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Sina

«Die Gelassenheit kommt 
auf langsamen Pfoten»

Die Sängerin Sina (52) erhält den Swiss Music Award für das Lebenswerk – als erste Künstlerin.
 Auf ihrem neuen Album beleuchtet sie das Thema Weiblichkeit aus der Perspektive einer reiferen Frau.

Sängerin Sina wollte, dass auf ihrem neuen Album die Texte den Rhythmus angeben. Bild: zvg/ Pat Wettstein

Interview: Reinhold Hönle

Sina, wie alt fühlt man sich, wenn man an den kommenden Swiss Music Awards für sein Lebenswerk ausgezeichnet wird?
Sina: Ich hätte nichts dagegen, wenn er «Erste Hälfte des Lebenswerks Award» heissen würde (lacht). Sonst mache ich mir deswegen keine grossen Gedanken, sondern freue mich einfach, für 25 Jahre aktives Schaffen in der Schweizer Musikszene geehrt zu werden.

Wie viele Swiss Music Awards besitzen Sie schon?
Keinen! Aber es ist ein Anfang. Einige Frauen hätten es verdient, ausgezeichnet zu werden. Sie wären damit auch wichtige Vorbilder für den Nachwuchs. Solche Signale müssen in den Schaltzentralen der Musikindustrie ankommen, wo viele Männer hocken. Wir kennen dieses Ungleichgewicht ja nicht nur in der Musik. So ist es auch nicht verwunderlich, dass der Gleichstellungsartikel, der seit 37 Jahren in der Verfassung steht, immer noch nicht Realität geworden ist.

Es ist unverständlich, dass bei den SMA nur in wenigen Kategorien zwei Awards verliehen werden ...
Es wäre wichtig, dass Produzentinnen und Plattenfirmen-Chefinnen eines Tages ebenso verbreitet sind wie ihre männlichen Kollegen. Natürlich müssen die Frauen auch wollen. Das alles fängt aber viel früher an. Mädchen muss das Selbstbewusstsein vermittelt werden, dass es okay ist, wenn sie Schlagzeug spielen.

Instrumentalistinnen sind in der Popmusik immer noch in der Unterzahl.
In den Sparten Jazz, Pop und Rock sind es zwischen 5 und 10 Prozent. Das hat auch mit der Familienplanung zu tun und weil sich viele Frauen gegen das toughe Musikbusiness entscheiden. Man verdient wegen der Digitalisierung heute weniger und hat unregelmässige Arbeitszeiten. Es ist für alle schwieriger geworden, von der Musik zu leben. Und Männer setzen öfter alles auf eine Karte, gehen grössere Risiken ein. Mir fehlt der Mut zum grossen Wagnis.

Was haben Sie zuletzt riskiert?
Ich finanziere die Produktion des neuen Albums grösstenteils selbst. Ein solches Risiko zu tragen, ist neu für mich.

Weshalb tun Sie es jetzt?
Es gibt heutzutage praktisch keine Künstlerverträge mehr, bei denen die Plattenfirma die gesamten Kosten übernimmt. Ich gebe das fertig produzierte Album ab, finanziere alles, bis die Tour startet. Das funktioniert bei mir nur dank Unterstützung aus der Privatwirtschaft.

Wenn man das Album hört, war Ihr 
50. Geburtstag wohl doch nicht «Numu ä Zahl», oder?
Wir hatten ein lustiges Jahrgängerfest. Diese Geschichte ist nun auf dem Album gelandet. Die Texte sind wichtiger geworden, ich wollte, dass sie den Rhythmus angeben und die Musik sie transportiert. Für mich war es ein mühsamer Start, ein Affentanz mit Wörtern, die mich bis in die Träume verfolgt haben. Ich sah mich in einem Tetris-Spiel, wo Buchstaben auf mich runterfallen.

Weshalb?
Die Herausforderung war, die Geschichten so lange wirken zu lassen, bis sie erzählt waren. In wenigen Minuten eine Story zu erzählen, die verständlich ist und einen natürlichen Fluss hat, war ein längerer Prozess. Das meiste schrieb ich in meine Notizbücher und hielt mich dabei nicht an Reime oder Silbenzahlen. Dann habe ich zusammen mit Adrian Stern probiert, eine Melodie zu komponieren, die den Worten gerecht wird, aber trotzdem musikalisch bleibt.

Wie haben Sie das gemacht?
Adi war in dieser Phase viel bei mir auf dem Land. Wir hatten eine Gitarre und ein Mikrofon. Der Song hatte erst eine Chance, wenn er in seiner Durchsichtigkeit zu glänzen anfing. Dann war da die Idee, die Wirkung von 18 der 25 halbfertigen Songs zu testen, indem wir diese live spielten. Wir luden etwa 30 Leute ins Studio ein, von der Plattenfirma, Verwandte, Freunde, und Menschen, die nichts mit Musik zu tun haben.

Und wie waren die Reaktionen?
Verblüffenderweise war es für mich gar nicht mehr wichtig, wie der Applaus ausfiel. Ich merkte während des Spielens, an welchen Liedern ich selbst hänge. Lösen sie Gefühle aus oder nicht? Möchte ich sie regelmässig live spielen? Und am nächsten Morgen wusste ich, welche 13 Songs auf das Album kommen.

