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Austellung

Die Sammlung ist zum Spielen da

Das Kunsthaus Pasquart bietet mit «Kaléidoscope» einen Einblick in seine Sammlungstätigkeit der letzten 30 Jahre. Mit neuen Werken konfrontiert, offenbaren auch die alten ungewohnte Facetten.

Jeanne Jacob hat der Skulptur «Form im Raum» (1991-1992) von Markus Raetz assoziativ 99 weitere Facetten hinzugefügt – sie nennt ihr Werk «Fluide Mickey».  copyright: matthias käser/bieler tagblatt

Tobias Graden

Im Foyer steht der Stammtisch, ein richtig währschafter aus massivem Holz, mit soliden Stühlen, einem Aschenbecher drauf und einer schmiedeisernen Lampe drüber. Er ist – im Kunsthaus Pasquart wenig verwunderlich – ein Kunstwerk. «San Kellers Stammtisch» stammt aus dem Jahr 2006, das Pasquart hat ihn im selben Jahr angekauft. Er ist nun Teil der Sammlung des Kunsthauses.
Das Pasquart hat dieses Jahr einen runden Geburtstag: 30 Jahre alt ist es. Eben so lange sammelt es auch. Mehr als 1800 Werke sind seither zusammengekommen, alle vier Jahre gestaltet das Kunsthaus eine Ausstellung mit dieser Sammlung. Das 30-Jahr-Jubiläum haben Direktorin Felicity Lunn und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Stefanie Gschwend als Co-Kuratorinnen zum Anlass genommen, wieder einen Ausschnitt aus der reichen Sammlung zu präsentieren. Besser gesagt: Mit der Sammlung zu spielen.

Halbnackt sitzt man nicht am Stammtisch
Das Prinzip der Ausstellung «Kaléidoscope. Perspektiven auf 30 Jahre Sammlung» zeigt sich dabei auch bereits im Foyer. An der Wand ist «San Kellers Stammtisch» nämlich ein Werk der jungen Künstlerin Jeanne Jacob gegenübergestellt. «Party, Party» heisst das Ölbild, es zeigt zwei leicht bekleidete Figuren, wie sie sicherlich nie an einem Beizenstammtisch zu sehen sein werden. Sie lehnen dermassen lässig unter Nachtclub-Lichtern, dass sie schon fast auseinanderzufallen drohen.
Lunn und Gschwend haben also keinen simplen Einblick ins Archiv im Sinn mit dieser Ausstellung, sondern sie lassen die Werke interagieren, sie kreieren Dialoge und Spannungsräume, indem sie ihre Perspektiven auf 30 Jahre Sammlung mit Positionen aktueller Bieler Künstlerinnen und Künstler erweitern. Sie setzen dabei nicht einfach auf den möglichen Gegensatz von Alt und Jung, sondern haben mit Simon Ledergeber (*1977), Katrin Hotz (*1976), Jeann Jacob (*1994) und Béatrice Gysin (*1947) Kunstschaffende verschiedener Generationen eingeladen, auf die angestammten Kunstwerke zu reagieren.

Das Filigrane und das Monumentale
Jeanne Jacob wiederum hat das mit Markus Raetz’ Skulptur «Form im Raum» aus den frühen 90er-Jahren getan. Das auf einem Sockel stehende Objekt sieht aus wie die Silhouette des markanten Kopfs von Mickey Mouse. Wenn man es denn aus dem «richtigen» Winkel betrachtet – aus anderen Perspektiven ergeben sich andere Assoziationen.
Jacob jedenfalls hat auch die Mausfigur gesehen, spielt in ihren 99 verschiedenen Bildern des neu geschaffenen Werks «Fluide Mickey» ebenso wie Raetz mit der Wahrnehmung, indem sie die Comic-Ikone immer wieder anders darstellt und so der sattsam bekannten Figur99 neue Facetten abgewinnt.
Dass aber auch die Werke aus der Sammlung allein für spannungsreiche Kontraste sorgen können, zeigt sich in der Galerie 2. Hier hängen grossformatige Bilder, die den Betrachter im ersten Moment sozusagen auf die jeweils andere Seite des Raumes drücken, wie zum Beispiel Susann Morris Werk «SunDial: Night Watch_Activity and Light 2010-2012 (Tilburg Version)». Der sperrige Titel steht für eine grafische Darstellung von Daten, welche die Künstlerin visualisiert und materialisiert hat. Während zwei Jahren hat Morris mit einer Activewatch ihre Schlaf- und Wachphasen aufgezeichnet und diese dann in kontrastierenden Farben in einen Wandteppich verwoben. Wo mehr schwarz ist, ist Winter, die beiden schmalen grauen Streifen zeigen eine Fehlfunktion der Uhr an, urplötzliche Verschiebungen die Reise in eine andere Zeitzone.
Im Detail offenbart das vordergründig wuchtige Werk also eine Fragilität, die durch ein hängendes Objekt umso präsenter wird:«Doppelpaar» von Markus Raetz ist ein zerbrechlich wirkendes, mehrteiliges Mobile aus vier einzelnen Skulpturen, das sich still und langsam bewegt und so wiederum unterschiedliche Formen annehmen kann. So wirkt der Raum, als habe hier  eine poetisch veranlagte Spinne ihr Netzlein zwischen zwei dicke Baumstämme gespannt.

