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Biel

Die Renitenten und das Rudel

Mit dieser Ausstellung im Centre Pasquart erlangen sie den unaussprechlichen Titel «Master of Arts in Contemporary Practice». Einer der Studenten versucht jedoch, sein Diplom mit nichts zu bekommen.

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Im Centre Pasquart wird gehämmert, gebohrt, geräumt und geredet. Kurz: Es wird gearbeitet, denn dies ist immerhin die Abschlussausstellung, das praktische Meisterstück, das auf die schriftliche Masterarbeit folgt.


Klang
Die Meisterstücke von 19 Studenten der Hochschule der Künste Bern (HKB) wickeln das Kunsthaus bis Sonntag unter anderem in ein Klangkleid. Aus bemalten Bäumen dringt dann eine Soundinstallation (Brigitta Müller), welche die Künstlerin an den Rand des Wahnsinns trieb. Ton-Aufnahmen von einer Wanderung im Jura werden mit halben Baumstammscheiben und einem per Stellwand nach draussen gelenkten Blick kombiniert (Musik- und Medienkünstler Samuel Gfeller). Und ein mysteriöser Plattenspieler existiert zwei Mal: Einmal tatsächlich und einmal als Projektion unten im Erdgeschoss.


Wort
Es gibt ein Konzert aus Gesten, Klängen und Worten (Leo Hofmann) und eine Lesung. Worte gibt es auch nebenan im Espace libre. Sprechen wird sie Livio Baumgartner. Ungewiss ist, wann sie erklingen, aber wenn, dann wird man das bis ins Treppenhaus des Kunsthauses hören. Der Espace libre ist leer geblieben, bis auf den Tisch, an dem er lesen wird. Nicht ganz grundlos wohl aus der Bibel der 68er-Revolte: «Die Gesellschaft des Spektakels». Ist der Künstler seinen «schönen Fotos» übdrüssig und dem System Kunst gegenüber kritischer geworden? Im Pasquart zeigt er dann aber trotzdem Videokunst.


Freiheit
Die Freiheit der Studenten könnte kaum grösser sein, treffen sich im Masterstudiengang «Contemporary Arts Practice» doch  Künstler, Musiker, Literaten und Performance-Künstler. Viele nennen das Nebeneinander der Künste als befruchtenden Faktor.
Aber so wie es Autoren gibt, die dem Wort nicht mehr trauen, gibt es auch Künstler, die der Kunst nicht mehr trauen. Das wirkt dann mitunter wie Arbeitsverweigerung. Und so wird sich für die Dozenten die Frage stellen, ob sie in diesem Jahr wirklich jedem das Diplom geben. Student Andreas Heusser nämlich will sich seinen Master in «Contemporary Arts Practice» mit einem veritablen «Nichts» verdienen.


Nichts
In der Ausstellung, die heute eröffnet, wird Heusser einfach nichts zeigen, kein Bild, keinen Ton, noch nicht einmal Präsenz, wie er dem BT auf Anfrage sagt. Seine Mitstudenten schütteln denn auch den Kopf. «Das kannst Du nicht machen», heisst es. Aber Heusser, der sich normalerweise auf politische Performances  versteht, lässt sich nicht beirren. Faulheit? Renitenz? Provokation?
Aber es ist nicht so, als hätte er sich gar nichts überlegt. Er plant sogar, ein ganzes Museum zu eröffnen, das «No Show Museum». Dieses Kunsthaus wird nur virtuell entstehen und frühestens in zwei Monaten eröffnen, um das «Nichts» nicht zu gefährden. Auf vier Stockwerken beschäftigt sich der Kurator dort mit den Ausformungen von «Nichts» in der Kunstgeschichte. Denn, eben, ganz neu ist seine «Nicht-Ausstellung» nicht, das gibt er zu. Hat doch schon ein Bruno Jakob Leinwände mit unsichtbaren Gedanken oder farblosem Wasser bepinselt. Oder Yves Klein «künstlerische Energie» verkauft, genauer: Luft. Es gab solche, die zu Vernissagen in leere Räume einluden und andere, die ihre Besucher vor verschlossenen Türen stehen liessen.


Kunst
Und dann gibt es noch jene Studenten, die «Etwas» zeigen. Ästhetische Positionen zum Beispiel, so wie Sara Gassmann mit ihrer Installation «Die Musik dauert an». Dort mischt sich Organisches mit geometrischer Form. Neongelbe Äste, die aus einem Bild in den Raum ragen, stehen einer Wand in Neonrosa gegenüber. Weil die Künstlerin das Fenster mit farbiger Filterfolie beklebt hat, wird alles in ein künstlich-phantastisches Licht getaucht.
Christian Knörr hat eine ganze Werbekampagne für den Damen-Duft «Angoisse» entworfen – Print, Internet, Plakat – die Ästhetik des Film noir, eine klassische Schönheit im schwarzen Trenchcoat. Das Ganze mit «finsterer Absicht», wie der Fotograf wissen lässt. Seine fiktive Werbung hinterfrage nämlich Marketingstrategien. Zumindest eines kann man weder den Renitenten noch den fleissigen Rudeltieren vorwerfen:  Mangel an Kreativität.     Clara Gauthey

 

 

Vier Orte, ein Programm
• Centre Pasquart: Diplomausstellung «Show me, Show me», Vernissage heute, 17 Uhr, offen Fr 14-18 Uhr sowie Sa/So 11-18 Uhr;
Sonntag, 15 Uhr, Lyrik und Prosa von Dagny Gioulami, Camille Luscher, Isabelle Sbrissa
• La Voirie, Brunngasse 1: Sonntag, 13 Uhr: Karin Ernst, bar jeder absicht – quasi, Konzert für Laptop und Regenbogenfolie
• HKB Burg, Saal Oper, morgen, 20 Uhr/Sonntag, 17 Uhr: Leo Hofmann, Konzert mit Gesten, Klängen, Wörtern
• Espace libre Livio Baumgartner: «non, c’est ne pas ici», Lesungen im Leeren, unangekündigt         gau
 
 

 

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