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Festival

Die Arme voller Büstenhalter

Ein Auftritt überstrahlte am 20. Royal Arena Festival alles – zumindest an Erwartungen:
Asap Rocky, jener US-Rapper, der bis vor Kurzem in Schweden in U-Haft sass.

Reich beschenkt von der Damenwelt – und doch stand Asap Rocky der Sinn nach Befehlen. Bild: zvg/Jonathan Raaflaub

Adrian Schräder

Es ist eng geworden auf dem Römerlager in Orpund, sehr eng. So eng wie sonst nie an diesem Wochenende. Die Uhr zeigt schon weit nach Mitternacht an diesem Samstagabend, und alles konzentriert sich auf die Hauptbühne, wo gerade ein weisser Vorhang heruntergelassen wird.

Während am Himmel eigenwillige Wolkenformationen aufziehen, bezieht auf der Bühne der grosse Showzirkus eines eigenwilligen Hip-Hop-Stars Stellung: Asap Rocky, 30, aus Harlem wird hier bald Hof halten. Ein frischgebackener Weltstar: Vor kurzem hat er durch seine Inhaftierung in Schweden weltweite Aufmerksamkeit erlangt. Sogar Donald Trump setzte sich für seine Freilassung ein. Inzwischen sind er und zwei seiner Begleiter der Körperverletzung schuldig gesprochen worden.

Das Trio hatte, wie auf Videobildern zu sehen, am 30. Juni im Zentrum von Stockholm auf einen 19-Jährigen eingeschlagen und eingetreten. Der Rapper, mit bürgerlichem Namen Rakim Mayers, und seine Begleiter hatten angegeben, sie hätten sich bedroht gefühlt und aus Notwehr gehandelt.

Zwischen den Zugpferden ein Loch

Das scheint hier unter den gut über 8000 Besuchern niemanden zu interessieren. Keiner demonstriert gegen seinen Auftritt, keiner äussert sich negativ. Es wirkt, als ob die ganze Geschichte ihm in Sachen Popularität einen hervorragenden Dienst erwiesen habe. Dass er hier, so kurz nach seiner Freilassung aus der U-Haft überhaupt aufkreuzt, ist für viele eine Sensation. Jetzt wollen sie seine Hits abfeiern.

Das Konzert hat an diesem längst zur Tradition gewordenen Hip-Hop-Wochenende einen besonderen Stellenwert: Zwischen den beiden Zugpferden – dem wiedervereinten Pariser Duo Suprême NTM am Freitagabend und Asap Rocky am Samstag – und dem Rest des Aufgebots an Künstlern klafft dieses Jahr ein grosses Loch. Niemand hat auch nur annähernd ihre Ausstrahlung.

Gleichzeitig offenbart ausgerechnet das Programm der Jubiläumsausgabe eine übermässige Tendenz zur Nostalgie. Der Hip-Hop-Stil der 90er-Jahre ist übervertreten. Grosse Überraschungen und quirlige Newcomer fehlen weitgehend.

Lichtblick aus Sion

Einer der grellsten Lichtblicke: Rapperin KT Gorique aus Sion. Sie eine Newcomerin zu schimpfen, wäre ignorant. 2017 gewann sie die Demotape Clinic am M4Music in Zürich, einem der wichtigsten Branchenanlässe. Seither gibt sie Schritt für Schritt mehr von ihrem Können preis: eine präsente Stimme, unheimlich versierte, glasklar verständliche Rapverse, ein tiefes Gespür für Musik.

Auf der Bühne steht sie mit einem Schlagzeuger, einem DJ, einem Ko-Rapper und Rhythmen, die zwischen entspannten Kreuzungen aus Hip-Hop, Reggae und Dub und wütenden, modernen Trap-Stücken chargieren. Sie verkörpert eigentlich alles, was dieses Festival sein könnte – und in den besten Momenten auch jedes Jahr wieder ist: Selbstbewusstsein, Eklektizismus, Aktualität und Traditionsbewusstsein. Dazu noch, und zwar sehr ausgeprägt: Herzlichkeit. Keine einzige Silbe verrutscht ihr während einer Stunde Konzert. Wer ihr als Rapper oder Rapperin etwas vormachen will, muss schon sehr früh aufstehen.

Legende aus Brooklyn

Ein weiteres Streiflicht muss an diesem Abend Big Daddy Kane erfassen. Bei dem 50-Jährigen aus Brooklyn, bürgerlicher Name Antonio Hardy, handelt es sich um eine veritable Legende. Wer sich eingehender mit der Kultur befasst, kommt um den Autor von Stücken wie «Ain’t No Halfsteppin’», «Raw» oder «Set It Off» nicht vorbei. So viel Präsenz, so viel Gewicht, so viel Übermittlungskraft können nur ganz wenige in ihre Darbietung stecken.

In Orpund erhält er, 30 Jahre nach seiner Blütezeit, einen ganz prominenten Slot: Er darf zwischen zehn und elf auf der Hauptbühne auftreten – vor einigen alten Fans und einer überwältigenden Mehrheit von jungen Leuten, die noch nie von ihm gehört hat.

Er bespielt die Bühne allein

Die schwedische Justiz, Kanye West und Trump haben dafür gesorgt, dass dies Rakim Mayers alias Asap Rocky nicht passiert. Und natürlich auch er selber: Im Gepäck hat er drei Alben, etliche Hits und eine Vielzahl von spannenden Kollaborationen. Bevor der Rapper mit dem Faible für Mode und bewusstseinserweiternden Substanzen selbst verschuldet in den Fokus der Justiz rückte, war er vor allem für seine Experimentierfreudigkeit bekannt. Und für das Talent, gross zu denken.

Sein Auftritt zeugt davon: Die Bühne ist leer geräumt – kein DJ, keine Band, kein Adjutant. Er bespielt sie ganz alleine, umsäumt von Flammen, Feuervulkanen, Konfetti, einem Lichtermeer und Videoeinspielern.

Das wirkt zum Teil stimmungsvoll wie beim trippig-diffusen Song «L$D», zum Teil feuerwerkartig furios wie bei «Wild For The Night», seiner Kollaboration mit dem Dubstep-Derwisch Skrillex. Wenn sich der Anführer des New Yorker Asap Mobs in den Kopf gesetzt hat, eine Stimmung zu etablieren, dann gelingt ihm das. Überhaupt liegt ihm das Publikum zu Füssen und beschenkt ihn weiblicherseits mit einem BH nach dem anderen, die er allesamt über die Unterarme zieht.

Doch statt diese Stimmungshoheit und den Anfangsschwung zu nutzen, bremst er das Konzert immer wieder ab und verlegt sich auf das Befehligen: Einen Moshpit – also das Bilden eines Kreises im Publikum, in dem, nach einem akustischen Signal, alle aufeinander zustürmen und sich freudig anrempeln – nach dem anderen befehligt er. Grösser und noch grösser. So eindringlich und insistierend, dass es das Konzert erheblich lähmt.

Als dann alles urplötzlich endet – er war gute zehn Minuten zu spät gekommen, daher musste ihm kurz nach 2 Uhr der Saft abgedreht werden – stellt sich leichte Ernüchterung ein. Dieses Konzert und das 20-Jahr-Jubiläum hätten so viel mehr sein können.

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