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Biel

Die Farben des Frühlings in Musik gesetzt

Im morgigen Konzert des Sinfonieorchester Biel Solothurn wird ein neues Werk des Komponisten Christian Henking uraufgeführt. Sein Titel hat eine besondere Bedeutung.

Copyright: Matthias Käser / Bieler Tagblatt

Annelise Alder

«Vor der ersten Probe bin ich immer sehr nervös», sagt Christian Henking. Schliesslich ist es das erste Mal, dass der Komponist das zu Gehör bekommt, was er sich im Kopf ausgedacht hat. «Das ist fast wie eine Geburt».

Sorgen muss sich der Wahl-Bieler dennoch nicht machen. Auf Kaspar Zehnder, den abtretenden Chefdirigenten und das Sinfonieorchester Biel Solothurn kann er sich verlassen. Dirigent und Komponist kennen sich schon lange. «Es verbindet uns eine lange und tiefe Kameradschaft.» In den Proben geht es deshalb ruhig zu und her. «Ich sitze irgendwo im Saal und mache mir Notizen», sagt Christian Henking. Kaspar Zehnder nütze jeweils die Anwesenheit des Komponisten, um Fragen zu stellen und Unklarheiten anzusprechen. Wie soll diese Stelle klingen? Braucht es da einen stärkeren Akzent? Schliesslich spielen auch Dirigent und die Mitglieder des Orchesters das Werk zum ersten Mal.

 

Eine Komposition 
wie ein Bild

«Amarante et Chartreuse», heisst das kurze Orchesterstück von Christian Henking, das im kommenden Sinfoniekonzert von Theater Orchester Biel Solothurn (Tobs) uraufgeführt wird. Ein verschlüsselter Titel. Chartreuse, das ergibt eine erste Recherche, ist der Name eines Kartäuserklosters und eines giftgrünen Likörs. Was es damit zu tun hat? «Es sind auch Bezeichnungen für Farben. Amarante steht für Rot, Chartreuse für Grün», sagt der Komponist im Gespräch.

Klangfarben spielen im Stück also eine zentrale Rolle. «Das Werk ist komponiert wie ein Bild, bei dem unter einer Farbfläche andere Farbschichten durchschimmern, sich Farbverläufe ergeben, aber auch klare Kanten und Brüche das Aquarellartige stören.» So steht es im Pressetext. Das Besondere dabei: Christian Henking ist farbenblind.

«Das saftige Grün im Frühling oder die schönen rot-braunen Farben im Herbst erkenne ich nicht. Bei gutem Licht sehe ich zwar Gelb oder Blau. Komplementärfarben gibt es für mich aber nicht». Für Normalsehende ist dies schwer vorstellbar. Doch Christian Henking leidet nicht an seiner Sehbesonderheit. Sie ist nämlich angeboren. «Ich habe die Welt nie anders gesehen.»

 

Vorliebe für Fotos in 
schwarz-weiss

Umso mehr erstaunt es, dass auf der Website von Christian Henking Farbfotos abgebildet sind. Der Musiker ist nicht nur Komponist, sondern auch leidenschaftlicher Fotograf. Die meisten seiner Fotos sind in schwarz-weiss. Seine jüngste Serie ist dagegen farbig. «Eigentlich habe ich keine Ahnung, wie die Farben wirken. Ich bin auf den Input von Aussenstehenden angewiesen.»

Auf den Fotos sind allerdings keine realen Sujets zu sehen. Abgebildet sind abstrakte Motive. Im Vordergrund stehen Farbverläufe und -schattierungen. Zu erkennen sind immer klare Strukturen. Aufbau und Dynamik der Fotografien wirken wie komponiert. Das ist kein Zufall. «Ich bin ja derselbe Mensch, ob ich komponiere oder fotografiere», sagte der Komponist in einem früheren Gespräch mit dem BT.

Farbfotos bilden in den Arbeiten des Fotografen dennoch die Ausnahme. «Ich fotografiere normalerweise schwarz-weiss und komponiere farbig», sagt der Künstler. Wie das zu verstehen ist? «Die Instrumente eines Orchesters sind für mich wie Farben. Mich fasziniert es, diese gezielt einzusetzen.»

 

Neubeginn in verschiedener Hinsicht

Das jüngste Werk des 61-jährigen Komponisten entstand im Auftrag von Theater Orchester Biel Solothurn. «Es sollte irgendetwas mit Frühling zu tun haben und zu Robert Schumanns zweiter Sinfonie passen», sagt er. Der Orchesterklang wird deshalb leicht und transparent sein. «Das Werk ist für eine kleine Orchesterbesetzung. Die Klangfarben sind zunächst fast impressionistisch sanft. Aber es gibt auch Ausbrüche. Das ist dann so, wie wenn man mit einem riesigen Pinsel und satten Ölfarben darüber malt.»

Das knapp viertelstündige Orchesterwerk bildet den Auftakt zum zweitletzten Sinfoniekonzert von Kaspar Zehnder als Chef des Orchesters. Das Konzert trägt den Titel «Couleurs du printemps». Der frühlingshafte Charakter des Programms ist durchaus auch symbolisch zu verstehen. Die Jahreszeit steht für das Aufblühen, den Neubeginn. Das gilt einerseits für das Kulturleben, das nach einer langen pandemiebedingten schwierigen Phase wieder aufblüht.

Zu neuen Ufern wird auch Kaspar Zehnder aufbrechen. Seine Zeit als Chefdirigent bei Tobs endet diesen Sommer. Mit dem Orchesterstück «Amarante et Chartreuse» hat Christian Henking eine Art «Abschiedsgeschenk» komponiert.

 

Couleurs du printemps

Im zweitletzten, vom Frühling inspirierten Sinfoniekonzert des abtretenden Chefdirigenten Kaspar Zehnder bildet die zweite Sinfonie von Robert Schumann den Schlusspunkt. «Frühlingscharakter» wird dem Werk deshalb zugeordnet, weil der Komponist nach einer Zeit der schweren Depression darin wieder kreative Energie zeigt. Diese spiegelt sich in einer kompositorischen Experimentierfreudigkeit und einer lichtvollen Grundstimmung. Neben dem neuen Orchesterwerk «Amarante et Chartreuse» von Christian Henking ist die britische Harfenistin Emily Hoile als Solistin im Harfenkonzert von Reinhold Glière zu erleben.

Die aufstrebende junge Künstlerin lädt im Anschluss an das Konzert um 21 Uhr in die Cafébar vom Kongresshaus zu einer Late Night Lounge ein.

Das Konzert am Mittwoch im Kongresshaus beginnt um 19.30 Uhr. Weitere Informationen zum Programm sowie zum Ticketbezug sind auf der Website www.tobs.ch zu finden. aa

Stichwörter: Biel, Solothurn, Kultur

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