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Porträt

«Die Selbstzensur ist überall»

Das Kollektiv Plonk&Replonk aus La Chaux-de-Fonds hat schon öfters Bieler Klischees aufs Korn genommen. 
Einst thematisierte es «Schnauzbart-Epidemien», nun wird die eine, spezielle Epidemie zum Thema. Ein Atelierbesuch.

Jacques Froidevaux (65) in seinem Atelier. Bild: Gau

Clara Gauthey

«Plonk» macht es, wenn jemand den Nagel auf den Kopf trifft. «Replonk», wenn man morgens als Letzter im Büro ankommt und erst viele Kaffeetassen später im Arbeitsmodus ist. Zusammen ergibt das Plonk&Replonk. Die selbsterklärten Kreateure «öffentlicher Nutzlosigkeit» machen ihrem Titel alle Ehre. Denn wer braucht schon so etwas wie eine Uhr, die nur Minuten anzeigt, die «Plonkwatch», weil wir angeblich alle wissen, was die Stunde geschlagen hat? Wer braucht schon buchstäbliche Schneekanonen für kriegerische Auseinandersetzung mit Kampfbibern oder einen Gartenzwerg, gefangen gehalten in einem Betonquader?

 

Klischee und Anti-Mythos 
als Pole

Das Westschweizer Kollektiv Plonk&Replonk rund um die Brüder Jacques und Hubert Froidevaux verändert durch seine Montagen an historischen Fotos die Postkartenidylle Schweiz in einen augenzwinkernden Anti-Mythos, in dem ein schnauzbärtiger, hochdekorierter General schon mal im Ballett-Tutu antanzt und Rückwärtskutschen in der Mitte durchbrechen, um aller technologischen Effizienz Hohn zu sprechen, während Sportler Medaillen holen, in Sportarten, die es ohne sie kaum gäbe.

Traditionsreiche, französische Historie und manches Helden-Denkmal nehmen sie mit (un-sinnig) veränderten Schwarz-Weiss-Fotos seit den späten 90er-Jahren auf die Schippe. Das ist ulkig, absurd, manchmal flach. Dann wieder poetisch und tiefsinnig. Irgendwo zwischen Dada, Salvador Dalí und Monty Python. Zwischen kitschigen Glanzbildern und kühler Blutrünstigkeit mit einem guten Schuss sanfter Ironie.

 

Rauchschwaden
und Wackel-Dackel

Wer ihr Atelier an der Rue de la Serre in La Chaux-de-Fonds betritt, muss sich erst einmal durch Rauchwolken kämpfen – und davor durch das einbahnstrassenreiche, schachbrettartige Strassennetz, in dem alles verwirrend gleich aussieht. Auf einem ewig langen Tisch stapeln sich dann Aschenbecher, ein halb leeres Weinglas vom Vortag, Wackel-Dackel, Papierfetzen und Erfindungen. Darunter die weltweit vermutlich einzige «Haarspalter-Maschine», welche effektiv ein Haar vierteilen kann. Bravo! Und ja, offenbar gibt es tatsächlich Nachfrage nach maschineller Haarspalterei, denn das Ding verkauft sich gar nicht übel.

Neuerdings gibt es auch eine skulpturale Version der gehörnten Fabelgestalt Dahu, von dem Legenden unterschiedliche Beschreibungen abgeben. Ein Tier, das zum Humor des Kollektivs passt, denn es hat ungleichmässig lange Läufe, um besser am Berghang bestehen zu können. Allerdings legen sich Plonk&Replonk nicht fest, wie der/das gefangene Dahu aussieht, präsentieren sie das Tier doch teils hinter einem Bretterkasten.

Auf einer Hintertreppe trifft sich eine Auswahl einbetonierter Gartenzwerge des Künstlerkollektivs zum Gruppenfoto, eine einbetonierte Barbie ist auch dabei. Und ein Weihnachtsmann mit Zipfelmütze und der Aufschrift «Le père noël c’est du beton», frei übersetzt mit «Der Weihnachtsmann ist der Hammer». Zuletzt Le Corbusiers Brille auf Betonquadrat.

