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Biel

Durchhalteparolen aus dem Gestrüpp

«Jeden Tag eine Geschichte» hat Jean-Pierre Rochat von Juni bis September 2019 auf der Robert-Walser-Sculpture geschrieben. Sein jetzt publiziertes Buch führt uns ins Innere der Sculpture, die für manche nur «ein Gschtrüpp» war.

Jean-Pierre Rochat textete im Sommer 2019 auf der Robert-Walser-Sculpture Gechichten wie am Fliessband. Bild: Pedro Rodrigues/a

Clara Gauthey

Der in Biel aufgewachsene Autor Jean-Pierre Rochat schreibt seit 40 Jahren, der andere Teil, der Bauer, wurde mit 65 pensioniert. Er hat schon manche Lesung abgehalten, nun also auch auf dieser Robert-Walser-Sculpture 2019, im Regen. In der Hitze. Mit dem Hintern am Plastikstuhl klebend. Mit dem Regen als einzigem Zuhörer. Er wäre da wohl auch nicht unbedingt gewesen, wenn er da nicht gewesen wäre. Aber jetzt ist er nun einmal da. Und überzeugt andere davon. Und manchmal auch sich selbst.

«Und wenn es regnet?, hatte ich die Verantwortliche gefragt und sie hatte geantwortet, das macht nichts, der Regen ist auch eine Person. Ich habe versucht, den Regen als Person zu schlucken, es war nicht einfach, ein ziemlicher Krampf. Und wenn nur drei Zuhörer unter einem Regenschirm bleiben? Das wird eine einzigartige Erfahrung, meinte sie entschieden, für die, für dich, zu dritt unter dem Regenschirm, die werden sich bestimmt ein Leben lang daran erinnern. Erinnerst du dich? An was? An die Lesung, wo nur drei Nasen gekommen sind? Und es dem Regenschirm schon fast zu viel wurde.»

 

In 80 Geschichten einmal
um die Walser-Sculpture

Es werde dem Sturm bei jedem Wellengang getrotzt, «bleiben Sie am Ruder!». Also heizt sich Monsieur Rochat selber ein und holt ein paar Kastanien aus dem Feuer. Nicht nur bei mässig besuchten Lesungen, auch mit der täglichen Niederschrift einer kleinen Geschichte. Vom 18. Juni bis am 8. September 2019 entstehen 80 kurze Geschichten für die Sculpture. Jetzt sind sie als zweisprachiges Buch erschienen, mit «Schnappschüssen» der Bieler Verlegerin selbst.

 

Damit will er,
 will sie nichts zu tun haben

Wer sie gelesen hat, dem dürfte sich der Geist des Künstlers Thomas Hirschhorn, vielleicht auch der des Bieler Autors Robert Walser, immerhin in Ansätzen erschlossen haben. Selbst, wenn man die 80 Tage ausserhalb, beziehungsweise durch die Sculpture hindurchmarschierend verbracht hat.

Schimpfend vielleicht, wie manche: «Es ist halt ein Gschtrüpp!» Linkes Gesindel und Drogen, vermutlich. Man geht vorbei, denn damit will er, will sie nichts zu tun haben. Der Politiker sagt: «Spleen eines neurotischen Halbwüchsigen. Sinnloses Gebastel, frei von jeglichem künstlerischen Sachverstand», denn für ihn, sie, sieht Kunst eben anders aus. Er fragt, «was denn diese hepp-klepp zusammengefügten Bretter mit Walder!, ja richtig, Walder hat er gesagt!, zu tun hätten.» Ja, was denn eigentlich?

Um dieses was und warum kreisen die Geschichten Rochats, aber nicht alle. Da läuft auch mal eine Ziege durchs Bild. Wird über das Altern, das Sterben geschrieben (auch das von Walser, aber längst nicht nur) oder die Begeisterung für hübsche Kellnerinnen (nicht nur jene Walsers, auch die Ramuz’). Oder seine alte, vergessliche Mutter fragt, ob er denn da auf dem Bahnhofplatz Marronis verkaufe.

«die Erstickten atmen auf, die Wortscheuen entdecken ihre Stimmgewalt, die Kunst ermöglicht ihnen zu sprechen, sich auszudrücken, anzugreifen, vielleicht ihre Chance zu ergreifen».

Jean-Pierre Rochat textet, wie andere Paletten zusammentackern. Er textet, was das Zeug hält, Schichtarbeit, Fliessbandproduktion, Text für Tag, Tag für Text. Aber die drei Monate in ein paar Sätzen für eine Journalistin zusammenfassen? Unmöglich, denn auch auf 150 Seiten ist nicht alles gesagt. Und ohnehin hat Rochat seine Eigenheiten. Es ist ihm zu doof. Es ist ihm aber wohl auch nicht geheuer, denn der Verdacht ist: «Wenn dir jemand eine Erklärung abverlangt, geschieht dies, um dich einzusperren, wenn man dir sagt, erklären Sie mir das, dann brauchst du nur die Ohren zu spitzen und du hörst im Hintergrund den Vorschlaghammer auf die Pflöcke donnern, die den Zaun um dich herum abstecken.»

Da schreibt er lieber über eine fiktive Begegnung mit Robert Walser im Agrarland, im Gespräch über neumodische Landmaschinen. Beschreibt Aufeinandertreffen, schreibt vom Hirschhorn, von der Gnade, dem Glück, dem man begegnen konnte, wenn man wollte, auf dieser Installation. Von Menschen und von Arschlöchern. Von allerlei Typen, von Collette zum Beispiel, die nie kommen wird, weil sie «auf sowas allergisch ist». Und der schreibt jetzt der Rochat auch noch einen Brief, den Brief an Colette, die den Namen vieler trägt. All jener eben, die nicht kamen, jänu, er war ja auch nicht überall.

 

Die Brücke über dem Fluss 
der Pendler

«kleine Gedankenfische bedenkenlos ausgesetzt werden können».

Ist es Kunst? Natürlich, würde Rochat sagen. «Weil die Kunst die Macht über die seelenlose Materie ergreift, der Materie einen Geist einflösst. Kunst ist Widerstand gegen die Dampfwalze der Entmenschlichung.

Info: Jean-Pierre Rochat, «Jeden Tag eine Geschichte» («Chaque jour une histoire»), aus dem Französischen von Yves Raeber, zweisprachige Ausgabe, Verlag Die Brotsuppe, Biel, 2021, 25 Franken.

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