Aus dem Chalet wird ein halbabstrakter Film
Die Sammlungstätigkeit des Pasquart hat sich in den 30 Jahren verändert. Standen zu Beginn vor allem Werke von Kunstschaffenden aus der Region im Vordergrund, so ist das Kunsthaus mit der Zeit dazu übergegangen, den Fächer zu öffnen und Werke anzukaufen, deren Urheberinnen und Urheber im Pasquart ausgestellt haben. Dies auch, um Doppelspurigkeiten mit der städtischen Kunstsammlung zu vermeiden.
Nichtsdestotrotz ist in «Kaléidoscope» heimisches Schaffen gut vertreten, etwa von Bruno Meier. Seine Landschaftsbilder aus den 60er-Jahren mit Motiven aus dem Wallis oder aus Südfrankreich, lassen sich in ihrer kargen Farbigkeit und ihrem Aufbau auch als Komposition von Flächen sehen. Hervé Graumanns Videoinstallation «Berglandschaft» aus dem Jahr 2007 verstärkt diesen Eindruck: Er hat ein Bild eines Holzchalets aus den Alpen zerschnitten, neu zusammengesetzt und quasi ähnlich wie dies auf Facebook mittlerweile möglich ist 3-D-artig animiert – aus einem einzigen Bild wird so ein semi-abstrakter Film.
Überhaupt: «Wir wollen mit der Ausstellung auch zeigen, dass Kunst je nach Kontext, in dem sie gezeigt wird, eine andere Wirkung haben kann», sagt Direktorin Felicity Lunn.

Das ist kein Wald, das ist ein obskures Werk
Zu Herzen genommen hat sich dieses Credo auch der in Zürich und Berlin arbeitende Künstler Till Velten. Er war 2018 mit einer Arbeit in der ausufernden, häuserübergreifenden Ausstellung «Zeitspuren» vertreten und hat dabei im Neuen Museum Biel die Sammlung der Stiftung Robert entdeckt. Die Aquarelle von Paul-André Robert haben es ihm ebenso angetan wie die Gouachen von Philippe Robert. In den entsprechenden Kontext gesetzt, seien diese Bilder nämlich mehr als «nur» Naturstudien, bisweilen sieht er in ihnen geradezu «obskure» Werke.
Also hat er ihnen mit dem kuratorischen Projekt «Tauschen» die entsprechende Bühne geschaffen. Er hat die Wände des Sammlungsraums im Pasquart in verschiedenen Farben neu bemalt, präsentiert dort einige Robert-Bilder und löst damit einen neuen Blick auf sie aus. Im Gegenzug hat er Werke aus der Pasquart-Sammlung im NMB platziert, ein aufgenommenes Interview mit den Kuratorinnen und Direktorinnen der beiden Häuser reflektiert den Vorgang.
Natürlich haben Felicity Lunn und Stefanie Gschwend für «Kaléidoscope» nur einen kleinen Teil der Sammlung hervorgeholt, die Fülle ist gleichwohl gross. Was ein blosser Pflichttermin sein könnte, wird durch den gewählten Ansatz aber zu einer spielerischen, kurzweiligen Endteckungsreise. 

Info: Die Ausstellung öffnet heute um 11 Uhr. Eine Vernissage findet nicht statt, aber heute ist der Eintritt gratis. Morgen um 14 Uhr sprechen die KünstlerinnenBéatrice Gysin, Katrin Hotz und Jeanne Jacob mit den Co-Kuratorinnen. Die Schau dauert bis zum 6. September.

 

Monumentale Blicke nach Algerien
Das Photoforum Pasquart hat mit dem Kunsthaus teilweise die Räume getauscht. Es zeigt seine neue Ausstellung «Narratives From Algeria» in der Salle Poma und die Bilder in drei monumentalen Projektionen. Die Ausstellung gibt einen Überblick über die algerische Fotografie und zeigt mit Beiträgen von über 30 Fotografinnen und Fotografen, die zur Mehrheit auch heute in Algerien leben, ihre Vielfalt auf. Auch der Blick aus der Diaspora fehlt nicht. Emilien Itim zum Beispiel öffnet das Fotoalbum seiner Familie – sein Vater ist in den 60er-Jahren in die Schweiz gekommen. Ein historischer Abriss im Vorraum führt nicht nur in die jüngere Geschichte Algeriens ein, sondern verdeutlicht auch, dass selbst vordergründig harmlose Bilder wie jenes einer Oase nicht einem unschuldigen, sondern einem kolonialen Blick entstammen. tg
Info: Ein umfassender Artikel zur Ausstellung folgt.

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