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Franziska Schutzbach

«Die Menschen können sich auch gegen Hass entscheiden»

Die Jahrzehnte rechtspopulistischer Politik in der Mitte der Gesellschaft hätten in der Schweiz Spuren hinterlassen, sagt Soziologin Franziska Schutzbach. In ihrem neuen Buch hat sie 20 rechtspopulistische Diskursstrategien zusammengefasst. Sie fordert, Themen vermehrt in ihrer Komplexität und vermehrt differenzierte Stimmen abzubilden.

Soziologin Franziska Schutzbach: «Wir müssen benennen, wohin rechtspopulistische Positionen in der Konsequenz führen.» copyright: matthias käser/bieler tagblatt

Interview: Tobias Graden

Franziska Schutzbach, Sie haben soeben das Buch «Die Rhetorik der Rechten. Rechtspopulistische Diskursstrategien im Überblick» veröffentlicht. Warum braucht es dieses Buch gerade jetzt?
Franziska Schutzbach: Es wäre sicherlich auch vor zwei Jahren nicht fehl am Platz gewesen. Rechtspopulismus ist derzeit auf dem Vormarsch. Nicht zwingend in der Schweiz, hier ist er ja schon länger gesellschaftsfähig, aber in Europa und auch im aussereuropäischen Raum. Darum wollte ich eine leicht lesbare Zusammenstellung schreiben, die aufzeigt, wie rechtspopulistische Rhetorik funktioniert. Denn wer diesen Diskursstrategien etwas entgegensetzen will, muss sie erst mal kennen. Rechtspopulistische Haltungen sind nicht durch Zufall entstanden. Es gibt Strategiepapiere rechtspopulistischer Akteure, die beispielsweise raten, bestimmte Punkte immer wieder anzusprechen, um Ängste zu schüren, etwa vor dem Islam.

Nicht jedes Thema dürfte aufgrund rechtspopulistischer Strategiepapiere entstanden sein.
Klar. Viele rechtspopulistische Rhetoriken sind zufällig entstanden, im Lauf der Jahre. Was sich als erfolgreich erwies, wurde wieder und wieder benutzt. Und die Themen sind auch eine Reaktion auf den tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel.

Inwiefern?
Wir leben in einer Zeit, in der sich enorm viel verändert, etwa durch die Globalisierung. Die Geschlechterverhältnisse verändern sich tiefgreifend, es gibt die Pluralisierung der Gesellschaft, Migration und Fluchtbewegungen. Das sind reale Entwicklungen, und der Rechtspopulismus ist auch eine Reaktion darauf.

In einigen Worten: Was verstehen Sie unter Rechtspopulismus?
Populismus meint die Idee, dass die Macht dem Volk gehört und dass die Politik Ausdruck unmittelbaren Volkswillens sein soll. Das ist nicht per se schlecht, kann aber in autoritäre Vorstellungen kippen, wie eben der derzeitige Rechtspopulismus: Er idealisiert das Volk, zählt dabei aber nur manche dazu. Er erzählt die Geschichte eines betrogenen Volkes, dem die Macht zurückgegeben werden muss. Er wendet sich oft gegen die etablierten Institutionen, politischen Abläufe und die Gewaltenteilung. Der Mehrheitswille wird als hierarchischer Befehl ungeteilter Macht interpretiert. Doch unser demokratisches System ist darauf angelegt, dass nicht einfach eine Gruppe per Mehrheitsentscheid über andere herrschen kann. Und: Rechtspopulismus lebt von der Spaltung, es werden Konflikte geschürt. Statt Gemeinsamkeiten zu betonen, wird auf die grösstmöglichen Differenzen fokussiert.

Was nicht heisst, dass es diese nicht gäbe.
Gewiss, die gibt es , wenn man etwa an die Zwangsverschleierung oder Genitalverstümmelung denkt – wobei wir die Gesetze haben, die dies verbieten. Wer jedoch ständig diese Punkte in den Vordergrund stellt, betreibt eine Politik der Spaltung.

Halten Sie den heutigen Rechtspopulismus für eine reelle Gefahr für die Demokratie?
In Ländern wie Ungarn, Polen oder in den USA sehen wir, dass demokratische Prinzipien ausgehebelt werden oder bedroht sind, wenn Rechtspopulisten an die Macht kommen. Die Forschung zeigt: Wenn Hass, Ressentiments oder Ängste zu politischen Antriebskräften werden, kommt es zu Spaltungstendenzen, Fremdenfeindlichkeit oder der Sehnsucht nach starker, autoritärer Führung. Konsensfähigkeit, langwierige Aushandlungsprozesse oder Kompromissbereitschaft, die Merkmale von Demokratien sein sollten, sind dann gefährdet.

