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Biel

Die Chemie hat von Anfang an gestimmt

Beth Dillon und Vera Trachsel schlagen mit ihrem Konzept für den Espace Libre der Visarte Biel Brücken zu vergangenen Zeiten und über Kantonsgrenzen hinweg.

Hinter weissen Vorhängen im Espace Libre läuft einiges. Vera Trachsel (links) und Beth Dillon haben den Raum vor kurzem übernommen.  yann staffelbach

Simone K. Rohner
Von draussen sieht man erstmal nichts. Der Espace Libre, der Kunstraum der Visarte Biel, der sich hinter dem Kunsthaus verbirgt, scheint sich nicht verändert zu haben. Doch es hat sich einiges getan – auch drinnen.
Seit ein paar Wochen ist er nämlich unter neuer Direktion: Die Künstlerinnen Vera Trachsel und Beth Dillon, beide Anfang 30, stellen sich dieser Aufgabe für die nächsten drei Jahre. Auch wenn es momentan nicht unbedingt die beste Zeit ist, ein solches Projekt in Angriff zu nehmen. Alles findet hinter verschlossenen Türen statt. Oder wie im Falle des Espace libre, hinter weissen Vorhängen. Oder besser, weissem Frottee.

Initiationsritus
Als erste Intervention ihrerseits haben die beiden nämlich einen «Soft White Cube» installiert, wie sie es nennen. Mit zusammengenähten Frotteetüchern haben sie einen weissen, weichen Raum im Raum geschaffen. Sonst ist es noch ziemlich leer. Als zentrales Element steht ein portabler Kochherd mit einer Pfanne darauf mitten im Raum. Darin liegen rötliche Steine. Weiter hinten liegen Birkenästchen. Darüber häng tief ein Ringlicht, das grellweiss den Raum erhellt. Der Auftakt zum diesjährigen Programm nennt sich «Saunatorium». Es ist eine Art Initiationsritus, die Sauna stellt eine Reinigung des Raumes dar. Ganz und gar gewollt ist damit auch die Verbindung zu Barbara Meyer Cesta und der Sauna, die sie damals 2017 im Espace Libre installierte.
Das aktuelle Programm orientiert sich an der Idee von Zyklen, wie zum Beispiel Jahreszeiten. «Jetzt im Winter wollten wir etwas Wärmendes machen», so Trachsel. «Die erste Ausstellung ist dazu da, den Raum aber auch die Menschen aufzuwärmen», präzisiert Dillon. Dies vor allem auch im Kontext von Corona und was das Social Distancing mit den Menschen mache. Nun ist gemeinsam Schwitzbaden gerade nicht so angesagt. Trotzdem bekommt der Raum jede Woche einen Aufguss, auch im Sinne einer künstlerischen Intervention.
Trachsel und Dillon haben nämlich verschiedene Kunstschaffende beauftragt, sich dem Raum anzunehmen, in einer Art Mini-Artist-in-Residency zu arbeiten und ihre Kunst zu hinterlassen. Sie nennen es eine «akkumulative Ausstellung». Das heisst, nach und nach entsteht so eine Gruppenausstellung, die gegen Ende der Laufzeit für das Publikum offen sein soll, wenn es die Situation und der Bundesrat denn erlauben. Jérôme Stünzi war bereits da. Und hat etwas hinter dem Vorhang hinterlassen. Ein blubberndes, rötliches Wässerchen.

Sydney – Biel
Nicht nur die Direktion des Kunstraumes ist für die beiden neu. Denn Beth Dillon und Vera Trachsel kennen sich noch gar nicht so lange. Erst letzten Frühling haben sie sich in Biel kennengelernt – die Chemie stimmte von Anfang an. «Wir ergänzen uns gut», so Beth Dillon. «Ich habe manchmal das Gefühl, ich habe einen Körper und zwei Köpfe», sagt Trachsel lachend.
Trachsel wurde angefragt, sich für die Leitung des Raumes zu bewerben. «Ich wollte es aber nicht alleine machen», gibt sie zu. Doch mit der Idee einer Zusammenarbeit mit der Australierin bekam sie Lust, dieses Projekt in Angriff zu nehmen.
Für Beth Dillon ihrerseits kam Trachsels Anfrage zum richtigen Zeitpunkt. Nach mehreren Jahren des Nomadinnenlebens wollte sie sich auch künstlerisch irgendwo niederlassen. Sie lebt seit 2019 mit ihrem Partner und ihrer kleinen Tochter in Biel. In die Schweiz kam sie für ihren Partner. Biel passte beiden. Für beide war die Stadt ein willkommener Neustart.
Ihre künstlerische Tätigkeit umfasst viele Medien. Sie arbeitet kollaborativ und auch alleine. Sie ist Teil eines Performance-Kollektivs namens 110 Percent. Es ist sehr «long distance», die anderen Künstler befinden sich nämlich in Sydney. Videos macht sie, kreiert aber auch Szenografien für Performance Art und arbeitet mit verschiedenen handfesten Materialien – dabei spielt der Reuse-Gedanke eine wichtige Rolle, also das Wiederverwenden und Umfunktionieren vorhandener Alltagsmaterialien. Wie beispielsweise alter Tennisplatzbelag, oder eben wie aktuell im Espace Libre, alte Frotteetücher. Das verbindet sie mit Vera Trachsel. Doch Dillon benutzt auch schon mal ungewöhnlichere Materialien – wie Muttermilch oder der Stuhl ihrer Tochter Mathilde, den sie zu «Shit Bricks» verarbeitet. Diese waren im La Nef in Noirmont zu sehen, im Rahmen der Cantonale 2020.
Vera Trachsel ist regelmässigen Lokal-int-Gängerinnen und Cantonale-Besuchern wohl ein Begriff. Sie hat Wurzeln im Tessin, wurde 2018 auch mit dem dortigen Manor Kunstpreis ausgezeichnet. In Biel bekam sie bereits den Prix Kunstverein verliehen und war auch schon in der Ausstellung des Aeschlimann-Corti-Stipendiums vertreten. Manchmal macht sie Glacé (Eye Scream), oder aber man trifft sie auf dem Terrain Gurzelen an. Bis vor kurzem noch auf der Kinderbaustelle.

