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Bern

Die Lichter der globalen Stadt

Der in Vinelz lebende Maler Martin Ziegelmüller versteht es, den magischen Moment des Dämmerns auf Leinwand zu bannen. In der Berner Galerie Kunstkeller zeigt er seine neuen Werke.

Lichter eine nächtlichen Stadt, die an Biel erinnert: «globale Stadt (Biel) 2007/2012». Bild: zvg

HELEN LAGGER

Der Himmel sieht verbummelt aus und bleich, als wäre ihm die Schminke ausgegangen. So beschrieb der expressionistische Dichter Alfred Lichtenstein (1889-1914) das Firmament in seinem berühmten Gedicht «Die Dämmerung». Die Faszination für den poetischen Moment, wenn die düstere Nacht den schwindenden Tag ablöst und umgekehrt, zieht sich durch die ganze Literatur- und Kunstgeschichte.

Der Seeländer Martin Ziegelmüller versteht es, den magischen Moment des Dämmerns auf Leinwand zu bannen. Seine Malerei selbst befindet sich gewissermassen im Dämmerzustand - nämlich irgendwo zwischen Figuration und Abstraktion. Die Frage, ob er nun gegenständlich oder ungegenständlich male, empfindet Ziegelmüller, der auch an der Malerei festhielt, als diese als reaktionär galt, als überflüssig. Er sei von Natureindrücken und Stimmungen fasziniert, erzählt der 78-Jährige anlässlich der Vernissage im Berner Kunstkeller. «Ein gutes Bild kann man nicht ohne Abstraktionsvermögen machen. Wie sonst wollen Sie Nebel darstellen?»

 

Diffuse Erinnerungen

Während man in einigen Gemälden vage das Porträt einer Stadt oder die für den Ort typische Landschaft erkennt, lassen sich viele seiner Bilder nicht klar verorten. Sie sind sozusagen Prototypen von Gewittern, wolkigen Tagen oder im Nebel liegender Gebirgs- und Flusslandschaften. Man kann regelrecht eintauchen in diese Farbstrudel und Lichtquellen und dabei Dinge erkennen oder zumindest erahnen, ohne sie richtig greifen zu können.

Es sind Bilder, die wie diffuse Erinnerungen an einen Herbsttag oder den ersten Schnee wirken. Ziegelmüller malt zwar nach Vorlagen, die er im Stil der Plein-Air- Maler vor Ort mit dem Pinsel einfängt oder fotografiert. Sein Resultat, das im Atelier entsteht, ist letztlich aber immer eine freie Interpretation des Gesehenen.

Ziegelmüller fängt die Natur und ihre Phänomene ein, ohne zu verklären. Ebenso wertfrei nähert er sich der Zivilisation, die bekanntlich nicht nur Schönheit hervorbringt.

 

Verrückte Agglomeration

«Es kann mich auch eine Verrücktheit faszinieren», erklärt Ziegelmüller seine Vorliebe für Städte und Vorstädte, die sich zunehmend gleichen wie ein Ei dem anderen. Zivilisationskritik könne zwar in diesen Bildern implizit mitschwingen, doch das sei nie seine Grundmotivation.

Sein Ausgangspunkt ist stets das visuell Reizvolle. Etwa die sich scheinbar unendlich fortsetzenden Lichter einer nächtlichen Stadt. Diesen von realen Orten inspirierten Ansichten gibt Ziegelmüller häufig nur noch den Titel «globale Stadt». «Es ist nicht wichtig, wo das jeweilige Bild entstanden ist», sagt er. Es gibt auch den umgekehrten Prozess: Ein aus verschiedenen Eindrücken entstandenes Bild erinnert ihn plötzlich an einen spezifischen Ort - so auch im Falle von «globale Stadt (Biel) 2007/2012». Biel erkennt man hier kaum, dafür ist das Bild viel zu abstrakt. Vielmehr taucht man in eine beliebige, sich scheinbar unendlich ausdehnende Stadt ohne eigentliches Zentrum ein, in eine Art Los Angeles der Schweiz.

 

Rückkehr nach Bern

Wenn Martin Ziegelmüller ausstellt, kommen die Leute in Scharen. So auch am vergangenen Samstag bei der Eröffnung im Kunstkeller Bern. In der von Dorothe Freiburghaus geführten Galerie präsentiert Ziegelmüller sein Werk in regelmässigen Abständen. Freiburghaus bestritt gar ihre ganz erste Ausstellung im Jahre 1970 mit Werken des damals noch am Anfang seiner Karriere stehenden Meisters. Aktuell präsentiert sie die so genannten Nachtbilder, mehrheitlich Aquarelle, die zwischen 2007 und 2012 entstanden sind, im art-room, einem kleinen zur Galerie gehörenden Séparée. In den beiden grösseren Sälen stösst man mehrheitlich auf kürzlich entstandene Ölmalerei - etwa auf das düstere «Freiburg nach Mitternacht 2003/2012» oder «Sense 2012».

Vor zwei Jahren organisierten das Kunstmuseum Bern und das Kunsthaus Langenthal eine Retrospektive. Trotz dieser grossen Ehre ist Ziegelmüller bescheiden und seine Bilder erschwinglich geblieben. Das bestätigt auch Hansulrich Gammeter, langjähriger Kenner und Sammler des Malers, der aus Zweisimmen zur Eröffnung angereist kam. Er ersteht schliesslich eine helle Nebellandschaft. Auch aus Biel sind bekannte Gesichter auszumachen. Etwa Rudolf Steiner vom Künstlerduo Haus am Gern. «Man sieht vor lauter Leuten kaum die Bilder», so Steiner.

Erst gegen Ende der gut besuchten Vernissage kann man die volle Wirkung von Ziegelmüllers Malerei erfassen. Auf dem Rückweg, als in der Berner Altstadt allmählich die Dämmerung einsetzt, kommt es der Schreiberin für einen Moment vor, als wären Häuserfassaden und Himmel von Künstlerhand gemalt.

 

Link: www.kunstkellerbern.ch

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