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Oper

Ein Genie kündigt sich an

Theater Orchester Biel Solothurn bringt «Mitridate, re di Ponto» des 14-jährigen Wolfgang Amadeus Mozart auf die Bühne: 
Szenisch nicht ganz schlüssig, musikalisch aber packend.

Arnold Blöcklins "Die Toteninsel" dient als Metapher für die tragischen politischen und familiären Verstrickungen des Königs. Bild: zvg/Sabine Burger

Annelise Alder

Mozart war erst 14 Jahre alt, als er den Auftrag erhielt, ein Werk für die damalige Mailänder Oper zu komponieren. Doch was er innerhalb von nur fünf Monaten schuf, ist bemerkenswert: Ein packendes Bühnendrama, in dem alle Facetten menschlicher Emotionen auftauchen: Liebe, Hass, Eifersucht, Rachsucht, aber auch Güte, Liebe und Vergebung. Dabei findet jede emotionale Regung im Text ihre musikalische Entsprechung in der Musik. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Kühne harmonische Wendungen im Cembalo widerspiegeln die Überraschung Sifares, als ihm die Nachricht von der Heimkehr seines totgeglaubten Vaters König Mitridate verkündet wird. Zarte Melodien in den Violinen zeichnen das Wehklagen Ismenes nach, der verschmähten Geliebten des zweiten Königssohns.

Vom Sinfonieorchester Biel Solothurn, das vergangenen Freitagabend bei der Bieler Premiere der letzten Opernproduktion der Saison in Kleinstbesetzung auftrat, war entsprechend grosse Flexibilität gefordert. Dabei gelang nicht alles mit letzter Präzision. Doch Dirigent Predrag Gosta führte insgesamt zügig und mit klar anleitender Hand durch den Abend und verlieh dem dramatischen Musikgeschehen so federnde Leichtigkeit. Besonders erfreulich dabei das behände und variantenreiche Continuo des Cembalos von Francis Benichou.

 

Präzise Rollenporträts
Die Aufgabenstellung, die sich dem jungen, vom ehrgeizigen Vater angetriebenen Komponisten im Sommer 1770 präsentierte, war nämlich keine einfache: Die damals hochbezahlten und entsprechend anspruchsvollen Sängerinnen und Sänger erwiesen sich als schwierig zufriedenzustellen. Besonders der Sänger des Mitridate liess sich angeblich nicht gerne von einem 14-jährigen Komponisten vorschreiben, was und wie er zu singen habe. Doch Mozart fügte sich den unterschiedlichsten Ansprüchen – allein darin kündigt sich das Genie an – mit Geschick. Das machte auch das junge Sängerensemble auf der Bühne des Bieler Stadttheaters deutlich. Mit grossem Engagement gab es sich den von Mozart ebenso präzise wie differenziert komponierten Rollenporträts hin. Allein Antonio Figueroa als König Mitridate beeindruckte mit darstellerischer Varianz. Würdevoll, die getragenen Melodiebögen und die Wechsel von tiefster bis in die höchste Lage bruchlos aussingend, präsentierte er sich nach seiner Rückkehr. Dies obwohl er die Schlacht verloren hatte und im Wissen um zu erwartende familiäre Konflikte. Emotionale Wechselbäder mit Hass- und Racheäusserungen folgten denn auch auf dem Fuss. Der König nimmt sich am Ende das Leben, versäumt es aber nicht, so wollte es die damalige Opernkonvention, alle um Vergebung zu bitten.

 

Böcklin als szenischer Aufhänger
Schon das Bühnensetting, das sich während der Ouvertüre präsentierte, kündigte den unheilvollen Verlauf des Geschehens an. So diente ein schlichter, aber leerer goldener Bilderrahmen in der Bühnenmitte als Sinnbild für das Scheitern der Hauptfigur (Bühne: Diego Méndez-Casariego). Francesco Bellotto, der für die Inszenierung verantwortlich zeichnete, verlinkte die Hauptfigur der Oper mit dem Maler Arnold Böcklin. Er nutzte seine symbolistisch aufgeladenen, morbiden Arbeiten als Projektionsfläche für die tragische Handlung und verlieh der frühen Oper Mozarts damit einen melancholischen Anstrich. Legitimation dazu gibt die Verankerung der Sujets Böcklins und des Figurenpersonals bei Mozart in der antiken Mythologie. Die schlichten, farblich dezenten Kostüme von Louis Désiré und das sanft-warme Licht von Samuele D’Amico fügten sich darin bestens ein.

 

Lebhafte Personenführung
Dennoch überzeugte dieses Regiekonzept nicht restlos. So will die geheimnisvoll-mystisch aufgeladene Aura, welche die Werke Böcklins umwehen, nicht so recht zu den lebensnahen Charakteren in Mozarts Oper passen. Die weissen Tüllumhänge, die an die geheimnisvolle Person auf dem Bild «Die Toteninsel» Böcklins erinnern und in denen die Bühnenfiguren zu Beginn eingehüllt waren, fielen nach kurzer Zeit denn auch zu Boden. Bellotto schien mit der vitalen Personenführung sein melancholisch angehauchtes Regiekonzept selbst zu unterwandern. Jedenfalls betonte er im weiteren Verlauf des Geschehens die Individualität der Bühnenfiguren – und liess sich damit ganz auf Mozarts Partitur ein: Prinzessin Aspasia, die von Mitridate wie von seinen beiden Söhnen begehrt wird und die Radoslava Vorgić souverän verkörperte, präsentierte sich als selbstbewusste, aber auch zwischen verschiedenen Loyalitäten zerrissene junge Frau. Betont wurde auch die Verschiedenheit der beiden Königssöhne: Hier der trotzig aufbegehrende Farnace (mit passend dunklem Timbre: Candida Guida), da der sensible und ehrenhafte Sifare (überzeugend: Marion Grange). Dazwischen die Arbate von Aurelia Würsch, die zwischen den Streithähnen vergeblich zu vermitteln versuchte und die Ismene der Shiki Inoue, die - in der Höhe bisweilen etwas scharf – verzweifelt um die Gunst Farnaces kämpfte. Höhepunkte des Abends gab es deshalb im musikalischen Geschehen zu verzeichnen: so etwa das mitreissende Duett zwischen Aspasia und Sifare oder die bewegende Emotionalität der Aspasia im dritten Akt.

Info: Weitere Aufführungen am 24.4., 11., 13., 23. 29. und 31.5. sowie am 15.6.

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