Kurze Planungsphase
Ihr Konzept für den Kunstraum lasse sich nicht auf eines alleine beschränken, so Trachsel. «Viel mehr sind es fünf Konzepte, die sich zyklisch wiederholen und ineinander wachsen.» Die Entscheidung für das diesjährige Programm habe sehr schnell geschehen müssen, so die Künstlerin. Die Fluidität der Konzepte ist ihnen wichtig, auch um auf kurzfristige Veränderungen reagieren zu können. Aber auch Kontrolle, respektive der Verlust dieser, fasziniert die beiden bei ihrer Arbeit als Kuratorinnen. «Ich freue mich am meisten auf Situationen, bei denen ich nicht weiss, was passieren wird», so Dillon. Zentral für ihre Zusammenarbeit ist dabei auch der Einbezug des Ortes. Das beziehe sich auf den physischen Raum und den Aussenraum davor, aber auch auf die Menschen und die Kunstschaffenden der Region, so Dillon. Geplant sind Einzel- und Gruppenausstellungen, Workshops. Partizipative Aspekte sollen auch eine Rolle spielen. Zudem suchen sie nach alternativen Dokumentationsformen für die Ausstellungen und das Rahmenprogramm.
Für dieses Jahr haben sie ausserdem die zwei Autorinnen Anja Delz und Myriam Wahli eingeladen als Writers-in-Residence, die die Ausstellungen und Aktionen jeweils zweisprachig mit Texten begleiten werden. Das Kuratorinnenduo führt aber auch Andrea Marionis  Format «Quattro Stagioni» weiter, die künstlerischen Interventionen im Terrain Gruzelen. Zudem wird es ein Austauschprogramm zwischen dem Espace Libre und anderer Orte dieser Art in der Schweiz geben. Die Sonnenstube in Lugano wird den Anfang machen. Die Kuratorinnen schauen dabei nicht nur gen Süden über den Tellerrand, sondern auch in die Mitte und nach Westen. Kunstschaffende aus Bern, Neuenburg, Waadt, Tessin oder Uri werden zu Gast sein. Dillon und Trachsel sehen ihre Rolle auch als Gastgeberinnen. Sie möchten den Ort mit anderen teilen. Kunstschaffende sollen hier auch ein Zuhause finden.  



Das Programm
«Saunatorium»: bis 10. März, mit Jérôme Stünzi, Colin Raynal, Laure Jolissaint und Sara da Silva Santos, Choer de Biu, Johannes Dullin. Aktuell Zugang jeweils Dienstag und Mittwoch auf Anmeldung espace.libre.bielbienne@gmail.com.
«Choreomania»: 17. März bis 7. April, öffentliche tägliche Tanzateliers mit Gregory Stauffer und Anne-Valérie Zuber.
«Fast Fashion»: 14. April bis 2.Mai mit Ateliers am 21., 28. April, 2. Mai mit Ernestyna Orlowska.
7. bis 30. Mai, Giorgia Piffaretti.
«Space Swap»: Die Sonnenstube Lugano im Espace Libre, 13. bis 23. Juni,.
«Festival des échecs»: 14. bis 31. Juli.
Tanzkollektiv «Collective Fo.u.lle.s»: 1. bis 26. September.
6. bis 27. Oktober: Florian Maritz.
«Space Swap»: Espace Libre bei Sonnenstube Lugano mit Barbara Meyer Cesta.
10. November  bis 1. Dezember: Jeanne Jacob.
«Petit Salon du Livre Maison»: 8. bis 22. Dezember. sro

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