In der Schweiz ist kürzlich die Selbstbestimmungsinitiative haushoch abgelehnt worden, und der Wähleranteil der SVP ist derzeit nicht markant höher als 2007. Es scheint, als bestehe zumindest hierzulande eine Art natürliche Grenze für die Akzeptanz rechtspopulistischer Inhalte.
Es kann gut sein, dass es in der Schweiz diese Grenze gibt. Allerdings haben die Jahrzehnte rechtspopulistischer Politik – im Zentrum von Regierung und Gesellschaft – tiefe Spuren hinterlassen, und über diese gilt es zu reden.

Welche denn?
Nicht-rechtspopulistische Kräfte sind zum Beispiel ständig mit der Abwehr rechtspopulistischer Initiativen beschäftigt, und das bindet Kräfte, die man für vorwärts gerichtete Projekte einsetzen könnte. Es gibt aber auch ganz konkrete Auswirkungen: Im Kanton Zürich wurde die Sozialhilfe für Flüchtlinge per Volksentscheid abgeschafft, in weiteren Kantonen gibt es massive Kürzungspläne bei der Sozialhilfe. Im Kanton Aargau wurden Gleichstellungsbüros abgeschafft, obwohl sie eine wichtige demokratische Institution sind und dem Verfassungsauftrag der Gleichstellung dienen. Seit Jahrzehnten wird zudem gegen grundlegende rechtsstaatliche Garantien gehetzt, etwa indem auf Volksabstimmungen bei Einbürgerungen gepocht wird. Und schliesslich: Die rechtspopulistische Stärke verhindert auch, dass struktureller Rassismus und Diskriminierung in der Schweiz diskutiert werden, obwohl die Forschung aufzeigt, wie dieser mitten in der Gesellschaft funktioniert und wie wir alle von rassistischen Strukturen profitieren. Auch ich, wenn ich auf Wohnungssuche zum Zug komme statt die somalische Familie.

Das alles ist kaum allein eine Folge des Rechtspopulismus. Das Thema Einbürgerungen liesse sich wohl ebenso in der direktdemokratischen Tradition der Landsgemeinde verorten.
Gewiss, es wirken immer mehrere Faktoren und es gibt nie bloss eine Ursache. Doch die rechtspopulistische Dominanz ist ein Grund dafür, dass es sehr schwierig ist, über diese Themen zu reden. Denn man riskiert sofort einen Konflikt mit rechtspopulistischen Akteuren, die dann behaupten, es gehe darum, die ganze Schweiz in die rechtsextreme Ecke stellen zu wollen. Es besteht eine riesige Abwehr gegen kritische Stimmen, und diese ist nicht zuletzt darum wirkungsvoll, weil der Rechtspopulismus nicht am rechten Rand agiert, sondern in der Regierung sitzt.

Sie kritisieren die Doppelrolle der SVP, die – notabene wie die SP – bisweilen zugleich Regierungs- als auch Oppositionspartei ist. Würden Sie denn die SVP aus dem Bundesrat werfen wollen?
Nein. Das ist nicht meine Haltung. Ich fordere eine kritische Auseinandersetzung mit dem Normalwerden rechter Weltanschauungen in der Mitte der Gesellschaft, auch mithilfe der Forschung. Diese hat in den letzten Jahrzehnten gezeigt, wie projektive Ängste entstehen, Ressentiments oder Vorurteile. Das betrifft uns alle, jeden Menschen, nicht nur die Rechten. Aber es wird praktisch gar nicht darüber gesprochen.

Man kann der SVP auch eine demokratische Integrationsleistung zugutehalten: Sie absorbiert radikale rechte Parteien, so dass diese in der Schweiz keine Chance haben.
Die politologische Forschung dazu kommt zu verschiedenen Schlüssen. Unter anderem zu jenem, dass ihr diese Integration auch dadurch gelingt, dass sie selber extreme Positionen anbietet und diese dadurch «normal» werden. Das Parteiprogramm der SVP ist zum Teil extremer als jenes der AfD oder des Rassemblement National. Weil sie die Doppelrolle von bürgerlicher Regierungspartei und Opposition so gut beherrscht, ist sie jedoch sehr schwierig zu kritisieren. Sie verhält sich wie eine bürgerliche Partei, attackiert aber gleichzeitig immer wieder den Parlamentarismus und betreibt oft unverhohlen rassistische Abstimmungspropaganda.