Was verbindet Sie mit Adrian Stern?
Wir haben eine ähnliche Auffassung, wann ein Song ein guter Song ist, und wir lieben Folk und Pop. Ich bin mit ABBA, Queen und Smokie aufgewachsen und stehe besonders auf den unverwechselbaren Sound der Eagles. Da ich in eine Richtung gehen wollte, bei dem der Gesang im Mittelpunkt steht, habe ich Adi als Sänger und Songwriter sofort als möglichen Produzenten gesehen. Er ist ein intuitiver und stilsicherer Musiker, der den Kern der Songs nie aus den Augen verliert. Er mit seiner ruhigen Art und ich als Flohhaufen haben uns sehr gut ergänzt.

Sie sind der Altersfrage vorher elegant ausgewichen. «Wiär sii schön» zeigt jedoch, dass Sie sich sehr wohl mit dem Älterwerden auseinandersetzen und über den ganzen Schönheitswahn lustig machen ...
Ich mache mich überhaupt nicht lustig! Ich wollte das Thema Weiblichkeit aus der Perspektive einer reiferen Frau beleuchten – und das bin ich nun mal, ob mir das jetzt gefällt oder nicht. Ich mag einerseits Filter und Retuschen auf Fotos, aber auf der anderen Seite sehe ich mich auch im Spiegel. Dem Zahn der Zeit und dass einem irgendwann die Glieder weh tun, kann man nur mit Humor und Ironie entgegentreten. Am Ende siegt eh die Natur!

Stehen Sie als Frau im Showbusiness unter erhöhtem Druck?
Bezüglich Aussehen finde ich es manchmal mühsam, dauernd mit seinem jüngeren Ich und damit mit den eigenen Veränderungen konfrontiert zu werden. Das Internet macht’s möglich. Dabei geht es doch in erster Linie um die Musik.

Mit Ihrem neuen Look haben Sie es nun aber geschafft, jünger als beim letzten Album zu wirken!
Vielleicht kommt die Frische auch von innen? Es geht mir einfach gerade gut. Trotzdem kann ich mit der Energie einer 30-Jährigen nicht mehr mithalten. Das muss ich irgendwie kompensieren. Die Gelassenheit kommt auf langsamen Pfoten. Unterwegs konsultiere ich regelmässig meine Meditations-App (lacht).

Das bewegendste Lied des Albums ist für mich «Zeppelin». Es klingt wunderschön und traurig zugleich, als ob Sie und Markus Kühne vom Ende Ihrer Liebe geschrieben hätten und sich nun wie in «Dä geisch» erbeten im Frieden trennen würden.
Mein Mann und ich? Es ist alles in bester Ordnung. Wir sind ein Herz und eine Seele! Aber danke der Nachfrage.

Wie kommt trotzdem ein solcher Song zustande?
«Dä geisch» ist die Geschichte einer Freundschaft, die plötzlich zu Ende ist, ohne Erklärung. Ich brauchte Zeit, um zu akzeptieren, dass diese langjährige Verbindung meinem Gegenüber plötzlich weniger bedeutet hat als mir – zum Teil habe ich es bis heute nicht verstanden.

Weshalb ist Ihr Mann ausgerechnet in «Zeppelin» involviert?
Die Wahrheit ist die: Von diesem Lied gab es acht Versionen. Eine unendliche Geschichte! Ich hatte völlig die Übersicht verloren und brauchte den unverstellten Blick von jemandem, der Distanz zum Thema hat. So kam es, dass Markus als Nothelfer einsprang. Schliesslich haben wir das Lied am allerletzten Studiotag noch einmal aufgenommen.

Sie haben die CD nach Ihrer Grossmama benannt. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihr Leben bei ihr?
Meine Grossmama Emma, die – wie damals Usus – auch meine Gotte war, lebte zusammen mit ihren zwei ledigen Töchtern in Salgesch. Trotz der körperlich anstrengenden Tätigkeit als Rebbäuerinnen in einem männerdominierten Umfeld haben sie ihren Humor und starken Glauben nie verloren. Dieser Frauenhaushalt, dem ich zwischen meinem 6. und 11. Lebensjahr angehörte, hat mein Frauenbild geprägt.

Nun sind Sie selbst Gotte. Welche Werte wollen Sie Ihrem sechsjährigen Gottenkind, das im CD-Booklet abgebildet ist, vermitteln?
Ich versuche Elina da zu fördern, wo sie Interesse zeigt und möchte ihr Dinge zeigen, die sie noch nicht kennt. Sie soll eine junge Frau werden, die sich nicht über ihre Rolle definiert, sondern über ihre Talente und Wünsche, die wahr werden dürfen. Ich will ihr aber nicht nur zeigen, dass es wichtig ist an etwas zu glauben, sondern auch, dass sie das Kind in sich bewahren soll. Träumen sollte man bis ganz am Schluss.

Info: Sina: «Emma» (Muve).

 

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