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Musik

Durch Raum und Zeit tanzende Klänge

Bassklarinette trifft auf Spinett: «incunabulum» von Hans Koch und Jacques Demierre ist alles andere
als ein gewöhnliches Duo-Album. Es klingt, als hätten sich die beiden an Alter Musik orientiert.

Hans Koch und Jacques Demierre laden ihre Hörer auf eine ungewöhnliche Klangreise ein. Bild: zvg/Alberto Duarte/Ralph Kuhn

Rudolf Amstutz

«but there were no words» heisst das erste Stück auf dem Album «incunabulum» von Hans Koch und Jacques Demierre. Und es klingt, als ob Demierre einen Schwarm Wespen in seinem Spinett eingeschlossen hätte und Koch mit röchelnden Tönen aus der Bassklarinette versuchen würde, ihnen den Garaus zu machen. Umso erstaunlicher, dass nach diesem eröffnenden Klanggewitter eine fast schon poetische Stille um sich greift. Pointierte, allerfeinste Klaviertöne und darüber schwebende, lyrisch geblasene Klangfragmente. «but we weren’t prepared to enter this game of musical houses» heisst das Stück und dessen Name ist ebenso Programm wie jene der sechs folgenden.

Nicht einfach drauflos
«incunabulum» ist in mehrfacher Hinsicht ein aussergewöhnliches Tondokument eines Dialogs von zwei der international renommiertesten Schweizer Protagonisten der freien Musik. So unterscheidet es sich etwa markant von zahlreichen anderen improvisierten Duo-Aufnahmen in seiner konzeptionellen Strenge. «Zuerst spielten wir einfach drauflos», sagt Hans Koch, «doch wir merkten relativ rasch, dass wir so nicht zu einem befriedigenden Resultat kommen würden.»

Also entschieden sich die beiden, die Uhr für jede Improvisation auf fünf Minuten zu stellen. «Wir wollten klingende, in sich stimmige Flächen erschaffen», erklärt Koch das Ziel, an dessen Ende erst die Entscheidung stand, daraus ein Album zu machen. «Ich war ja zunächst skeptisch, weil ich mich immer wieder hinterfrage», sagt Koch und lächelt, «aber Jacques war vom Resultat begeistert.»

Koch und Demierre hatten schon lange den Wunsch, ein gemeinsames Projekt zu realisieren. «Jacques war ja in den vergangenen Jahren oft Gast bei unseren Joyful-Noise-Konzerten.» Und so kam die Idee, sich einmal im Bieler Musikclub «Le Singe» nur im Duo aufeinander einzulassen. Am Dienstag ist der Club wie das Restaurant geschlossen, es herrscht dort absolute Stille. «Toningenieur Oli Dutton hat alles vorbereitet und uns dann alleine gelassen. Das war grossartig», schwärmt Koch. «Die Atmosphäre dort ist im Gegensatz zu einem kalten Aufnahmestudio ungemein inspirierend.»

Er wird eins mit dem Spinett
Es ist ein ungewöhnlicher pas de deux, den die beiden vollbrachten. Ein Spinett ist äusserst selten im Bereich der freien Musik anzutreffen. «Als ich vor Jahren an einem Projekt namens ‹Blanc› arbeitete, kam ich in Kontakt mit diesem aussergewöhnlichen Instrument», erklärt Demierre. «Seitdem hat es mich nie mehr losgelassen – seine einzigartige Konstruktion und sein unendliches Potenzial – einfach unglaublich!» Die Faszination, die Sorgfalt und die selbst in kraftvollsten Momenten spürbare Zärtlichkeit, die Demierre seinem Instrument entgegenbringt, lässt sich auch bei den Pianopassagen nachhören.

«Jacques imponiert mir», schwärmt Koch, «wie er denkt, wie er spielt. Er sitzt vor dem Stück oft minutenlang da und baut ein Verhältnis mit seinem Instrument auf, wird mit ihm eins. Das ist fantastisch.»

Und Demierre unterstreicht, dass der Respekt auf Gegenseitigkeit beruht, wenn er sagt: «Ich denke, dass Hans und ich die Lust teilen, musikalisch über unsere eigenen Ansichten oder Vorstellungen hinauszugehen.»

Klingende Einblattdrucke
«incunabulum» ist ein bestechendes Beispiel dafür geworden, dass sich zwei Routiniers im Zusammenspiel auf ungewohntes Terrain wagen. «Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich um jeden Preis das Melodische umgehen möchte» gesteht Koch, «doch hier war dies nicht so.» Obwohl Musiker selten ihre eigenen Alben wieder hören, war das in diesem Fall anders. Und beide schienen verblüfft, dass diese im Augenblick entstandenen Klänge sich an gewissen Stellen anhören, als hätten sie sich an Alter Musik orientiert. Deshalb auch der Albumtitel «incunabulum». Inkunabeln sind sogenannte Einblattdrucke, die mit beweglichen Lettern noch vor der Gutenberg-Bibel gefertigt wurden. Acht solcher klingender Einblattdrucke hat das Duo Koch/Demierre in feinster Hand- und Blasarbeit erschaffen.

Die Titel der einzelnen Stücke entstammen dem Buch «i never knew what time it was» des Dichters, Kunstkritiker und Künstlers David Antin. «Darin geht es um die verschiedenen zeitlichen Wahrnehmungen, die jeder zu jeder Zeit erleben kann», sagt Demierre. Unsere subjektive Wahrnehmung sorgt dafür, dass «incunabulum» – wie Demierre unterstreicht – kein endgültiges Ergebnis darstellt, sondern vielmehr sich beim Hörerlebnis weiter verändert. Es ist eine Einladung zu einer klanglichen Reise, gespickt mit einer Topographie, die immer wieder mit ihrer Komplexität zwischen felsigem Grund und poetischer Sanftheit zu überraschen vermag. Oder wie uns der Titel des letzten und achten Stücks auf «incunabulum» verspricht: «but you know that even before you see the pyramids you’re going to take a camel ride».

Info: Hans Koch und Jacques 
Demierre, «incunabulum», Herbal Records, erhältlich für 20 Franken via snah_hcok@bluewin.ch.
Hans Koch live: morgen Abend, 20.30 Uhr, «Le Singe», Biel. Mit Gaudenz Badrutt (Electronics) und Jonas Kocher (Akkordeon).

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