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Die Musik der goldenen Mitte

Auf die Explosion wartet man vergebens: Der Bieler Gitarrist Roman Nowka widmet seiner Tochter eine Platte, die feine, versöhnliche Energie verströmt. «The Red Album» ist Schönheit ohne «Päng!»; die Musik ist wie ein Kumpel, der immer schon da war.

Die Kraft kommt aus dem Sein: Roman Nowka teilt diese Erkenntnis mit Roger Federer. copyright: peter samuel jaggi/bieler tagblatt
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Sweet Pain

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Tobias Graden

Zuletzt wähnt man sich in der Schlussszene eines Rosamunde-Pilcher-Films. Die Liebenden haben sich gefunden, Hand in Hand gehen Sie über den Klippen dem Meer entlang, das Gras wiegt sich im Wind, alles hat seinen Frieden gefunden. Akustische Gitarren singen eine liebliche Melodie, so unaufdringlich wie eingängig. Wir sind in «May Is Here», dem letzten Stück auf Roman Nowkas Album.
Ist das Kitsch? Fast. Es gibt in diesem Stück zwei, drei Stellen, die es davor bewahren. Stellen, an denen Nowka einen Ton unsauber trifft, so dass er nur abgehackt angedeutet, ist statt voll zu klingen. Stellen, an denen die Melodie just dort einen halben Ton zu tief bleibt, wo sie sonst den melodramatischsten Effekt hätte. Das Stück ist wie das Aquarell einer Frühlingslandschaft, das aus unerklärlichen Gründen an zwei, drei Stellen graue Schlieren hat. Zum Glück.

Tröpfchen statt Sturmflut
«May Is Here» ist das untypischste Stück von «The Red Album», dem neuen Werk des Bieler Gitarristen. Nowka spielt hier eine akustische Gitarre, und er verwendet Overdubs – während die restliche Musik auf dem Album mit einer elektrischen Gitarre aufgenommen ist und jedes der maximal vier Instrumente (Gitarre, Bass, Schlagzeug, Schellenkranz) nur eine Tonspur zugestanden bekam.
Das Schlussstück ist also untypisch, was den Klang betrifft – doch die Stimmung ist überall ähnlich: Gelöst, friedlich, entspannt. «Versöhnliche Musik», sagt Nowka. Kein Wunder: Er hat sie in den Abendstunden geschrieben, als seine Tochter May schon schlief. Der Blick auf das schlafende Kind löste diese ganz eigentümiche Stimmung aus, die wohl nur Väter und Mütter kennen. Und schon nur die Notwendigkeit zur Ruhe verunmöglichte denkbare Eruptionen im Spiel.
Man kann sie durchaus vermissen, die Ausbrüche. Im Stück «Sweet Pain» beispielsweise. Bluesig klingt es, die Gitarre liegt in Lauerstellung wie eine Raubkatze vor der Beute. Sie deutet an, was kommen könnte; sie ist wie eine gespannte Feder, die dann doch nicht springt: Wo der Hörer die Explosion erwartet, folgen bloss klirrende Fragmente von Klängen, erzeugt am Kopf des Instruments, statt Sturmflut gibt es Tröpfchen. Und als Nowka die sonst nur angedeutete Melodie endlich ausspielt, gönnt er einem gerade mal einen Durchgang – und dann ist das Stück auch schon wieder zu Ende. Es ist, als ob Nowka in einem Ferrari durch die Gegend führe, sich aber komplett gelassen stets an die zulässige Höchstgeschwindigkeit hielte, höchstens an den Ampeln bisweilen den Motor etwas aufheulen liesse.
Eben, das hat mit dem Moment des Entstehens dieser Musik zu tun, mit dem schlafenden Kind nebenan: «Die Energie ist so fein zu diesem Zeitpunkt», sagt Nowka, «das geht nicht, da zu explodieren.» Die Schönheit liege im Sein, nicht im Tun, also entstehe da nicht Musik, die einem an den Kopf springe. Und überhaupt: «Es gibt schon genug Musik, die bereits nach zehn Sekunden Päng! macht.»

