seine Ex-Mitarbeiter Alexej Malobrodski und Juri Itin angeklagt sowie Sofia Apfelbaum als frühere Beamtin des Kulturministeriums. Die Anklage wirft ihnen vor, bei einem Theaterprojekt 133 Millionen Rubel (rund 2 Millionen Franken) staatlicher Zuschüsse unterschlagen zu haben.

Es ist wie absurdes Theater: Vier kluge, redegewandte Angeklagte in den Fängen einer stumpfen Gerichtsmaschinerie. Die Richterin in Saal 433 des Meschtschanski-Stadtbezirksgerichts spricht absichtlich leise.


Erfolg beim Moskauer Publikum
Anderthalb Stunden rasselt ein nervöser junger Staatsanwalt die Anklageschrift herunter, spricht von «kriminellen Absprachen». Gezeichnet wird das Bild einer Betrügerbande, die nur deshalb Theaterstücke aufgeführt habe, um Staatsgeld beiseitezuschaffen. Dabei hatte das Projekt einmal allerhöchsten Segen. Präsident Dimitri Medwedew wollte, als Wladimir Putin ihm von 2009 bis 2011 den Kreml überliess, die moderne Seite Russlands zeigen. Serebrennikow schlug das Programm «Platforma» vor, das Theater, Tanz, Musik und Medien verbinden sollte. Die Aufführungen von 2011 bis 2014 waren ein Riesenerfolg.

Serebrennikow gründete eine Produktionsfirma namens «Siebtes Studio» – auf Vorschlag des Kulturministeriums, wie er vor Gericht sagt. «Ich wusste, dass staatliches Geld bei uns einging», erklärt der Künstler, schwarzes T-Shirt, schwarze Kappe, und witzelt: «Noch besser wusste ich, wenn es nicht einging.» Er beharrt aber darauf, dass er als künstlerischer Leiter nichts mit den Finanzen zu tun gehabt habe.

Reingeritten hat ihn die gängige Praxis an russischen Theatern, dass viele Gagen und Auslagen bar bezahlt werden. Chefbuchhalterin Nina Masljajewa wandelte das Buchgeld aus dem Ministerium bei Firmen gegen Kommission in Bargeld um. Diese Barsummen hält die Staatsanwaltschaft für unterschlagen, obwohl alle Schauspieler und Tänzer entlohnt worden sind und nie eine Aufführung ausgefallen ist.

Doch es hapert an der Dokumentation. Chefproduzentin Jekaterina Woronowa hat nach Abschluss von «Platforma» die Unterlagen vernichtet, wie sie in einem Film der Journalistin Katerina Gordejewa sagt. Woronowa ist im Ausland, wird mit Moskauer Haftbefehl gesucht. Buchhalterin Masljajewa arbeitet als Belastungszeugin mit den Ermittlern zusammen.


Solidarität von Kulturschaffenden
Im Gerichtssaal drängen sich die Zuschauer. Journalisten und Diplomaten verfolgen den kulturpolitisch wichtigen Prozess. Schauspieler aus dem Gogol-Theater werfen einen Blick auf ihren Chef Serebrennikow. Auch die bekannte Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja ist da, um ihre Solidarität zu zeigen. Wie die russische Gesellschaft insgesamt auf seinen Prozess reagiere, sei schwer zu sagen. Er spüre aber, dass die Gesellschaft in westlichen Ländern hinter ihm stehe. Politiker aus vielen Ländern haben den Fall bei Putin angesprochen. Trotz des Hausarrests arbeitet Serebrennikow weiter. Für das Zürcher Opernhaus hat er aus dem Arrest heraus die Mozart-Oper «Così fan tutte» inszeniert. Seine Anweisungen gab er per Videobotschaft, die Proben geleitet hatte der Choreograph Evgeni Kulagin. Friedemann Kohler, dpa

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