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TV-Serie

Der Star in der «Rock-’n’Roll-Produktion»

Gilles Tschudi, der Bösewicht aus «Lüthi und Blanc», spielt in einer Mini-Soap des Berner Theaters an der Effingerstrasse mit. Statt Leutschenbach produziert das Lysser Lokalfernsehen Loly.

Gilles Tschudi hat wieder seine Soap - auch wenn diese ein paar Nummern kleiner und ein paar Nummern charmanter ausfällt als jene seiner Paraderolle. Bild: zvg

Helen Lagger

Michael Frick? Wer erinnert sich noch an den intriganten Banker? Er war der Bösewicht in der SRF-Soap «Lüthi und Blanc», die zwischen 1999 und 2007 wöchentlich im Schweizer Fernsehen lief. Der Basler Schauspieler Gilles Tschudi spielte die Figur – und blieb im kollektiven Gedächtnis der Deutschschweiz hängen.

Auf der Bühne des Berner Theaters Effinger gibt er seither gern und regelmässig Schurken, Raubeine und Griesgrame. Wie hätte er Nein sagen können, als Theatergeschäftsführer Markus Keller ihm die Rolle eines «Störefrieds» anbot – in einer Serie, die aus der Coronanot entstand?

 

Jede Woche eine Folge

Die Mini-Soap «Dr Störefried» ist eine Lockdown-Idee von Keller, der als Autor und Regisseur fungiert. «Wir wollen unseren treuen Abonnentinnen und Abonnenten etwas bieten während dieser langen Zeit, in der das Theater geschlossen bleibt.» Wir treffen Keller und Tschudi in Lyss, wo die nächste Folge geschnitten wird.

Jede Woche wird auf der Website www.stoerefried.ch eine neue Folge der Mini-Soap aufgeschaltet. Gilles Tschudi spricht von einer «Rock-’n’-Roll-Produktion». Geschnitten werden die Kurzfilme beim Lokalfernsehen Loly, mitten im Lysser Industriegebiet.

Die ersten drei Folgen wurden noch in Zusammenarbeit mit dem Regionalfernsehen Baselland produziert. Mit «Loly» habe man nun den richtigen Partner gefunden, so Keller. Tschudi spielte bereits in dem von Loly produzierten Krimi «Der Wolf ist tot» (das BT berichtete).

Renato Anneler, der einzige festangestellte Videojournalist, ist bei «Dr Störefried» Produzent und Cutter in einem. «Ich halte mich ans Drehbuch», versichert der Fernsehfachmann. Gefilmt werde jeweils mit zwei Kameras, sodass ihm beim Schneiden zwei Blickwinkel zur Verfügung stünden.

 

King of Lyss

Die Konstellation in der Story erinnert an die US-amerikanische Soap «King of Queens» (1998–2007): Ein Paar wohnt unter einem Dach mit dem Vater
der Frau. Dieser hält beide auf Trab.

Keller winkt ab. Das habe sich so ergeben, weil er mit Gilles Tschudi, dessen Sohn Raphaël Tschudi und der Schauspielerin Myriam Wittlin drei Figuren zur Verfügung gehabt habe, die er in Beziehung setzen wollte.

Ruedi (Gilles Tschudi) muss ausziehen bei seiner Frau, weil sie sich vor Corona fürchtet und er als umtriebiger Betreiber einer Reiseagentur immer noch viele Kontakte pflegt. Er strandet bei seiner Tochter, der Krankenschwester Sandra (Myriam Wittlin), und deren Freund, dem Schauspieler François (Raphaël Tschudi). Ruedi stört. Doch natürlich ist er gekommen, um zu bleiben, auch wenn das Paar ihm mitteilt, dass es nicht passt.

Keller spiegelt in seinem Drehbuch Corona-Realitäten. Alle drei Figuren sind direkt Betroffene: Ruedi als Vertreter der ausgebremsten Reisebranche, Sandra als überforderte Krankenschwester, François als Schauspieler, der seinen Part in «Die Pest» von Albert Camus lernt, aber nicht auftreten darf.

Es ist nicht das erste Mal, dass Gilles Tschudi mit seinem Sohn Raphaël zusammen spielt. «Wir haben ein inspirierendes Verhältnis und empfinden das Zusammenspiel als lustvoll», sagt der Senior.

Tschudi schätzt die Zusammenarbeit mit Keller, denn er sei unter seiner Regie kein «Befehlsausführer». Keller engagierte ihn erstmals für die Rolle des Kommissars Matthäi in seiner Dürrenmatt-Inszenierung «Das Versprechen» von 2010 im Theater Effinger. «Ich muss zugeben, dass ich mir Tschudi anfangs arrogant vorstellte», so Keller. «Ich hatte wohl den Bösewicht aus ‹Lüthi und Blanc› im Kopf», sagt er und lacht.

Dass der damals schon schweizweit bekannte Schauspieler sofort zusagte, in seinem kleinen Theater zu spielen, freute ihn natürlich.

«Ich liebe verschiedene Engagements und Standbeine», begründet Tschudi sein Engagement. Dass er auch in der Romandie und in Frankreich bekannt ist, hat er seiner Zweisprachigkeit zu verdanken. Seine Mutter ist Neuenburgerin. Ob er nun ein avantgardistisches Stück von Heiner Müller in Frankreich spiele oder den Soldaten Läppli gebe – in jeder Rolle stecke letztlich viel von ihm selbst. Nur Hollywood, das habe ihn nie gereizt. Zu viele buhlten dort um eine kleine Nebenrolle.

Sowohl Tschudi als auch Keller verfügen über ein grosses Netzwerk. Dieses nutzen sie nun, um ihr Projekt auszubauen. In den kommenden Folgen der Soap wird eine weitere schweizweit bekannte Schauspielerin auftreten: Heidi Maria Glössner spielt die Häuserbesitzerin Frau von Fellenberg. Gedreht wird in der Wohnung des Schwarzenburger Antiquitätenhändlers Heinz Hauser. «Er hat die entsprechenden Möbel, das passt zu Frau von Fellenberg», so Keller. Tschudis Figur Ruedi wird unterdessen mehr oder weniger freiwillig zum Babysitter. Er muss die Kinder eines Försters hüten.

 

Bis auf weiteres

Wie lange wird die Mini-Soap dauern? «Solange wir noch Energie haben», sagt Keller. Die Reaktionen seien bisher positiv. Einige Abonnentinnen und Abonnenten des Theaters hätten gar Geld gespendet. Denn ein Budget gibt es nicht. «Wenn ich Geld auftreiben möchte, wäre der bürokratische Aufwand so langwierig, dass Corona vorbei wäre, bis ich etwas bekäme», glaubt Keller. Deshalb wird produziert, als gäbe es kein Morgen.

Keller gibt seinem Team jeweils sehr kurzfristig die neu gefundenen Spielorte durch. «Am Samstag drehen wir in Schwarzenburg», sagt er nun. «Aha», sagt Renato Anneler überrascht. Rock’n’Roll halt.

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