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«Ein Kind muss das wollen»

Heute beginnt das Festival du Film Français d'Helvétie in Biel. Zum Auftakt ein Gespräch mit Edna Epelbaum, Mutter und Kinobetreiberin, über Kinder, Filme und einen Mann namens Gascar.

Edna Epelbaum freut sich, Bild: psj/a

Raphael Amstutz

 

Frau Epelbaum, warum sollten Kinder überhaupt ins Kino gehen- Was gibt es dort zu er- fahren, erleben, was anderswo, zum Beispiel daheim vor dem DVD-Player, nicht auch möglich ist?

Edna Epelbaum: Es gibt sehr viel zu erleben. Einen Film im Kino zu sehen ist für Kinder, und für Erwachsene übrigens auch, etwas ganz anderes, als wenn man daheim eine DVD schaut. Ein Kind lernt sich zu konzentrieren, es gibt keine Ablenkung im dunklen Saal. Ein Abtauchen in eine Geschichte ist so viel intensiver.

 

Ist es nicht unglaublich anstrengend, mit Kindern ins Kino zu gehen?

Das kommt auf das Kind an (lacht). Ich kann nur von meinen Erfahrungen erzählen. Wir sind bereits früh mit unseren beiden Töchtern ins Kino gegangen. Probleme gab es nie. Wenn es den beiden zu viel wird, schlafen sie ein. Und wenn sie Angst haben, sitzen sie jeweils auf unserem Schoss.

 

Sie sind Mutter. Man sagt, während der Schwangerschaft ist man in vielerlei Hinsicht empfindsamer. Trifft das auch für Filme zu- Haben Sie in dieser Zeit Filme anders geschaut?

Es ist klar, dass eine Schwangerschaft einen verändert, die Sicht auf sich selber, den eigenen Körper, das Leben. Beim Film-geschmack habe ich aber keine Veränderung beobachtet. Ich habe allerdings in diesen neun Schwangerschaftsmonaten auch nie Lust auf eine saure Gurke verspürt.

 

Nicht einmal die Optik auf Kinderfilme hat sich mit der Rolle als Mutter verändert?

Doch. Solche Filme sehe ich natürlich stärker mit den Augen meiner Kinder oder ihren Freunden. Es war zu Beginn allerdings ein Ausprobieren.

 

Was meinen Sie damit?

Ich habe manchmal Dinge anders eingeschätzt. Zum Beispiel dachte ich, diese oder jene Szene würde ihnen Angst machen. Dabei reagierten sie ganz gelassen. Und bei anderen Szenen war es umgekehrt.

 

Gab es Erkenntnisse, die Sie überrascht haben?

Ja. Szenen aus Trickfilmen machen meinen Töchtern mehr Angst als solche aus Spielfilmen. Die Identifikation mit realen Personen - ob sie nun gut oder böse sind - scheint für sie einfacher zu sein als mit gezeichneten oder animierten Charakteren.

 

Wie kann man mit Kindern ins Kino gehen und sich (und die Kinder) danach vor all den Merchandisingprodukten, auch ausserhalb des Kinos, schützen?

Mit diesem Thema müssen sich Eltern zwangsläufig auseinandersetzen. Aber man muss ja nicht jeden Tag durch die Spielwarenläden laufen. Das lässt sich relativ gut steuern.

 

Das klingt, als sei es bei Ihren Kindern problemlos gegangen?

Ja. Was wir machen ist, jeweils ein Poster des Films aufzuhängen, den wir gemeinsam gesehen haben. Nun stossen wir aber an Grenzen. Die Wände im Kinderzimmer sind voll. Nun haben meine Töchter zu entscheiden, welche Plakate ersetzt werden.

 

Was denken Sie, welches Plakat wird alle anderen überdauern?

«Lauras Stern». Als mein Vater im März gestorben ist, hat das bei beiden Töchtern die Assoziation «Stern» ausgelöst. Und so stehen wir abends jeweils am Fenster und die beiden suchen am Himmel jenen Stern, der ihr Gross- vater ist. So können Kinderfilme plötzlich eine emotionale Komponente erhalten und ganz unmittelbar mit der Realität der Kinder verknüpft werden.

 

Was ist denn für Sie wichtig bei Filmen für Kinder- Was macht einen guten Kinderfilm aus?