Man könnte auch sagen: Sie ist eine bürgerliche Partei. Ein Politiker wie der Berner Regierungsrat Christoph Neuhaus lässt sich schwerlich als Populist bezeichnen.
Nicht alle SVP-Exponenten sind Populisten. Doch der Aufstieg ist der Partei erwiesenermassen darum gelungen, weil sie sich in den 90er-Jahren dem Populismus zugewandt hat. Insgesamt ist sie eine rechtspopulistische Partei, das gilt in der Forschung als unbestritten. Sie ist nicht zufällig Vorbild für andere europäische Rechtspopulisten.

Sie verweisen darauf, dass in der rechtspopulistischen Rhetorik der Stil nicht von den Inhalten zu trennen sei. Heisst das also, dass jegliche Positionen, die von rechts kommen, aus demokratiepolitischer Sicht abzulehnen sind?
Nein, das ist nicht meine Folgerung, jedenfalls nicht so pauschal. Ich plädiere dafür, genau hinzuschauen und zu benennen, worum es in diesen Positionen tatsächlich geht und wohin sie in der Konsequenz führen, etwa in Bezug auf Minderheitenrechte. Und ich fordere eine bessere Faktenprüfung.

Warum?
Es ist einer der Erfolge rechtspopulistischer Diskursstrategien, dass die liberale Forderung nach Meinungsvielfalt dazu benutzt wird, Fakten zu verzerren und Paranoia zu säen. Doch eine demokratische Gesellschaft hat sich gewisse Regeln gegeben, etwa die Prüfung von Fakten oder die Prüfung, ob etwas mit demokratischen Prämissen vereinbar ist.

Das wird ja durchaus gemacht, beispielsweise durch die Medien. Reicht das nicht?
Die Teilnehmer der öffentlichen Debatten wie die Medien müssten sich bewusster machen, wie sie ein Thema framen können, ohne rechtspopulistischen Verkürzungen aufzusitzen. Sie müssen sich überlegen, wie ein Thema komplex darzulegen ist und nicht als einfache Ja-Nein-Fragestellung. Ein Framing wie «Dürfen wir jetzt keine Cervelats mehr essen?»ist so vereinfachend und hetzerisch, dass nur populistische Positionen möglich sind. Medien tragen eine Verantwortung, Themen so darzustellen, dass ihre Komplexität besser abgebildet wird und auch differenzierte Stimmen zu Wort kommen.

Man kriegt beim Lesen Ihrer Schrift den Eindruck, dass Sie am liebsten gewisse kommunikative Praktiken, Stile, womöglich gar Inhalte vom demokratischen Diskurs ausschliessen möchten. Zumindest hierzulande verlaufen die Debatten aber im demokratischen, rechtsstaatlichen Rahmen.
Ja, wir stehen nicht kurz vor der Diktatur. Gleichwohl sollten wir uns die Frage stellen, wann eine populistische Position auch mal ignoriert werden kann.

Warum?
Weil solche Positionen oft alle anderen dazu zwingt, sich an der Maximalpolemik abzuarbeiten und eine einseitige Perspektive auf ein Thema entsteht. Wir müssen uns der Erkenntnisse aus der sozialpsychologischen Forschung bewusst sein: Selbst wenn die Gegenargumente noch so gut und zahlreich sind, sieht sich ein Teil der Menschen in seinen Ressentiments bestätigt und radikalisiert sich. Anderseits kann es auch sinnvoll sein, populistische Meinungen öffentlich zu debattieren und Gegenargumente vorzubringen. Ich glaube an die öffentliche Debatte.

Haben Sie denn auch Verständnis für Menschen, die beispielsweise in Deutschland AfD wählen?
Man kann verstehen und nachvollziehen, wie Menschen zu ihren Ängsten und Haltungen gelangen. Das Bedürfnis nach Sortierungen und einfachen Antworten in einer komplexen Welt ist nachvollziehbar. Dazu gibt es zahlreiche soziologische Studien. Da greifen Mechanismen, und wird ein entsprechendes politisches Angebot mit Schuldigen und Feindbildern geschaffen, dann wird dieses auch genutzt. Trotzdem muss man dies kritisieren. Die Menschen können entscheiden, und sie können sich auch gegen Hass und Ressentiments entscheiden. Es gibt genügend Beispiele dafür, wo Menschen prekär leben und arbeitslos sind und darauf nicht damit reagieren, rechts zu werden und einseitig Schuldige zu identifizieren.

Der Aufstieg der AfD scheint allerdings fast eine logische Konsequenz gewesen zu sein. Wer mit der Regierungspolitik der grossen Koalition nicht zufrieden war, dem blieb fast nichts anderes übrig, als AfD zu wählen.
Es ist keineswegs zwingend, dass die «Alternative» rechtspopulistisch und menschenverachtend sein muss. Deutschland ist eine funktionierende Demokratie. Jedem Menschen steht es frei, sich politisch zu betätigen und eine Partei zu gründen – zum Glück. In anderen Gesellschaften, etwa in der Türkei oder in Ungarn, ist das heute schon schwierig.