 

Biel und die Brüder: 
Eine lange Geschichte

Von der Wand grinst ein riesiger Nilpferdkopf aus Plastik und ein Hochzeitsfoto zeigt erstmals die Frau des Fernseh-Detektivs Columbo – Mrs. Colombo – hinter einem grossen Brautstrauss versteckt. Als Jacques Froidevaux 17 Jahre alt war, besuchte er mit seinem Bieler Cousin die Coupole, das «St. Gervais». «Lange Haare hatten wir», erinnert sich der heute 65-Jährige, der seit 25 Jahren in La Chaux-de-Fonds lebt und sein Haar immer noch oder wieder eher lang trägt. Ein Zeichen der Rebellion gegen das zeitweise allzu katholisch geprägte Dorf Le Noirmont ihrer Kindheit in den Freibergen? Sein zwei Jahre jüngerer Bruder Hubert, genannt Bebert, verbringt mittlerweile einen guten Teil des Jahres bei seiner Freundin in Portugal. Das Brüderpaar arbeitet nach gewissen Ermüdungserscheinungen getrennt, aber weiter unter dem alten Label. Jugendfreund Miguel-Angel Morales ist dabei, ein bilinguer Berner Fotograf, der übersetzt, der Grafiker Dimitri Wenker. Ohnehin lässt sich kaum sagen, wer welches Werk geschaffen hat.

 

Ausbildung mit Isabelle L. unter Urs Dickerhof

Während seiner Ausbildungszeit von 1982 bis 1988 lebte Hubert Froidevaux in Biel, wo er die Grafikfachklasse der Kunstgewerbeschule Biel an der Wasenstrasse besuchte. In seiner Klasse waren unter anderem die Künstlerin Isabelle Laubscher (MS Bastian/Isabelle L.) oder Peter Lüthi, Grafiker bei der Bieler Agentur Kong. «Urs Dickerhof hat viel Gutes für diese Schule getan, aber in der Jurafrage haben wir uns überworfen», erinnert sich Hubert.

Jacques blieb als Grafiker Autodidakt mit einem Hang zum Handwerklichen, machte erst eine kaufmännische Ausbildung, dann eine zum Zimmermann, um das väterliche Geschäft in den Freibergen weiterzuführen, was allerdings nicht lange funktionierte.

Als sich die Brüder Mitte der 90er-Jahre in La Chaux-de-Fonds mit ihrem Schulfreund Miguel Morales wiederfanden, gründeten sie das Kollektiv. Seither beglücken sie Frankreich, Belgien und die französische Schweiz mit ihren Postkarten, Kalendern, Büchern und skurrilen Skulpturen. Ihr bislang grösstes Kunst-am-Bau-Projekt, ein ewiglanger Fries, ziert seit 2019 den neu angelegten Bahnhof ihrer Wahlheimat La Chaux-de-Fonds. Das Theaterstück «Dernier thé à Baden-Baden» oder ein Kurzfilm beim Sender «Arte» zeigen die poetisch-surrealen «Plonkerien» ebenso wie das Ende 2017 eröffnete kleine «Musée du pire» von Plonk&Replonk in Porrentruy. Grössere Ausstellungen fanden unter anderem im Cartoonmuseum Basel als Retrospektive 2014 und im Militärmuseum in Colombier 2010 statt.

 

«Checkpoint Rösti» 
am Zentralplatz

Ihre Postkartenserie zur Sprachgrenze, die Plonk&Replonk einst für das Bieler Forum für Zweisprachigkeit gestaltet hatten, ist lange vergriffen. Unvergessen indes, wie sie Bieler Klischees und surreale Verkehrsflüsse der Stadt Biel gestalten. Da ist zum Beispiel diese Karte, welche den Dauernebel aufs Korn nimmt. Sie zeigt Biel «im Oktober, November, Dezember, Januar, Februar» von oben. Und, klar, viel sieht man darauf nicht. Der Röstigraben verläuft als Erdspalte durch den Zentralplatz, an dem sich Jacques Froidevaux durchaus auch einen «Checkpoint Rösti» mit Militärpolizei vorstellen kann: «Achtung! Sie verlassen jetzt den frankophonen Sektor!»

Auf der St. Petersinsel lassen sie den «letzten Wilden» mit Keule auf ein Opfer warten, der Bielersee wird von mutierten Riesenmöwen überfallen, während die Magglingenbahn einfach mitten durch die Bieler Bahnhofstrasse gondelt. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Der gesellschaftlichen Realität hingegen schon, mit Ängsten, nicht nur den viralen. «Es beunruhigt mich, dass die Selbstzensur heute derart stark ist», sagt Jacques. Über vieles könne kaum mehr offen gesprochen werden.

Aber selbst auf Corona gibt es augenzwinkernde Antworten. Da steht auf einem Bild der Theaterschauspieler, «brûler les planches» (übersetzt: «Bretter verbrennen», sprich «Erfolge im Theater feiern») war gestern, jetzt nutzen die Bretter, die die Welt bedeuten, nur noch als Brennmaterial. Hält immerhin warm. Und das Fondue am Jahresende lässt sich mit zwei Meter langen Gabeln geniessen, womit dem Abstandhalten Genüge getan wäre.

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