Aber dieser Klang!
Roman Nowka hat sie denn auch nicht gesucht, diese Musik. Sondern er hat sie zu sich kommen lassen. Er hat sozusagen die erstbesten Melodien eingespielt. Und so wirkt diese Musik, als sei sie ein alter Kumpel, den man kaum mehr wahrnimmt. Seines wahren Werts wird man sich dann gewahr, wenn man bewusst an ihn denkt. Anders gesagt: Diese Musik klingt, als sei sie immer schon da gewesen. «Rainy Night In Havana» beispielsweise, das ist doch ein adaptierter Standard, nicht? Die Suche im Netz fördert bloss malerische Bilder vom Tropenregen auf Kuba hervor. Nowka sagt: «Jene Musik, die einfach so kommt, ist eine Synthese aus allem, das ich schon mal gehört habe.»
Man könnte Nowka Ambitionslosigkeit vorwerfen, man weiss ja um sein Talent, um sein Können. Doch ohne Anspruch ist diese Musik nicht. «Ich wusste, was ich von dieser Platte wollte», sagt der Gitarrist, «nämlich diese versöhnliche, feine Energie des Moments hörbar machen. Und das ist mir gelungen.» Er hat sich extra eine neue Gitarre gekauft dafür, eine Fender Jaguar, hat dickere Saiten als üblich montiert, sie eine Quinte tiefer gestimmt und sie über einen Fender-Bassman-59-Verstärker gespielt.
Der Klang ist umwerfend. Er ist klar konturiert, kantig fast, aber runder und wärmer als jener einer Stratocaster. Und vor allem ist da dieses Volle, Voluminöse, schlicht: dieser Raum, der gerade darum so wirkungsvoll ist, weil Nowka ihn nicht vollstellt. «Ich hätte mehr hineinpacken können», sagt er, «aber das wollte ich nicht.» Und so werden diese Lieder, so einfach sie auch sind, dreidimensional. Spannendes passiert nicht nur in der Melodiestimme. Es ist, als schwebe man in einer Luftseilbahn und beobachte gleichzeitig die Bewegungen von Tieren am Boden.

Federers Lieblingszahl
Dieses Album ist – leider – aber auch eines: kurz. Die Stücke sind kurz, das Album ist kurz. «Ich habe gerne kurze Lieder», sagt Nowka, «Mani Matter hatte auch kurze Lieder.» Und dass es acht solche kurzen Lieder sind wie schon beim vorderen Album, hat auch seinen Grund: Acht, das ist Nowkas Lieblingszahl – eine «Super-Zahl» sei sie, die Acht, «so rund». Die Acht sei übrigens auch die Lieblingszahl von Roger Federer, und Roger Federer sei sein grosses Vorbild. Dessen Perfektion sei nicht etwa langweilig: «Er ist ausgeglichen, er schöpft die Kraft aus dem Sein. Er weiss: Die Schönheit liegt in der goldenen Mitte, dort, wo’s einfach  läuft.»
In fünf Stunden war es aufgenommen, «The Red Album», alle Songs, alle selbst eingespielten Momente, jeweils gleich im ersten Anlauf, Nowka war gar rechtzeitig fertig, um den nächsten Federer-Match im Fernsehen zu verfolgen. Hat er denn nicht das Gefühl, dass er sich unterfordert? Er könnte ganz Anderes spielen, er weiss das. Aber er sagt: «Ich spiele lieber einen Ton, der schön klingt, als 50 Töne in drei Sekunden.» Denn wo führe sie schon hin, die blosse Virtuosität, die gesuchte Originalität? «20 andere Musiker finden dann: Whoa, kann der spielen! Das hat für mich keinen Wert. Da ist es mir lieber, ich berühre ein paar andere Menschen.»
Seine Mutter hat geweint, als sie das Stück «May Is Here» zum ersten Mal hörte. Ganz verschwunden ist die weniger ruhige Seite von Roman Nowka nicht: In den Liner Notes bedankt er sich auch bei Theolonius Monk und Jimi Hendrix.

Info: Roman Nowka: «The Red Album» (Nowka Records, erhältlich an den Konzerten). Plattentaufe morgen Freitagabend im Kreuz, Nidau, Konzert um 21 Uhr.

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