Der SP-Politiker Rudolf Strahm hat Sie in einem Kurz-Essay kürzlich namentlich genannt und kritisiert. Er schreibt, ob sich «die politisch Korrekten» denn fragen, warum die Rechtspopulisten derart grosse Anhängerschaften mobilisieren könnten und macht dies eben an den «Ängsten der Globalisierungsverlierer» und der Identitätspolitik fest. Was entgegnen Sie?
Seine Analyse ist sehr ungenau. Er stellt die «politisch Korrekten», die intellektuelle Elite oder die Migranten den Globalisierungsverlierern gegenüber. Das ist eine Gruppeneinteilung, die analytisch falsch ist. Zum einen gibt es genügend Untersuchungen, die zeigen, dass keineswegs nur «Verlierer» rechts wählen, sondern auch Wohlhabende und die Mittelschicht. Zum andern überlagern sich die Kategorien viel stärker, als es Strahm darstellt: Auch ein weisser Globalisierungsverlierer kann schwul sein; feministische Anliegen beissen sich nicht mit den Interessen einer KMU-Angestellten. Sogar die Kategorien «Globalisierungsverlierer» und «Globalisierungsgewinner» können in einer Person vereint sein.

Gleichwohl: Strahm macht den Aufstieg der Rechtspopulisten nicht zuletzt an den Themen Migration und Identität fest. Sie dagegen kritisieren die Kritik am Verhalten muslimischer Einwanderer als rechtspopulistische Rhetorik.
Nicht so pauschal. Ich sage: Man kann bestimmte Verhaltensweisen durchaus kritisieren, ohne dass man gleich die gesamte Migration pauschal als Ursache aller Probleme darstellt und Ressentiments schürt. Es ist selber ein populistisches Argument zu sagen, jemand bestimmtes allein sei verantwortlich für den Rechtsrutsch, die Intellektuellen oder politisch Korrekten. Das ist einseitig. Viele Akteure tragen Verantwortung, und die realen sozialen Situationen der Menschen sind vielschichtig. Wenn man diese kennt, kommt man nicht zu so vereinfachten Aussagen wie Herr Strahm.

Die Frage, inwiefern man die Wähler von Rechtspopulisten «ernst nehmen» muss, wird aber breit – und durchaus kontrovers – diskutiert. Was denken Sie dazu?
Auch hier: Welche Wähler genau meint man denn? Die sind – wie gesagt – nicht einheitlich, sondern eine sehr heterogene Gruppe. Ich bin dafür, dass man alle Menschen ernst nimmt, und nicht eine Gruppe gegenüber der anderen bevorzugt.

In Deutschland wurden Pegida-Anhänger von Regierungsseite als «Pack» bezeichnet. Das ist das Gegenteil von ernst nehmen.
Allerdings. Auch nach dem Angriff auf den AfD-Politiker Magnitz gab es Äusserungen von linker Seite, die ich verantwortunglos finde.

Verstehen Sie sich als Kritikerin der direkten Demokratie in der Schweiz, weil diese rechtspopulistische Positionen leicht ins politische System einspeist?
Nein. Ich weise aber darauf hin, dass es Fallstricke gibt, dass sie mit den Menschenrechten kollidieren kann, wie die Geschichte des Frauenstimmrechts zeigt. Und dass sie von rechtspopulistischer Seite auch schon missbraucht worden ist. Das heisst aber keineswegs, dass ich sie ablehne. Ich halte die direkte Demokratie für einen grossen Wert, sie lässt ja auch Raum für progressive Initiativen.

Was funktioniert angesichts Ihrer Befunde als Gegenstrategie gegen rechtspopulistische Rhetorik?
In meinem Buch gebe ich ein paar Anregungen für die verschiedenen Felder. Sicher sind Parteien gut beraten, das eigene Profil zu schärfen, fürs eigene Stammpublikum Angebote zu haben, die das Bedürfnis nach materieller Sicherheit und Anerkennung bedienen, sich dabei aber von rechtspopulistischen autoritären Lösungen und Phantasien klar unterscheiden. Das gilt insbesondere für die Konservativen. Die Geschichte zeigt: Das demokratische System ist dann bedroht, wenn die Konservativen mit reaktionären Kräften Allianzen eingingen. Und vor allem: Geht wählen! Und zwar Akteure, die sich vom Rechtspopulismus unterscheiden, die sich für die Bewahrung demokratischer Prinzipien einsetzen. Ein grosses Potenzial sehe ich bei bisherigen Nichtwählern – ihnen ist oft nicht bewusst, wie politisch ihr Nichtwählen ist.
 

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