Sie sind hier

Abo

"Copy-Paste"

Die Zukunft erwürfeln

Wie entsteht Zukunft? Genauer: Wie entstehen Zukünfte? Wie kommt das Alte in das Neue? Gibt es das Neue überhaupt? Diesen Fragen widmet sich Roman Tschäppelers Ausstellung «Copy-Paste».

Roman Tschäppeler, Zukunftswürfler, in den Elementen seiner Installation. copyright: olivier gresset/bieler tagblatt

Tobias Graden

Das Szenario: «Das Regiotram wird 2016 vom Volk definitiv abgelehnt. Als Alternative dazu wird 2024 das längste Rollband der Welt vom Zentralplatz bis zu den Stades de Bienne in Betrieb genommen.» Der Überbegriff dazu:Urban De-Vehicle-ing.
Oder: «Das Projekt Agglolac trägt ab 2024 den Übernamen ‹Little Singapore›:Geplant ist das erste steuerfreie Micro-Freihandelsquartier Europas.»Der Überbegriff dazu: Micro-Free-Onomy.
Ist das bloss regionale Zukunftsmusik, Fantasterei, in zeitgeistig-wohlklingende Worthülsen verpackt? Gewiss. Doch Roman Tschäppeler kontert: Man nehme das Beispiel «Social Media». Die Begriffe «social» und «media» gibt es schon lange, doch erst seit wenigen Jahren, nämlich seit der Existenz der sozialen Medien, haben wir einen Begriff davon, was sie in ihrer Kombination bedeuten.
Das ist, vereinfacht gesagt, das Prinzip von Tschäppelers Ausstellung «Copy-Paste», die morgen im Espace Libre des Centre Pasquart startet.


Scrabble in 3D


Die Ausstellung besteht aus zahlreichen Würfeln, die auf jeder Seite mit Fetzen von (englischen) Schlagwort-Begriffen bedruckt sind. Hinzu kommen einige Würfel mit spezifisch auf Biel zugeschnittenen Inhalten. Ç’est tout – und schon kann das Spiel beginnen. Die Besucher können die Würfel neu anordnen, neue Begriffe erfinden und damit mögliche Zukunftsszenarien ersinnen. Was wohl ein Mensch in den 70er-Jahren geantwortet hätte, wenn er um eine Interpretation des Begriffs «urban gardening» gebeten worden wäre? Eben. Genauso lassen sich mögliche Zukünfte denken, nicht zwingend ausgehend von absehbaren Entwicklungen, sondern eben durch neuartige Kombinationen von Begriffen und Wortfetzen. Mit der Installation «Combicubes» lassen sich Zukünfte erwürfeln, es ist eine Art Scrabble in 3D – Wörter, die heute noch keinen Sinn machen, beschreiben in Zukunft womöglich präzise eine Entwicklung.


Es kann nichts Neues geben


So weit, so einfach. Der Installation zugrunde liegen weitaus komplexere Gedanken und Theorien, und sie wirft auf spielerische Weise grundlegende Fragestellungen auf. Diese lassen sich auf eine Frage verdichten: Gibt es das Neue überhaupt? Nein, lautet die plausible Antwort, zumindest wenn man das Neue als etwas gänzlich Neues, noch nie Dagewesenes versteht. Roman Tschäppeler hat in seiner an der Hochschule der Künste Zürich eingereichten Masterarbeit die Installation theoretisch hergeleitet. «Remix/Demix. Eine theoretische Untersuchung kombinatorischer Zukunftsgestaltung» bescchäftigt sich mit der Frage:«Was ist die Vergangenheit der Zukunft?» Tschäppeler kommt (sich auf mehrere Autoren berufend) vereinfacht ausgedrückt zum Schluss, dass es nichts rein Neues geben kann. Vielmehr besteht jegliche Entwicklung, jegliche Innovation darin, Bestehendes zu nehmen, umzuwerten, zu kombinieren. Was als «neu» empfunden wird, ist also nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine «kreative Kopie». Das gelte selbst für bahnbrechende Erfindungen wie den Buchdruck, zitiert Tschäppeler den US-Filmemacher Kirby Ferguson («Everything is a Remix»): Die Komponenten (die Predigt, das Papier, Einzelstempel) für Gutenbergs Druckpresse seien schon seit Jahrhunderten bekannt gewesen – doch ihre Kombination habe ab 1440 den Buchdruck ermöglicht.


«Absage an das Genie»


«Alles baut schon auf etwas auf», sagt Tschäppeler, und in seiner Arbeit findet sich der Begriff der «Absage an das Genie». Mit solchen Gedanken, die sich in Tschäppelers Installation manifestieren, geht also eine Entmystifizierung der Schlagworte Neu! Innovation! Einzigartig! einher. Tschäppeler geht es aber mitnichten um eine destruktive Haltung. Vielmehr weist er auf den Wert der Kulturtechnik des kreativen Kopierens, von Copy/Paste und Remix/Demix hin, und er macht deutlich, wie stark wir uns «in einer aus sich selber aufbauenden Kultur befinden», wie er schreibt. Beispiele dafür werden in Referaten erläutert (siehe Infobox). Breit bekannt dürfte die Technik des Samplings sein, auf die DJ und ProduzentIlarius eingehen wird. Dass sich Musiker stark auf bereits Vorhandenes berufen, ist aber nicht erst seit dem Hip Hop so. Kirby Ferguson wies dies etwa auch für das Werk Bob Dylans nach.
Zukunftsforschung ist also auch Zukunftsgestaltung. Wer weiss, vielleicht ist es tatsächlich in einigen Jahren soweit, und «TeleBielingue» sendet unter dem Stichwort «Google powered information crowd sourcing»tatsächlich als erste TV-Station mittels Google-Algorithmus nur noch Inhalte aus lokalen sozialen Medien.

 

Rahmenprogramm


Am 10. Juni, 18 Uhr:
• Roman Tschäppeler behauptet, dass mann nur Altes im Neuen findet
• Detlef Gürtler (GDI) beweist, dass sich Zukunft wiederholf
• Franziska Schutzbach (Gender Studies Uni Basel) sagt, warum niemand unabhängig ist
Am 17. Juni, 18 Uhr:
• Karin Hilzinger (Swisscom) argumentiert, dass man Arbeitsräume mit Zitaten aus der Vergangenheit bebildern soll
• Simon Lüthi (Architekt) erzählt, was in unserem Land aus Sicht eines Architekten bewahrt werden sollte
• Marc Kaufmann (DJ Ilarius) zeigt, wie alte Musik in neue Musik kommt
Am 20. Juni, 18 Uhr:
• Mikael Krogerus (Autor) führt alle modernen schwedischen Kriminalromane auf einen einzigen realen Mord zurück
• Simon Baumann (Filmemacher) erstellt eine Liste mit den Zutaten des Schweizer Dokumentarfilms
• Olivier Rossel (pixelpunk.ch) gibt Einblick in seine Sammlung an Denkabfall, aus der er neue Kunst produziert    tg
Info: Ausstellung im Espace Libre des Centre Pasquart vom 7. bis 20. Juni, Di 18-21 Uhr, Mi-Fr 14-18 Uhr, Sa-So 11-18 Uhr.

Nachrichten zu Kultur »