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Literatur

Die Tote im Kühlraum der Pastafabrik

Die Baselbieter Schriftstellerin Sandra Hughes startet mit «Tessiner Verwicklungen – Der erste Fall für Tschopp & Bianchi» eine neue Krimireihe mit Lokalbezug. Sie legt damit ein vergnügliches Spiel mit Klischees und falschen Fährten vor.

Idyllisch ist es, doch gemordet wird auch hier:Sandra Hughes’ neue Krimireihe startet im Tessiner Dörfchen Meride. Bild: Keystone

Maria Künzli, SDA

23 Tage Urlaub muss Emma Tschopp in diesem Jahr noch beziehen, sonst verfallen sie. Also fährt die Kriminalpolizistin mit Hund und Campingbus vom Baselbiet ins Tessin. Die 51-Jährige will das Mendrisiotto erkunden, Dörfer abseits der Touristen-Hotspots besuchen. Doch daraus wird nichts, denn da liegt eines Morgens eine tote Frau im Kühlraum der Pastafabrik der Familie Savelli in Meride. Und da die Tote zuletzt in Basel-Landschaft gewohnt hat, muss Emma Tschopp den Commissario Marco Bianchi bei den Ermittlungen unterstützen.

Sie führt ihr Publikum
an der Nase herum

«Tessiner Verwicklungen – Der erste Fall für Tschopp & Bianchi» ist nach mehreren Romanen («Zimmer 307», «Fallen») der erste Krimi der Baselbieter Autorin Sandra Hughes. Erzählt wird aus mehreren Perspektiven, verschiedene Erzählstränge überlappen sich. Geschickt legt Hughes falsche Fährten. Die Leserin ist immer nah bei Emma Tschopp, und doch weiss man nicht immer alles, was sie weiss. Und Emma Tschopp weiss nicht immer alles, was die Lesenden wissen.

Die Autorin scheint eine diebische Freude daran zu haben, ihr Lesepublikum an der Nase herumzuführen. «Das stimmt», sagt Sandra Hughes gegenüber Keystone-SDA und lacht. «Es soll ja bis zum Schluss spannend sein.»

Mit Plakaten und Zettelchen die Beziehungen sortiert

Dennoch ist die Geschichte am Ende in sich logisch und nachvollziehbar. «Normalerweise schreibe ich den Figuren intuitiv hinterher, als würde ich einen Film schauen. Ich habe den fertigen Plot vor dem Schreiben nie bereits im Kopf. Das hat sich bei den Romanen stets bewährt. Doch bei einem Krimi muss ich den Schluss kennen und die Geschichte vom Ende her denken.» Mit Plakaten und Zettelchen habe sie die Figuren entwickelt und die Beziehungen zueinander aufgezeichnet, um selbst den Überblick nicht zu verlieren.

Denn: Verstrickungen und Verdächtige gibt es im Mordfall Stefanie Schwendener zuhauf, sämtliche Savellis könnten es gewesen sein. Ganz Meride rätselt und jeder Dorfbewohner hat eine eigene Theorie, wie die «Zücchin» (Tessiner Ausdruck für Deutschweizer) umgekommen sein könnte.

Und am Ende ist es doch ganz anders. Es geht um Rache, um dunkle Familiengeheimnisse, um einen Kinderheimskandal und darum, wie man sich mit der eigenen Geschichte versöhnen kann. Trotz der Wendungen, Perspektivenwechsel und zahlreichen Figuren liest sich «Tessiner Verwicklungen» süffig und leicht. Die Sprache ist schnörkellos und dennoch bildreich. Mit liebevollem Blick beschreibt Sandra Hughes das Tessiner Dorf, die Pastafamilie Savelli und das Ermittlerduo Tschopp und Bianchi – und spielt mit Klischees.

Er kämpft gegen den Bauch und Frauen im Dienst

Schon bevor Emma Tschopp ihren Tessiner Kollegen kennen lernt, glaubt sie eine genaue Vorstellung vom «Beamten aus dem Tessin» zu haben: «Das ist bestimmt so ein richtiger Commissario mit dunklen Tränensäcken und zu enger Uniform. Er kämpft gegen einen wachsenden Bauch und Frauen im Dienst.»

Doch der jüngere, gutaussehende, etwas langsame und hochanständige Bianchi ist das pure Gegenteil. Emma Tschopp, geborene Bellucci, ist ihm mit ihrer direkten, ungeduldigen, manchmal aufbrausenden Art immer einen Schritt voraus, auch, weil sie «den Menschen alles zutraut».

Auch wenn also die Lektüre dieses ersten Hughes-Krimis Freude macht, stellt sich die Frage: Verträgt der übersättigte Krimi-Markt eine weitere Reihe mit Lokalbezug? «Das müssen die Leserinnen und Leser entscheiden», sagt die Autorin Hughes. Sie mache sich darüber keine Gedanken. «Schreiben ist mir ein inneres Bedürfnis und nie Berechnung. Es macht grossen Spass, die Welt aus der Sicht von Emma Tschopp zu erkunden.»

Sandra Hughes schreibt bereits am zweiten Fall. Und so viel sei verraten: Die 23 Tage Urlaub werden verfallen.

Info: Die Geschichte in «Tessiner Verwicklungen» ist zwar frei erfunden, doch es gibt wahre Begebenheiten, die Sandra Hughes zu ihrem Krimi inspiriert haben.

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Wahre Begebenheiten

Die Pastafamilie Savelli existiert zwar nicht, aber: «Es gibt in der Toscana die kleine, traditionsreiche Pastamanufaktur Martelli. Vor Jahren habe ich an einer Führung durch den Familienbetrieb teilgenommen. Mehrere Generationen leben und arbeiten dort auf engstem Raum, das hat mich inspiriert», sagt Sandra Hughes gegenüber Keystone-SDA. Der Waisenhausskandal, der im Krimi indirekt eine Rolle spielt, ist angelehnt an die Missbrauchsfälle im katholischen Kinderheim Rathausen im Kanton Luzern: Das sogenannte «Kinderzuchthaus» wurde bis 1972 von Ordensschwestern mit harter Hand geführt. Vor ein paar Jahren wurden die Ereignisse öffentlich bekannt. «Diese Geschichte hat mich tief getroffen und lange beschäftigt», sagt Sandra Hughes. «Die Frage, wozu Menschen fähig sind, was sie sich gegenseitig antun können, ist eine Antriebsfeder meines Schreibens.» Maria Künzli

Stichwörter: Literatur, Mordfall, Tessin

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