Die Phantasie, die angeregt wird. Die Kreativität, die herausgefordert und freigesetzt wird. Ein Denkprozess, der ausgelöst wird. Kinderfilme haben nicht selten ziemlich grob gezimmerte Aussagen. Mir gefallen Filme besser, die den Kindern einen Freiraum lassen. Ein gutes Beispiel ist «Le tableau», der zum Auftakt des Festivals gezeigt wird. Der Film schafft es, Kinder in jedem Alter anzusprechen. Solche Werke sind Glücksfälle.

 

Was können Eltern tun, um bei Kindern die Begeisterung für das Kino zu wecken?

Es geht darum, wie bei Theater- und Zoobesuchen übrigens auch, bei den Kindern Vorfreude zu wecken. Es ist wichtig, dass die Kinder spüren, dass der Gang ins Kino etwas anderes ist als ein Fernsehabend. Es geht darum, dass der Besuch einen «Ereigniswert» erhält. Weiter scheint mir nützlich, dass die Kinder gut vorbereitet werden. Dass man gemeinsam einen Trailer anschaut zum Beispiel oder den Inhalt vorbespricht. Ebenfalls kann es helfen, wenn man den Kindern sagt, dass bei Filmen, die für sie geeignet sind, am Schluss praktisch immer alles gut kommt.

 

Sie sprechen es an: Filme, die für Kinder geeignet sind. Seit einiger Zeit gibt es im Kanton Bern keine Altersbeschränkung mehr, die quasi polizeilich festgelegt war. Wie haben die Eltern darauf reagiert?

Gut. Überraschenderweise haben die Anfragen und Reklamationen von Eltern deutlich abgenommen. Wir machen ja weiterhin Altersangaben, einfach als Empfehlung und nicht als Vorschrift. Für mich gilt ganz klar: Der Kinobesuch liegt in der Verantwortung der Eltern. Und das ist auch gut so. Weil jedes Kind anders ist. Manche Zweijährige vertragen einen Ice-Age-Film problemlos, während andere Zwölfjährige noch grosse Angst haben. Und scheinbar schätzen es die Eltern, wenn die Verantwortung ganz bei ihnen liegt und nicht mehr an irgendwelche anonymen und staatlichen Stellen abgeschoben werden kann. Ein besonders krasses Beispiel in diesem Zusammenhang ist das Massaker an der Dark-Knight-Premiere in den USA. Alle waren, völlig zu Recht, von dieser Tat schockiert. Dass aber das jüngste Opfer ein sechs Monate altes Kind war und dies bei einer Mitternachtsvorstellung und einem ziemlich gewalttätigen Film, darüber hat niemand berichtet.

 

Um Filme für Kinder mit 3D- Effekten gibt es eine lebhafte und ziemlich unversöhnlich geführte Diskussion. Was ist Ihre Meinung?

Wir beobachten einen Mentalitätsunterschied. In der Westschweiz gehen die Eltern früher mit ihren Kindern in 3D-Filme. Aber auch hier gilt: Es kommt auf das Kind an. Ein Kind muss das wollen. Eine absolute Altersgrenze zu ziehen macht keinen Sinn.

 

Wie ist es bei Ihren Töchtern?

Die Dreijährige möchte zwar in solche Filme, aber ich finde, das ist zu früh. Wichtig ist, dass man das gemeinsam mit den Kindern entscheidet. Bei unserer Älteren hat das gut funktioniert. Wenn sie nicht mehr wollte, hat sie einfach die Brille vom Kopf genommen.

 

3D-Effekte waren kein Thema bei Kinderfilmen, als Sie selber klein waren. Was hat sich sonst verändert in den letzten drei Jahrzehnten?

Die Filme sind viel schneller geschnitten und grundsätzlich komplexer geworden. Das fällt aber vor allem uns auf, weil die Kleinen ja keine Vergleichs- möglichkeiten haben. Trotzdem überrascht mich, dass ältere Filme wie «Pippi Langstrumpf» oder «Mary Poppins» bei den Kindern bis heute überhaupt nichts von ihrer Faszination verloren haben.

 

Kinder machen oft unerwartete und überraschende Bemerkungen. An welche Anekdote im Zusammenhang mit Film können Sie sich erinnern?

Als wir «Madagascar 3» gesehen hatten, fragte die Jüngere plötzlich ganz erstaunt und voller Ernst: Gibt es denn auch einen Monsieur Gascar- Seither ist das bei uns in der Familie der Madame-Gascar-Film.

 

Zum Schluss zwei kurze Fragen. Ihr Lieblingsfilm als Kind?

«Heidi» aus dem Jahre 1952 mit Heinrich Gretler als Alpöhi.

 

Der Ihrer Meinung nach beste Film für Kinder in der letzten Zeit?

«Le tableau».

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