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"Mein Sommerort"

«Die Alp macht mich gelassener»

Samuel Schmid verbringt den Sommer bereits zum zweiten Mal mit seiner Familie auf einer Rinder-Alp.Im «normalen» Leben ist er am Theater Orchester Biel Solothurn als Bühnentechniker engagiert.

  • 1/10 Olga, Levi, Claudia Juranits und Samuel Schmid verbringen ihren Sommer auf der Alp. Bilder: zvg/jonas b. misteli/ S. Schmid
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Simone K. Rohner   

«Es gewittert hier grad saumässig», schrieb Samuel Schmid in der Whatsapp-Nachricht. Telefongespräch verschoben. Denn zum Telefonieren muss er auf einen exponierten Hügel. Sonst hat er keinen Empfang. Schmid befindet sich seit Mitte Juni auf einer Alp. Ohne fliessend warmes Wasser. Ohne Strom. Wie geht es einem Theatertechniker ohne Strom wohl? Vermisst er etwas? Er verneint entschieden. Samuel Schmid ist so einer. Ein Lichtmensch, den es in die einsame Alphütte zieht. Der Bühnentechniker arbeitet normalerweise in Solothurn am Theater. Seit mehr als 15 Jahren. Und dort hat er hauptsächlich mit künstlichem Licht zu tun

Die Natur bestimmt
Jetzt befindet er sich mit seiner Familie auf einer Alp im Berner Oberland. Dort ist er zusammen mit seiner Frau Claudia Juranits  – sie ist ebenfalls in der Kulturbranche tätig – und seinen beiden Kindern Olga und Levi für 16 Rinder, acht Kälber und ursprünglich auch noch 11 Hühner verantwortlich. Zum Zeitpunkt des Gesprächs waren es noch neunFedertiere. Zwei wurden bereits verspeist. Der Tagesablauf der Familie richtet sich nun nicht mehr nach dem künstlichenBühnenlicht, sondern ganz und gar nach dem natürlichen Sonnenlicht. Die Natur, die Tiere geben den Takt vor.
2009 verbrachte Schmid das erste Mal einen Sommer auf der Alp. Zusammen mit einem Freund. Es war eine Milchkuhalp, auf der auch gemolken und Käse hergestellt werden musste. Da ist der ganze Tag durchgetaktet, man fällt todmüde und schwer irgendwann ins Bett – ohne wirkliche Freizeit. Das wollte Schmid aber mit den Kindern nicht machen. Und so wählte die Familie eine Alp mit Rindern und Kälbern aus. Sie befindet sich unterhalb 2000 Metern, ist also nicht hochalpin. Es hat immer noch Bäume. Letztes Jahr kamen sie zum ersten Mal hierher. Das Leben ist einfach. Doch den Kindern gefällt es. Nur die Freunde vermissen sie manchmal. «Wir bekommen viel Besuch», erzählt Schmid. Gerade aber haben sie einen kleinen Schwimmteich selbst gebaut. Und auch sonst lebt die Familie in allerhand selbstgemachtem. «Letztes Jahr haben wir eine neue Küche eingebaut», erzählt er. Möbel kamen auch noch dazu. Eigentlich ist die Alp für eine Person alleine gedacht und entsprechend klein sind die Räume. Da kann es mit zwei Kindern im Alter von fünf und Zehn Jahren schon mal eng werden. Vor allem wenn das Wetter nicht mitspielt. Olga und Levi konnten die Schule und den Kindergarten gegen die Alp tauschen. Wenn der normale Schulalltag wieder beginnt, werden die beiden mit Claudia nach Hause gehen, Samuel wird bis Mitte September alleine auf der Alp bleiben.
«Der Alltag ist immer wieder anders.» Das komme stark auf die Tiere an, sagt er. Und auch das Wetter spielt eine grosse Rolle auf der Alp. Ist es zu heiss, bleiben die Rinder und Kälber wegen den Parasiten und Insekten tagsüber im Stall und gehen nachts raus. In letzter Zeit sei das Wetter aber schlecht gewesen. Darum waren sie tagsüber draussen. Eine Hauptbeschäftigung der Familie ist das Schneiden von Bäumen, um das Verwalden der Alp zu verhindern. Aber es bleibt genügend Zeit für den Heimunterricht der Kinder und auch mal ein Buch.
«Das Natürliche, das Ursprüngliche liegt uns sehr», erzählt Samuel Schmid. Es war lange ein Traum der Familie, einen solchen Alpsommer zu machen. Bevor sie letztes Jahr zum ersten Mal auf die Alp gingen, hatten sie immer wieder Freunde auf der Alp besucht. Jeweils für ein paar Tage oder wenige Wochen. Für die Kinder bedeutet die Alp auch jeden Tag ein Abenteuer. Sie machen alles mit. Das schweisst zusammen. Die Alp macht die Familie hilfsbereiter einander gegenüber. «Dass wir mal einfach eine Zeit lang auf uns vier reduziert sind, das finde ich toll.» Die Abgeschiedenheit geniesst er, vor allem in der jetzigen Coronazeit. Auch wenn es Entbehrung bedeutet. Sie haben ein kleines Solarpanel mitgenommen, um das Telefon aufzuladen. Und Stirnlampen.

Willkommene Erdung
«Dusche?», fragt er verwundert nach. «Nein eine Dusche gibt es nicht», bestätigt Schmid lachend. Als wäre es ein absurdes Luxusgut, über das nur ganz wenige Menschen verfügen. Das Wasser heizen sie mit Holz. Manchmal füllen sie eine Wanne mit warmem Wasser, damit die Kinder ein Bad nehmen können. «Olga findet Duschen eh furchtbar.» Den Kindern scheint dieses reduzierte Leben besonders leicht zu fallen. «Die Alp hat mich gelassener gemacht», meint der Bühnentechniker. Er begegnet Hürden in seinem Alltag nun entspannter. «Ich war in meinem Arbeitsalltag manchmal rastlos.» Die Alp habe ihn geerdet. Im wahrsten Sinne des Wortes. «Freiheit, Sommer und mein eigener Chef sein», das bedeutet dieser Ort für ihn. Im Einklang mit der Natur, den Tieren zu leben – mit der Sonne aufstehen und mit der Dunkelheit ins Bett gehen – das ist für ihn auch Erholung vom Alltag, der ein anderes Tempo vorgibt. «Es ist schön, zu sehen, wie die Tiere auf uns reagieren.» Der Umgang mit ihnen ist für die Familie einfacher geworden. Sie kennen einander jetzt. Samuel Schmid weiss nun genau, welches Tier er rufen muss, damit die anderen folgen. Man müsse ein gesundes Selbstvertrauen an den Tag legen, damit einen die Tiere akzeptieren, erzählt er. «Das Zurückkommen», antwortet er auf die Frage, was denn die grösste Herausforderung auf der Alp sei, und lacht.
Info:In «Mein Sommerort» stellen wir Kulturschaffende vor, die im Sommer einen bestimmten Ort aufsuchen, der für ihr Schaffen eine besondere Bedeutung hat.
 

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